Merken

Wie ich die Stasi neu verstand

Dresdner Studenten haben sich dem Thema mit neuer Perspektive genähert. Einer von ihnen erzählt.

Teilen
Folgen
NEU!
© Maximilian Helm

Dresden. Ich selber habe die Stasi nie persönlich kennengelernt. Ich bin 1990 in den alten Bundesländern geboren und auch dort aufgewachsen. Ich habe nie unter der Diktatur gelitten, mein Leben wurde nicht durch sie bestimmt. In politischen Auseinandersetzungen wurde mir hier in Sachsen oft entgegengehalten: „Was weißt du denn schon von unserem Leben in der DDR?“

Genau deswegen fühlte ich mich von einem Projekt am Institut für Geschichte der TU Dresden angesprochen. Das Hygiene-Museum wollte die Studenten in die aktuelle Ausstellung „Scham – 100 Gründe Rot zu werden“ einbinden. Wir sollten erforschen, welche Gefühle im Zusammenhang mit der Stasi eine Rolle spielen. Leichter gesagt, als getan. Aber genau das hat mich gereizt. Im Studium eignet man sich jeden Tag Bücherwissen an. Hier gab es die Möglichkeit, dabei zu sein, wenn mal was Neues ausprobiert wird. Außerdem ging es nicht einfach nur um eine Seminararbeit, sondern darum, unsere Arbeitsergebnisse als Bühnenstücke zu konzipieren und aufzuführen. Etwas, das aus dem Universitätsalltag definitiv heraussticht.

Die Suche nach den Gefühlen

Wir haben Zeitzeugenberichte und Interviews von IMs, Bespitzelten und Auskunftspersonen der Stasi ausgewertet. Immer auf der Suche nach Gefühlen, um zu erfahren, was die Opfer bewegt hat, als ihre Privatsphäre verletzt wurde, und welche Gefühle die Täter bewegten.

Herausgekommen sind sechs Szenen, in denen wir die Emotionen, die uns begegnet sind, dem Publikum zeigen können. Szenen, in denen IMs Freunden ihre Taten beichten. Szenen, in denen Opfer in der Haft zermürbt werden. Ein Pfarrer berichtet von seiner Erfahrung. Einmal wird auch ein Schlussstrich verlangt. Begleitet wurden wir von unserer Professorin Dagmar Ellerbrock und von Matthias Spaniel vom TU-Theater „die bühne“.

Ich spiele in zwei Szenen mit. Als Punker und als Verteidiger während einer Ausschusssitzung. Zwei Rollen, die sehr verschieden sind. Als Punker bin ich selber ein Opfer der Stasi. Ich werde verfolgt, verhaftet und gedemütigt. Es ist ein ständiger Wechsel zwischen dem Versuch, das eigene Schicksal mit Humor zu nehmen und die erlittene Repression zu verarbeiten. In der Rolle des Verteidigers setze ich mich für einen IM ein. Ich bin fassungslos über den Hass, der sich Bahn bricht. Meine Rolle kann dies nicht nachvollziehen, denn sie hat selber nicht in der DDR gelebt.

So wie ich. Doch nach diesem Projekt beginne ich zu verstehen, warum es auch nach 27 Jahren schwerfällt, einen Schlussstrich zu ziehen. Denn bei so viel Scham, Wut, Hass und Trauer ist es einfach schwierig, wieder ganz normal miteinander umzugehen.

„Angst, Scham und Ohnmacht“, Dienstag 19 Uhr im Deutschen Hygiene-Museum. Eintritt: 3 Euro/1,50 Euro