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Wie Malen Mut macht

Angelika Beger öffnet mit Farbe, Pinsel, Leinwand und viel Ruhe Seelen. Dabei arbeitet die Pädagogin nach einer alten Lehre.

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© Sven Ellger

Von Gabriel Jira

Die Wand ist voller Farbkleckse in grellem Grün, Blau, Rot und Gelb. Auch einige Abdrücke von Händen mischen sich darunter. Mitten im Bunt sitzt Angelika Beger. Sie gönnt sich gerade eine Pause. Ausnahmsweise ist ihr Atelier mal nicht voll. Sonst tummeln sich hier bis zu sieben Hobbymaler auf einmal.

Dass Angelika Beger hier mit Pinsel und Farben sitzt, ist eine sehr persönliche Geschichte. Mehr als 20 Jahre lang war die Diplom-Sozialpädagogin Leiterin einer Dresdner Kindertagesstätte. Alles änderte sich, als sie einen achtjährigen Pflegesohn in ihre Familie aufnahm. „Er hatte zwei Jahre im Heim verbracht und viele Probleme in der Schule. Er sprach kaum“, erzählt Angelika Beger. Das Pflegekind brauchte mehr Mut und das Gefühl, nicht alles falsch zu machen, das erkannte die Pädagogin schnell. Gern wäre sie die Probleme des Jungen gemeinsam mit seinen Lehrern angegangen. Aber es kam kein gutes Miteinander zustande. „Sie haben uns nicht wie Partner, sondern wie Untergebene behandelt.“ Jahrelang suchte die zweifache Mutter nach einer Möglichkeit, ihrem dritten Kind zu helfen. Bis ihr eine neue Nachbarin bei einem Plausch von einer ungewöhnlichen Methode erzählte. Diese bietet Angelika Beger jetzt selbst an – eine Art befreiendes Malen, spontan und ohne feste Vorstellung vom Ergebnis. „In meinem Atelier können alle Besucher einfach drauflosmalen. Ich bewerte die Bilder nicht. Ein Kind zum Beispiel malt mit einer Rolle ganze Blätter einfach nur orangefarben aus. Das ist hier in Ordnung.“ Angelika Beger macht den Hobbykünstlern Mut. Sie malen nach Lust und Laune und lernen dabei, wie es ist, etwas selbst gemacht zu haben und darauf stolz zu sein. „Das ist der erste Schritt“, sagt die Kursleiterin. „Wer einmal erlebt hat, dass er etwas schaffen kann, will dieses Gefühl meistens noch einmal erleben.“

Auf allen Bildern tauchen verschiedene Muster auf. Die verraten viel über den Maler. Angelika Beger interpretiert sie. Grundlage ist ein Katalog, der von dem Forscher Arno Stern geschrieben wurde. In den 50er-Jahren untersuchte er Bilder, die Kinder gemalt hatten, wissenschaftlich und leitete seine Lehre daraus ab. Bis heute erfahren Pädagogen so oft mehr über Kinder, als in Gesprächen. Das macht es leichter, bei Sorgen und Nöten zu helfen.

Angelika Beger war von Arno Sterns Idee so begeistert, dass sie ihr Leben änderte. „Ich hatte gefunden, wonach ich so lange suchte.“ Schon einen Monat nach ihrer Entdeckung konnte sie eine Ausbildung zur sogenannten Malleiterin beginnen. Das war 2014. Von da an ging alles ganz schnell. Ihr eigenes Studio „Mein Malspiel“ in der Österreicher Straße 29 eröffnete sie noch im selben Jahr. Farbe, Pinsel, Rollen, Blätter und eine eigene Werkstatt, das war ihr neuer Weg. „Viele Kinder kommen zu mir, aber auch Senioren und Menschen, die gerade mit ihrem Leben unzufrieden sind. Einige haben Probleme, andere sind einfach neugierig.“ Auch Paar- und Familientherapien bietet Angelika Beger an. Für die Gespräche zur Auswertung der Bilder hat sie einen separaten Raum eingerichtet.

Die Nachfrage ist groß. „Von Anfang an haben mir die Leute die Türen eingerannt.“ Damit hatte sie nicht gerechnet, aber darauf gehofft. Selbstverwirklichung ist gut und wichtig, vom eigenen Geschäft aber muss sich auch leben lassen. Angelika Beger ist beides geglückt. Und sie hat neuen Zugang zu ihrem Pflegesohn gefunden.

www.mein-malspiel.de