Merken

Wie ehemalige Nazis in der SED Karriere machten

Sandra Meenzen über den Umgang der SED mit ehemaligen Angehörigen der NSDAP. Hinter dem lautstark postulierten Antifaschismus vollzog sich eineverdeckte Integration von früheren Mitgliedern der Nazipartei.

Teilen
Folgen

Von Sandra Meenzen

Durch die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED im April 1946 konnte diese eine Anfangsstärke von knapp 1.300.000 Mitgliedern vorweisen. Nicht nur Neumitglieder fanden dabei den Weg in die Partei, sondern auch Genossen, welche schon vor 1945 politisch aktiv und Mitglieder in anderen Parteien gewesen waren.

Auch wenn sich die DDR während ihrer gesamten Existenz in ihrer Herrschaftsideologie ununterbrochen als antifaschistischer Staat legitimierte, sah die Lebenswirklichkeit einer entnazifizierten Gesellschaft grundlegend anders aus. Die SED griff beim Aufbau ihres sozialistischen Staates auch auf Angehörige von nationalsozialistischen Organisationen zurück – und zwar in einem außerordentlich hohen Maße. Dem ging gelegentlich ein Abwägungsprozess der Schwere der NS-Belastung mit anderen „kaderpolitischen Merkmalen“ voraus. Sehr gute fachliche Qualifizierungen und positive Arbeitsergebnisse – gemäß den Anforderungen der Partei – stellten das entscheidende Plus dar. Außerdem war, angesichts anhaltender politischer Säuberungen, vor allem für Leitungspositionen Loyalität zur SED gefragt. Biografische Falschdarstellungen blieben dabei nicht aus. Diese wurden an Beispielen von SED-Funktionären in den thüringischen Bezirken Gera, Erfurt und Suhl, den zentralen Regierungsdienststellen der Sowjetischen Besatzungszone/DDR und ausgewählten Wirtschaftsunternehmen – wie beispielsweise bei Zeiss/Jena und in neun weiteren Unternehmen der DDR-Industrie – überprüft. Elitenkontinuitäten können in allen untersuchten Bereichen nachgewiesen werden. Hinter dem lautstarken Antifaschismus offenbarten sich ein erstaunlich geringes Maß an tatsächlicher Strafverfolgung von NS-Tätern und eine verdeckte Integration von NS-Angehörigen in die Partei.

„Gutes Klassenbewusstsein, Parteiverbundenheit und Prinzipienfestigkeit“ – jene positiven Vorgaben der SED wurden benötigt, um in der DDR erfolgreich Karriere machen zu können. Dass dies bei ehemaligen NSDAP-Mitgliedern oftmals mit Beschönigungen in den biografischen Selbstdarstellungen einherging, waren logische und keine selten angewendeten Methoden.

Da das Reservoir politisch Unorganisierter in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg begrenzt war, konnte auch die DDR ehemalige Anhänger der Nazipartei nicht vom politischen Leben ausschließen, sondern benötigte diese sogar für den Aufbau der angestrebten sozialistischen Gesellschaft. Ein vollständiger Elitenwechsel war aufgrund mangelnder Alternativen nicht vollziehbar. Nur entpuppt sich dabei der offizielle deklarierte Antifaschismus als ein Mythos.

Wie dieser in der Wirklichkeit aussah, verdeutlicht eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena der 1. und 2. Kreis- und Bezirkssekretäre der SED in den ehemaligen Bezirken Gera, Erfurt und Suhl. Im Zeitraum von 1946 bis 1989 walteten in diesem Gebiet insgesamt 441 SED-Sekretäre. Von den Funktionären wurden 263 Personen (bis einschließlich Geburtsjahrgang 1927) auf eine mögliche NSDAP-Mitgliedschaft überprüft.

Durch das Abgleichen der biografischen Angaben mit den Daten des Berlin Document Centers (BDC) konnte bei 36 SED-Sekretären eine NSDAP-Mitgliedschaft nachgewiesen werden. Das BDC ist eine wichtige Institution, um Belege von NS-Belastungen einzelner Personen während der Zeit des Nationalsozialismus zu erbringen, welche allerdings nur noch zu circa 80 Prozent erhalten ist.

Überraschender Befund

Der Befund war insgesamt eine völlige Überraschung, da sich bei den lokalen und regionalen Funktionären eine Trefferquote von fast 14 Prozent ergab. Erst im Vergleich mit den offiziellen Zahlen der Parteizentrale der SED wird deutlich, welche enorme Dimension jenes Forschungsergebnis darstellt. Über die frühere Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen wird in einem parteiinternen repräsentativen Überblick von 1954 Folgendes dargelegt: 8,6 Prozent der SED-Mitglieder waren NSDAP-Mitglieder. Die Quote von örtlichen SED-Spitzenfunktionären mit NSDAP-Vergangenheit lag deutlich höher als der Anteil ehemaliger Mitglieder der Nazipartei an der Gesamtmitgliedschaft der SED.

Nur 14 der 36 Personen wurden erst am 20. April 1944 in die NSDAP aufgenommen, die übrigen 22 SED-Genossen traten schon vor diesem – in der Forschung umstrittenen – Aufnahmedatum der Nazipartei bei. Mehrfach belegt ist inzwischen aber, dass ein Aufnahmeantrag in die NSDAP auch 1944 eigenhändig ausgefüllt und unterschrieben werden musste. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass zu diesem Zeitpunkt jemand unwissentlich in die Partei aufgenommen wurde. Eine sich daraus ergebende nominelle Mitgliedschaft bildet die Grundlage für die Einschätzung einer NSDAP-Belastung im Lebenslauf.

Markant ist ferner, dass vor der Überprüfung dieses „negative Kadermerkmal“ von nur einem SED-Funktionär bekannt war. Alle weiteren Sekretäre verschwiegen ihre „braune“ Vergangenheit in ihren offiziellen Lebensläufen. Die Geheimhaltung bzw. das „einvernehmliche Beschweigen“ kann für ausgewählte Beispiele mithilfe von handschriftlichen Lebensläufen nachgewiesen werden. Mehrere biografische Einzelanalysen und kollektive Fallstudien der Jenaer Forscher belegen, dass das Verschweigen der NSDAP-Mitgliedschaft – mit oder ohne offizielles Einverständnis höherer politischer Instanzen – eine Parteikarriere überhaupt erst ermöglichte.

Einen Beleg für diese Praxis lassen sich in den autobiografischen Zeugnissen von Hans Bentzien finden. Bentzien wurde 1927 geboren, unterschrieb im Frühjahr 1944 den Aufnahmeantrag der NSDAP. Die Karteikarten des BDC weisen seine Mitgliedschaft nach. Der spätere Kulturminister wurde in Auswertung des 11. Plenums des Zentralkomitees der SED vom Dezember 1965, dem sogenannten „Kahlschlagplenum“, abgelöst, da er sich gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche einsetzte. Seine letzte Funktion war die des Generalintendanten des DDR-Fernsehens 1989/90.

Einvernehmlich beschwiegen

Beim Eintritt in die KPD gab er die Zugehörigkeit zur NSDAP an, erhielt jedoch von Otto Sepke, später Mitglied der SED-Parteikontrollkommission, die Erlaubnis, diesen Punkt zukünftig zu verheimlichen. Auch wenn an dieser Stelle dem jugendlichen Bentzien nicht die Unterschrift unter den NS-Parteiantrag zum Vorwurf gemacht werden kann, so geht es dennoch um den Umgang mit diesem Thema, welches zukünftig „einvernehmlich beschwiegen“ werden sollte und in den Personalbögen der DDR auch wurde.

Als weiteres Beispiel für den Umgang mit der eigenen NSDAP-Vergangenheit fungiert der 1. Parteisekretär der Industriekreisleitung des VEB Carl Zeiss Jena. Heinz Tittl, geboren 1926, trat 1944 der NSDAP bei. Seine NSDAP-Mitgliedschaft verschwieg Tittl konsequent in allen Lebensläufen. In seiner Funktion als Vorsitzender der IKL zwang er 1968 einen innerparteilichen Gegner zum Rücktritt mit der Begründung, dass jener seit 1944 Mitglied der Nazipartei gewesen sei. Dieser Kaderleiter hatte, im Gegensatz zu Tittl, seine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht vertuscht, was ihm nun zum Verhängnis wurde. Beide Akteure waren als 17-Jährige aus der Hitlerjugend heraus in die NSDAP eingetreten, gewissermaßen ein jugendlicher Fehltritt. Dennoch wird deutlich, dass ein offizielles Bekenntnis zur ‚Jugendsünde NSDAP‘ Parteikarrieren beenden konnte. Die SED wünschte sich bei diesem Thema Verschwiegenheit, denn nur so konnte die Fassade eines antifaschistischen Staates – als propagierter Gegenpol zur Bundesrepublik Deutschland – aufrechterhalten werden.

Nicht nur die Bundesrepublik, auch die DDR, bot nach dem Krieg nominellen NSDAP-Mitgliedern eine Chance, am Aufbau des Landes mitzuwirken. Trotz des Integrationswillens der Betroffenen blieb eine NSDAP-Mitgliedschaft in der DDR lebenslang ein Makel. Nach jeder politischen Krise, zum Beispiel am 17. Juni 1953, standen die ehemaligen Parteigenossen unter Generalverdacht.

Jeder Politikwechsel der SED konnte ihren beruflichen Aufstieg beenden. Eine Verheimlichung der braunen Vergangenheit hingegen war häufig erfolgreich, denn überraschend selten überprüfte, thematisierte und funktionalisierte die SED die Lebensläufe ihrer Aufbauhelfer und mithilfe von biografischen Manipulationen war deshalb im ‚antifaschistischen Staat‘ eine aussichtsreiche Karriere möglich.