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Wie Melli die Männer überflügelte

Die Dresdnerin Hedwig Amelie Beese avancierte zur Flugpionierin. Ihr Leben endete tragisch.

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© dpa

Von Jana Mundus

Es ist eigentlich eine Geschichte, die sich für einen spannenden Kinofilm eignet: Eine attraktive junge Frau will unbedingt Pilotin werden. In einer Zeit, in der es in der Fliegerei ausschließlich Herren der Lüfte gibt. Sie bricht Regeln, um ihren Traum zu verwirklichen – und schafft es. Die Dresdnerin Hedwig Amelie, kurz „Melli“, Beese wird Deutschlands erste Fliegerin. Doch wie in einem Streifen made in Hollywood folgt dem Triumph bald ein tragisches Ende.

Die Erinnerung an Melli Beese in Dresden bröckelt. Ihr Geburtshaus in der Österreicher Straße 48 ziert seit 1986 eine Gedenktafel aus Bronze. Die gibt es zwar noch. Das Haus rundherum jedoch zerfällt langsam. Eigentlich steht es unter Denkmalschutz. Während das Dresdner Rathaus versucht, mit den Eigentümern, einer Erbengemeinschaft, über eine mögliche Sanierung zu sprechen, jährt sich der Geburtstag von Melli Beese nun zum 130. Mal.

Am 13. September 1886 wird sie in Laubegast geboren. Ihr Vater ist Architekt und wohlhabend. Als einziges Kind verwöhnen er und seine Frau die Tochter und fördern sie. Melli will studieren und Bildhauerin werden. Von 1906 bis 1909 studiert sie im schwedischen Stockholm an der Königlichen Akademie der freien Künste. Schon damals faszinieren sie Berichte aus der Luftfahrt. So verfolgt sie gespannt die Flugversuche der Brüder Wright aus den USA, die erste Flüge mit Gleitflugzeugen und später mit motorbetriebenen Flugzeugen probieren. Melli will in die Luft.

Eine französische Baronin hilft ihr dabei. Élise Deroche besteht am 8. März 1910 als erste Frau der Welt die Pilotenprüfung des Aéro-Club de France. Für viele Männer damals eine schauerhafte Vorstellung. Für Melli Beese die Initialzündung. Nach ihrer Rückkehr nach Dresden im November 1910 besucht sie an der Technischen Hochschule externe Vorlesungen in Mathematik, Mechanik, Schiffsbau und Flugmechanik. Gleichzeitig beginnt sie mit der Suche nach einem Fluglehrer. Doch das erweist sich als schwierig. Viele lehnen es ab, eine Frau zu unterrichten. In Berlin wird sie schließlich fündig. Die Direktion der Rumpler-Werke erkennt den Vorteil einer weiblichen Werkspilotin – das klingt schließlich nach guter Publicity. Sie bekommt einen Vertrag. Ihr Lehrer soll Hellmuth Hirth werden. Der ist wenig begeistert und lässt sie das spüren: Wenn sie auf den Pilotensitz soll, hat es sich da schon ein anderer Schüler bequem gemacht oder technische Probleme verhindern ein Abheben. Die haben oft mit Sabotage zu tun. „Bald waren ein paar Zündkerzen gegen verrußte ausgetauscht, bald das Benzin bis auf einen geringen Rest abgelassen worden, sodass ich (…) schleunigst notlanden musste“, notierte Beese später in ihren Erinnerungen. Sie hält durch. Pünktlich zu ihrem 25. Geburtstag erhält sie am 13. September 1911 als erste Frau in Deutschland ihren Pilotenschein mit der Lizenznummer 115. Ab da fliegt sie regelmäßig bei Wettbewerben und Flugschauen, stellt verschiedene Langflug- und Höhenrekorde für Frauen ein.

Doch Hedwig Amelie Beese will mehr. Im Jahr 1912 gründet sie in Berlin-Johannisthal ihre eigene Flugschule. Die beiden Flugpioniere Charles Boutard und Hermann Reichelt sind dabei an ihrer Seite. Finanziell unterstützt werden sie vom bekannten Dresdner Fabrikanten Karl August Lingner. Die Flugschule brummt. Gleichzeitig tüfteln die drei in einer eigenen Fabrik an einem preislich erschwinglichen Flugzeug. Schon bald können sie die Beese-Taube präsentieren. 12 000 Mark kostet sie. Das nächste Projekt: ein Flugboot.

Auch privat hat Melli Beese in dieser Zeit Glück. Sie verliebt sich in ihren französischen Geschäftspartner Charles Boutard und heiratet ihn im Januar 1913. Sie nimmt die französische Staatsbürgerschaft an. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist das nicht unproblematisch. Die aufmüpfige Beese und ihr Ehemann sind den Verantwortlichen im Land ein Dorn im Auge. „Am 1. August 1914 wurden mein Mann und ich bereits als feindliche Ausländer verhaftet“, schreibt sie wenig später. Das Flugboot wird durch die Behörden zerstört. Ihre Flugschule und den Flugplatz dürfen die Eheleute nicht mehr betreten. Später kommen sie in ein Internierungslager.

Nach Kriegsende klagen sie jahrelang auf Schadenersatz. Als dieser bewilligt wird, frisst die Inflation die Summe schnell wieder auf. Beese und Boutard wollen mit zwei Flugzeugen um die Welt fliegen. Doch der Plan scheitert am fehlenden Geld. Als Beese 1925 ihre Fluglizenz erneuern will, legt sie eine Bruchlandung hin. Körperlich bleibt sie unverletzt, seelisch allerdings zerstört. Am 22. Dezember 1925 erschießt sie sich. Vorher schreibt sie auf einen Zettel: „Fliegen ist notwendig. Leben nicht.“