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Wie Nachbarn eine Glocke stilllegten

Ein ungewöhnlicher Lärmstreit entzweit eine Gemeinde in Dresden. Es geht um eine 135 Jahre alte Schulhaus-Bimmel und einen lauten Hahn.

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© Sven Ellger

Von Kay Haufe

Sie tut es jede halbe Stunde in unterschiedlicher Intensität: Die Glocke am alten Pappritzer Schulhaus läutet. Einmal jede halbe Stunde, je nach Uhrzeit zur vollen Stunde. Doch kurz vor Ostern blieb die Glocke plötzlich stumm und wurde nicht mehr gehört. Was ist passiert?

Heidrun Zeiler wollte es genau wissen, immerhin lebt sie seit 44 Jahren neben der alten Schule. Die Glocke habe ihr stets Orientierung im Tagesablauf gegeben. „Was mich aber besonders stört: Hier wird einfach ein Stück örtliche Identität abgestellt“, sagt Zeiler wütend. Ihre Nachfrage auf der Weißiger Verwaltungsstelle hat ergeben, dass sich eine Gruppe von Anwohnern am Bimmeln der Glocke störte. Weil die nächtliche Störung als groß eingeschätzt wurde, entschied man sich zum Abstellen der Glocke. „Diese läutet seit 1883 und plötzlich ist sie einigen zu laut? Jeder wusste doch beim Hausbau, wohin er zieht“, sagt Zeiler.

Es ist nicht das erste Mal, dass von jedem anders empfundener Lärm zu Ärger unter der Pappritzer Einwohnerschaft führt. Zwar gibt es im idyllisch gelegenen Hochlandörtchen noch eine Straße, die Am Sportplatz heißt, den dazugehörigen Platz aber sucht man dort vergebens. Er ist an den Rand des Ortes verlegt worden, nachdem sich ein Ehepaar, das daneben gebaut hatte, über den Lärm beschwerte, der von den Sportlern ausging. Auch dem Bäcker des Ortes wurde vor einiger Zeit nahegelegt, seinen Hahn gefälligst einzusperren, weil er so laut kräht. „Aber ich kann sie beruhigen: Meinem Hahn geht es gut und er lebt weiterhin draußen, auch wenn es inzwischen schon der Nachfolger des damals angeprangerten Tieres ist“, sagt Lutz Caspar. Im Internet hat er sich über Gerichtsurteile belesen, die zum Thema lautes Krähen gefällt wurden. „Der Tenor war eindeutig: In ländlich geprägten Gebieten muss das hingenommen werden“, sagt Caspar. „Ich habe die Urteile den Betreffenden gezeigt und gesagt, dass sie wohl wenig Chancen haben werden, wenn sie mich verklagen“, sagt der Bäcker.

In anderen Teilen der Stadt hat Lärm bereits Folgen gezeigt. So mussten in der Neustadt im Vorjahr zwei beliebte Clubs schließen, das Sabotage und der Stilbruch. In beiden Fällen hatten sich Nachbarn über nächtliche Ruhestörung beschwert. Anders gelagert ist der Fall der Weixdorfer Oberschule. Nachbarn hatten 2012 per Klage verhindert, dass die Schule für die dringend benötigte Dreizügigkeit ausgebaut wurde. Unter anderem wegen befürchteter Lärmbelästigung. Der Rechtsstreit zog sich lange hin, sodass die Schule erst drei Jahre später als geplant und noch dazu kleiner fertig wurde.

Im Jahr 2017 gab es insgesamt 713 Beschwerden über ruhestörenden Lärm in Dresden. Die Zahlen gingen dabei in den letzten fünf Jahren auf und ab, 2014 lagen sie mit 957 am höchsten, ein Jahr zuvor waren es nur 542. Doch seit 2015 steigen sie wieder an. Und damit liegt Dresden im deutschlandweiten Trend. Immer öfter haben Anwohner Probleme mit Lärm in ihrem Umfeld. Die gesetzlichen Vorgaben zur Nachtruhe in Wohngebieten sind streng: Ab 22 Uhr sind maximal 40 Dezibel erlaubt. Aus gutem Grund, denn Lärm ist gesundheitsschädigend. Körperliche Reaktionen treten in der Nacht bereits bei 40 bis 55 Dezibel ein. Thomas Myck, Fachgebietsleiter Lärmminderung im Umweltbundesamt, sagt: „Der Schlaf wird bei dieser Lautstärke messbar gestört. Selbst wenn man nicht aufwacht, registriert der Körper Geräusche und schüttet Stresshormone aus. Bei einer Belastung über längere Zeit steigt nachweislich die Gefahr von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“

Wie laut genau die Pappritzer Schulglocke ist, wurde noch nicht nachgemessen. In ihrem Fall haben einige Pappritzer jetzt eine Unterschriftensammlung initiiert, mit der erreicht werden soll, dass die Glocke wieder läutet. Die Liste ist bezeichnenderweise mit „Kling Glöckchen“ überschrieben. Es gehe um mehr als das Gebimmel, nämlich Heimatgefühl und dörfliche Atmosphäre, heißt es im Schreiben.

Doch entgegen der Beispiele in der Neustadt oder Weixdorf zeichnet sich in Pappritz nun eine Lösung ab, die allen Seiten gerecht werden könnte. Die amtierende Verwaltungsstellenleiterin Heike Krause hat sich in puncto Glocke enorm ins Zeug gelegt, immerhin ist das Geläut Teil eines Kulturdenkmals. „Ich wollte immer verhindern, dass sich die Pappritzer Einwohnerschaft in zwei Lager spaltet“, sagt sie. Danach würde die Glocke künftig nur noch im Zeitraum zwischen 7 bis 20 Uhr läuten. In der Nacht würde sie abgestellt, um den Anwohnern Ruhe zum Schlafen zu gewährleisten. Allerdings ist das Uhrwerk schon sehr betagt, Eingriffe nur schwer möglich. Mit dem neuen Besitzer der alten Schule, Peter Wagner, hat Krause abgesprochen, dass er versuchen will, Uhrwerk und Geläut zu entkoppeln. „Ich wusste nicht, dass die Glocke so ein Politikum in Pappritz ist“, sagt Wagner. Mithilfe eines ortsansässigen Kenners der Uhr soll es gelingen, die Läutzeit zu begrenzen. Kommentar