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Wie Marx und Engels Görliwood entdecken

Görlitz ist in diesen Tagen Treffpunkt deutscher Schauspieler. Für die Maske müssen sie früh raus, für Entenbraten bleiben sie abends noch wach.

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© nikolaischmidt.de

Von Susanne Sodan

Eine Horde Menschen stampft die schmutzige Treppe hinauf, einen Flur unter bröckligem Putz entlang. Männer mit Schiebermützen oder einfachen Hüten, weißen Hemden mit Bäckerkragen, braunen und grauen Westen. Auch Frauen in Leinenkleidern sind dabei, Tücher auf dem Kopf, Tücher über den Schultern. Alles wirkt im Dusteren braun und grau und schwarz. Sie kommen gerade von einer Versammlung mit Marx und Engels im „Braunen Hirsch“ am Görlitzer Untermarkt. Kurze Drehpause am Set zu „Der junge Karl Marx.“

Benny Drechsel ist als Produzent wieder hochzufrieden mit Görlitz – und den Görlitzern. Viele spielen mit.
Benny Drechsel ist als Produzent wieder hochzufrieden mit Görlitz – und den Görlitzern. Viele spielen mit. © Nikolai Schmidt/nikolaischmidt.de
Der Bart ist echt. Ansonsten erkennt man Hauptdarsteller August Diehl nach Stunden in der Maske kaum wieder.
Der Bart ist echt. Ansonsten erkennt man Hauptdarsteller August Diehl nach Stunden in der Maske kaum wieder. © Nikolai Schmidt/nikolaischmidt.de
Stefan Konarske ist schon seit vergangener Woche in Görlitz. Ein Ziel hat er aber noch: ein Antiquariat.
Stefan Konarske ist schon seit vergangener Woche in Görlitz. Ein Ziel hat er aber noch: ein Antiquariat. © Nikolai Schmidt/nikolaischmidt.de

Ein paar elektrische Scheinwerfer spenden etwas Licht, ein Heizstrahler etwas Wärme. 19. Jahrhundert trifft Moderne. Hinter der historisch gekleideten Truppe läuft ein junge Frau mit einer Tasche voller Dosen mit Schminke und Haarspray her. Zeit für kosmetische Korrekturen, Zeit für einen Kaffee. Nur wenige Minuten, dann schallt eine Frauenstimme über die Köpfe „Alle zum Set! Schnell austrinken!“. Zurück ins Erdgeschoss in den Londoner Pub mitten in Görlitz. Marx und Engels wollen nochmal reden.

„Das ist eine sehr wichtige Szene, die wir gerade drehen“, erklärt Produzent Benny Drechsel. Er steht draußen vor der Tür, von drinnen ist ab und an Applaus oder Stimmengewirr zu hören. Um die 60 Komparsen sind am Set. Eine Arbeiterversammlung, auf der Karl Marx seine erste große Rede hält, auf der Engels für den Zusammenschluss der europäischen Arbeiterorganisationen wirbt. Mit Karl Marx, sagt Drechsel, könne heute zwar jeder etwas anfangen. „Aber wir kennen doch nur noch diese versteinerte Ikone.“ Der Film soll dagegen sein Leben vor dem „Manifest“ zeigen, seine Zeit als Endzwanziger, seine Freundschaft zu Friedrich Engels. „Einen Heiligenschein bekommt er aber nicht“, sagt Benny Drechsel.

Immer mal wieder bittet draußen jemand um „Ruhe“ oder „Silence“ oder „Du calme“. Die Produktion ist eine deutsch-französisch-belgische. Und drinnen ist offenbar jedes Wort zu hören. „Hier draußen muss absolute Ruhe sein“, ruft einer der deutschen Team-Mitarbeiter. In dem Moment fährt ein Lkw über das Pflaster, um Dixi-Toiletten abzuladen.

Für Entenbraten nach Zgorzelec

Dann geht die Tür auf, ein junger Mann stolpert ins Freie – Niels Bruno Schmidt. Er spielt die Figur des Karl Grün. „Das ist ein Studienfreund von Marx gewesen, später sein Widersacher, bis er in die historische Unbedeutsamkeit verschwand.“ Görlitz macht er dafür aber keinen Vorwurf. Immerhin biete die Stadt die perfekte historische Kulisse – und den besten Entenbraten. „Am Montagabend sind wir über die Neiße in ein polnisches Restaurant gegangen.“ Dort gab es die Ente. Langeweile in Görlitz nach Drehschluss? Nicht für Schmidt. „Ach, so ein Filmteam kann schon das eine oder andere Restaurant füllen.“ Und für Spaß sorgen.

Für August Diehl bestand Görlitz bis jetzt eher aus Warten, Konzentration, Warten, Konzentration. Das Schicksal einer Hauptfigur, die eben nicht in der historischen Unbedeutsamkeit untergegangen ist. Diehl spielt Marx. Ein Mann, der in jungen Jahren an vielen Fronten zu kämpfen hatte: Familienvater, Verlust von vier Kindern, finanzielle Nöte, politische Repressalien und revolutionäre Ideen. Für Diehl das Interesannte an seiner Rolle. Zeit, die Stadt anzuschauen, sei bisher kaum geblieben. „Ein paar Straßen ums Set herum habe ich gesehen“, erzählt er. Fazit: schön. Schließlich beginnt sein Tag sehr zeitig. Vor Drehbeginn wartet die Maske auf ihn, auch auf die anderen Darsteller.

„Ich bin heute halb fünf aufgestanden“, sagt Stefan Konarske. Er spielt Friedrich Engels. Dem soll es zumindest finanziell besser gegangen sein. Sieht man auch. In meerblauer Weste mit Stickereien, ordentlichen Schuhen, glänzendem Halstuch steht Stefan Konarske da. Das perfekte Kostüm, die perfekte Umgebung für ihn. „Ich mag alte Sachen“, sagt der Schauspieler. Dinge, Städte, die ihre Patina haben.

Er ist schon seit vergangener Woche in Görlitz. Sein erster Eindruck: der Geruch der Stadt – nach Kohleöfen. „Das kenne ich auch aus Berlin“, sagt Stefan Konarske. Nicht unangenehm, ein Geruch aus der Heimat. Und ein Eindruck, den er aus Görlitz mitnehmen wird. Ein paar Tage bleibt er aber noch, hat auch schon Pläne für die drehfreien Zeiten. „Ins Antiquariat will ich noch. Ich bin doch so ein Andenken-Freak.“

Diese Drehpause ist aber vorbei, die bärtigen Männer versammeln sich wieder in dem Londoner Pub im „Braunen Hirsch“. Benny Drechsel könnte fast dazugehören. Er hat sich einen Bart stehen lassen. „Der kommt ab, wenn der Filmdreh durch ist“, erzählt er. Das wird im Frühjahr sein. Bis dahin stehen noch mehr Drehorte auf dem Plan. Bis Mitte kommender Woche bleibt das Team in Görlitz, dann geht es nach Brandenburg. Im Herbst 2016 soll der Film in die Kinos kommen.