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Wie gefährlich ist die „Gas-Waffe“?

Die USA verhängen Sanktionen gegen Russland, auch die EU zeigt sich entschlossen. Könnte Moskau im Gegenzug den Gashahn zudrehen? Experten sind besorgt, sehen aber keinen Grund zur Panik.

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© dpa

Von Jan-Henrik Petermann

Berlin/Hamburg. Deutschland hängt am Rohstoff-Tropf - und nicht zuletzt an Gasimporten aus Russland und Norwegen. Die angedrohten harten Sanktionen der EU gegen Moskau wegen der Krim-Krise treiben die heimische Wirtschaft und Energieexperten um.

Ernsthafte Risiken für die Versorgung sehen Beobachter aber nicht - selbst wenn Kreml-Chef Wladimir Putin aus Ärger über Strafmaßnahmen die Lieferungen drosseln sollte. Fragen und Antworten zum Thema:

Wie wichtig ist Russland als Gas- und Öl-Exporteur für Deutschland?

Der mächtige Gazprom-Konzern spielt eine Schlüsselrolle. 2012 lag die Bundesrepublik unter 31 Zielländern mit 34 Milliarden Kubikmetern Erdgas auf Platz eins vor der Ukraine (32,9), der Türkei (27,0) und Weißrussland (19,7). Insgesamt stammten 37 Prozent des importierten Erdgases und Erdöls aus Russland, 2013 waren es beim Gas 38,7 und beim Öl 34,8 Prozent. Doch auch jenseits der Rohstoff-Frage sind beide Länder eng verbunden: Laut Daten der Germany Trade & Invest war Deutschland 2012 nach China Moskaus zweitwichtigster Handelspartner. Zugleich war Russland der elfwichtigste Absatzmarkt für Deutschland.

Würde Russland wirklich eine Drosselung des Gasangebots riskieren?

Drastische Kappungen sind eher unwahrscheinlich. „Die Verflechtung ist auch beim Öl groß“, sagt Heino Elfert, Herausgeber des Energie- Informationsdienstes (EID). Das gelte auch für Konzerne wie Rosneft, der mit der britischen BP verbandelt ist, oder die Beteiligung von Gazprom und der BASF-Tochter Wintershall. Russland könne auf die Einnahmen aus dem Gasgeschäft kaum verzichten. „Mit dem Ausspielen der Energie-Karte entstehen immer auch Kosten“, sagte der US-Strategieexperte Jeffrey Mankoff dem Fachblatt „Foreign Policy“. „Ich glaube, diese Kosten sind heute höher als vor ein paar Jahren.“

Warum ist die Lage diesmal anders als beim letzten Gasstreit 2009?

Damals wurde der Ukraine vorgeworfen, sie sabotiere die russischen Lieferungen nach Westen. Die Transitleitungen durch die Ukraine sind für Europa zwar nach immer noch enorm wichtig, etwa die Hälfte der russischen Gasexporte zu uns fließt dort. Mittlerweile bietet aber auch die Ostsee-Pipeline Nord Stream einen alternativen - und direkten - Lieferweg.

Weshalb ist Russlands Rohstoffmacht international nicht mehr so groß?

Viele Beobachter sehen Russlands wirtschaftlichen Einfluss auf dem absteigenden Ast. Das liegt vor allem an der „Schiefergas-Revolution“ in den USA. Die Vereinigten Staaten versuchen immer stärker, sich von teuren und instabilen Energieimporten aus Asien oder dem Nahen Osten abzunabeln. Mit der umstrittenen Fracking-Methode lassen sich bisher unangetastete Gasvorkommen erschließen, bis 2020 könnte man zum Netto-Exporteur von Energie werden. Washington diskutiert, die Exportbestimmungen zu lockern, um befreundete Länder zu unterstützen.

Könnte Deutschland notfalls auf andere Quellen umschwenken?

„Eine Ausweitung unserer Erdgasexporte würde unseren Alliierten alternative, verlässliche Quellen bieten“, erklärte der republikanische Kongressabgeordnete Mike Turner in „Foreign Policy“. Neben den traditionellen Lieferländern Norwegen und Niederlande könnte die Bundesrepublik auch den US-Gasmarkt anzapfen. Experten halten das aber für Zukunftsmusik - denn für den Transport über den Atlantik bräuchte man viel mehr Verflüssigungsanlagen in den Häfen sowie Spezialschiffe. „Das kann nicht über Nacht passieren. Aber es könnte Russland deutlich schwächen“, meint EID-Herausgeber Elfert.

Drohen den Verbrauchern höhere Benzin- und Heizölpreise?

Bisher schlägt die verschärfte politische Lage noch nicht ernstlich auf die Endkunden-Preise durch. Zwar schoss der Gaspreis Anfang der Woche zunächst um bis zu zehn Prozent in die Höhe, zuvor war er aber stark gesunken. Dass das Niveau bald anzieht, wollen Fachleute dennoch nicht ausschließen: Im Februar wurden Energierohstoffe nach Daten des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) weltweit um 2,3 Prozent teurer, das kalte Wetter in Nordamerika trieb die Öl- und Gaspreise nach oben. HWWI-Experte Leon Leschus warnt: „Die aktuelle Krise könnte zu Unsicherheiten auf den Energiemärkten führen.“

Wie lange reichen die Gasvorräte der Bundesrepublik?

Die deutschen Speicher sind Branchenkreisen zufolge dank des milden Winters gut gefüllt, bis zu 60 Prozent der ursprünglichen Menge sollen vorrätig sein. Doch den Bedarf von Verbrauchern und Industrie könnte das kaum lange befriedigen. Der Chef des Außenhandelsverbands für Mineralöl und Energie, Rainer Winzenried, forderte im „Handelsblatt“ den Aufbau einer größeren „nationalen Gasreserve“. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach sich dafür aus.

Könnte der Krim-Konflikt die deutsche Energiewende abwürgen?

Ein erklärtes Ziel der Energiewende ist es, die Versorgung mit Strom und Gas von den starken Preisschwankungen bei fossilen Rohstoffen zu entkoppeln. Für die Übergangszeit braucht Deutschland aber effiziente Gaskraftwerke, die den Wegfall der Atomkraft kompensieren. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, hält EU-Sanktionen für deplatziert: „Wir können uns eine Sanktionspolitik nicht leisten, weil wir im Zuge der Energiewende zunehmend auf russische Lieferungen angewiesen sind“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. (dpa)