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Wie lebten Bauern vor 200 Jahren?

Das will ein Wissenschaftler herausfinden. Dafür sucht er in ganz Sachsen nach Dokumenten.

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© Repro: PICTURE POINT Leipzig

Von Susanne Plecher

Landkreis. Fragt man Oscar Dube, warum er sich ausgerechnet die sächsische Landwirtschaft von 1700 bis 1900 als Forschungsschwerpunkt ausgesucht hat, bekommt man eine bestechend ehrliche Antwort: „Ich habe nach einem Thema für meine Doktorarbeit gesucht“, bekennt der Leipziger freimütig. Da man sich aber für eine Promotion mindestens drei Jahre nahezu täglich mit seinem Thema auseinandersetzen muss, sollte es einem schon liegen. In Dubes Fall tut es das.

„In den 1830er Jahren hat es in Sachsen mehrere Gesetze zur Agrarreform gegeben“, sagt er. In ihrer Folge konnten sich die Bauern gegenüber ihrer Herrschaft auszahlen und endlich frei sein. Fronarbeit und Abgabelasten fielen weg. Aber auch der Flurzwang, bei dem sich alle Bauern eines Ortes zum Anbau der gleichen Früchte verpflichteten, und die Allmende, also die gemeinsam bewirtschafteten Gemeindeflächen, werden abgeschafft. Marktwirtschaftliche Bedingungen halten auf dem Land Einzug. Das weckt die Neugier des Historikers. Dube will herausfinden, was diesen massiven Umbruch ausgelöst hat.

Mühsames Forschen in Museen und Vereinen

Dafür sucht er im ganzen Freistaat nach Aufzeichnungen zur Wirtschaft und dem Alltag der sächsischen Bauern im 18. und 19. Jahrhundert. Das können Dokumente zur Größe oder dem Inventar eines Hofes sein, Tagebücher, in denen Arbeitsabläufe verzeichnet sind, oder Schreiben, die Auskunft darüber geben, wofür das Land genutzt wurde. Welche Feldfrüchte hat man angebaut? Wie sind die Ernten ausgefallen?

„Daraus kann ich ableiten, nach welchem System die Bauern ihr Land bewirtschaftet haben.“ Viele Jahrhunderte lang war das die Drei-Felder-Wirtschaft: ein Feld mit Sommer-, eines mit Wintersaat und eine Brache. Diese Form verschwindet aber im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts zunehmend und weicht einer intensiveren Landwirtschaft.

Die Suche ist mühsam. Dube hat Museen und Heimatvereine angeschrieben, sich bei lokalen Institutionen gemeldet, E-Mails und Aushänge verschickt. Einer davon hängt im Schaukasten vor dem ehemaligen Gemeindeamt in Zabeltitz. „Wenn ich Glück habe, kennt jemand im Ort jemanden, der Aufzeichnungen hat“, sagt er.

In den Aufzeichnungen findet sich oft alles, was die Leute bewegt

Rund 30 Mal ist er seit Anfang des Jahres fündig geworden. Viele Hinweise, sozusagen sein forscherisches Startkapital, hat er von Manfred Schober, einem Volkskundler aus Sebnitz, erhalten.

Meist geben die Chroniken und Kladden, die ihm zur Verfügung gestellt werden, mehr her. „Man hat früher auf den Höfen keine getrennten Bücher für verschiedene Lebensbereiche geführt. In den Aufzeichnungen findet sich oft alles, was die Leute bewegt hat: Mäusefraß, Hochzeiten, Geburten, Ernte, Blitzeinschläge, Feuer“, weiß der Leipziger.

Aus den Daten, die er mittels der Schriften erhebt, möchte er eine Agrarstatistik für den Zeitraum von 1700 bis 1900 erstellen. Sie soll in Fachzeitschriften veröffentlicht werden, aber Dube plant auch ein weiterführendes Buch.

Das Lesen der Dokumente bereitet ihm keine Probleme. Während des Studiums an der Hallenser Martin-Luther-Universität hat er die Kurrentschrift gelernt. Außerdem sei ihm kaum ein Fall von unleserlicher Handschrift untergekommen. „Die Leute, die damals schreiben konnten, waren sehr stolz darauf und haben sich mehr an das Schema gehalten“, so Dube.

„Es gibt die These, dass die Menschen immer gleichbleibend intelligent gewesen sind. Ihr Interesse hat sich in den unterschiedlichen Zeiten nur auf andere Dinge gerichtet. Herauszufinden, welche das warne, ist es, was Geschichte so interessant macht“, sagt er. Schon damals hatten die Bauern ein umfangreiches Alltagswissen. Manche seien tagelang nach Leipzig gelaufen, um sich an der Universität Vorlesungen zu Feldbauthemen anzuhören. Auch habe es viele Bücher mit hohen Auflagen über agrarwissenschaftliche Themen gegeben. „Die Leute haben sie gelesen“, so Dube.

Kontakt: [email protected]; Telefon 0341 3067030 oder 0174 4503799