Merken

Wie Dresden Stadt der Chöre wurde

Das erste Sängerbundfest fand vor 150 Jahren in Dresden statt. In der Festhalle war Platz für 20 000 Gäste.

Teilen
Folgen
© Archiv

Von Monika Dänhardt und Kathleen Goldammer

Wenn es am 16. Mai bei den Dresdner Musikfestspielen wieder heißt „Dresden singt & musiziert“ haben diesmal Jugendchöre ihren Auftritt. Ihr Gesang zum diesjährigen Motto „Feuer Eis“ wird beweisen, dass Dresdens über 200-jährige Chorgeschichte immer weitergeschrieben wird.

Mit dem Chorwesen ging es Ende des 18. Jahrhunderts in Dresden so richtig los. Einen der ersten Singvereine gründet Anton Dreyßig im März 1807 mit der Dreyßigschen Singakademie. Der am 13. Januar 1774 in der Oberlausitz geborene Hoforganist startete mit acht Sängern, um „den Sinn für ächte Kirchmusik zu befriedigen, auszubilden und zu erhalten“. Der Chor gewann rasch an Mitgliedern, auch weil es wenig kostete, Mitglied zu werden. Dreyßig hatte es, wie er selbst schrieb, bei seiner „Unternehmung nicht auf Erwerb abgesehen“. Den ersten großen Erfolg feierte die Sängerakademie am 9. November 1812 in der Dreikönigskirche. Kein geringerer als Carl Maria von Weber schrieb danach an einen Freund: „Die klassischen Meisterwerke Händels, Mozarts, Haydns usw. waren für uns neu und nie gehört.“

Die Akademie behielt ihren hervorragenden Ruf auch nach Dreyßigs Tod im Jahre 1815. Sein Chor bestand bis 1930. Welche Begeisterung die Chormitgliedschaft bei den Dresdnern auslöste, ist bei Wilhelm von Kügelgen zu spüren, der in seinen „Jugenderinnerungen eines alten Mannes“ schreibt: „In jener gedeihlichen Zeit täglichen Fortschritts und Werdens hatte ich das Glück gehabt, auch noch in einer anderen Akademie Zutritt zu finden, nämlich in der nach ihrem Stifter, einem Kantor Dreyßig, benannten Dreyßigschen Singakademie, damals dem ersten Singvereine Dresdens … Die Dreyßigsche Akademie mochte damals an die fünfzig Sänger und Sängerinnen zählen, mit meiner Ausnahme lauter Meister, welche die halsbrechendsten Geschichten mit wunderbarer Unfehlbarkeit vom Blatte sangen …“

Einen seiner ganz großen Auftritte hatte die Dreyßigsche Singakademie beim 1. Deutschen Sängerbundfest in Dresden im Sommer 1865. Dieses Sängerbundfest bewies auf ganz besondere Weise, wie groß damals die Begeisterung für den Chorgesang war. Am viertägigen Fest nahmen etwa 16 000 Sänger aus dem gesamten deutschsprachigen Raum teil -- der Deutsche Sängerbund war 1862 gegründet worden. Für das Fest errichtete man extra eine riesige Festhalle unterhalb der Waldschlösschenbrauerei. Der Architekt Ernst Giese erarbeitete den Plan für das 155 Meter lange und 70 Meter breite Prunkstück. Es soll 20 000 Zuhörern Platz geboten haben. Leider konnte die Halle danach nicht für andere Ereignisse genutzt werden. Kurz nach dem Sängerbundfest beschädigte ein Sturm sie so stark, dass sie bald darauf ganz abgerissen wurde.

Insgesamt sprechen die Chroniken von 300 000 Besuchern bei diesem gigantischen Sängerbundfest, bei dem ein Festumzug zum Programm gehörte. Er ging von der Innenstadt zum Festgelände und wurde von 200 000 Zuschauern bejubelt. Finanziell muss das Fest allerdings ein bisschen zu viel gekostet haben, denn es war danach zu lesen: „Eine Nation, die bei einer solchen Feier sich nicht berauscht und ein Uebriges thut, würde uns als eine geradezu verlorene zu erscheinen haben … Man schelte uns nicht wegen ein paar verschwendeter Thaler!“ Auch wenn von diesem Fest außer Zeitungsberichten wenig blieb, Chorgesang gehörte auch weiterhin zur Freizeitgestaltung der Dresdner Bürger.

Die Liste der Chöre im 19. Jahrhundert ist lang. Da gibt es den Männergesangsverein „Orpheus“, gegründet 1843 und in Aufzeichnungen jener Zeit oft als „stärkster Männerchor Dresdens“ bezeichnet. Es gab die im Januar 1839 gegründete Dresdner Liedertafel, die Robert Schumannsche Singakademie, den Chor Dresdner Tannhäuser. Und es gab ab 1884 den Dresdner Lehrergesangsverein. Nicht der bedeutendste Chor, aber einer, den es heute noch gibt – als Singakademie Dresden.

Anfangs, zur Gründung am 16. Juni 1884, durften nur Lehrer in ihm singen. 1897 vereinigte sich die Dresdner Liedertafel mit dem Lehrerchor. 1922 wurde der Generalmusikdirektor der Staatskapelle, Fritz Busch, Liedermeister des Chors. Durch ihn konnte der Chor gemeinsam mit der Staatskapelle auftreten und bei Operninszenierungen in der Semperoper mitsingen. Fritz Busch war es auch, der 1928 Frauen im Chor mitsingen ließ. Ob Kriegschaos oder Nachkriegsnot – der Chor schaffte es immer wieder, erhalten zu bleiben. Heute liegt die Zahl der Sängerinnen und Sänger bei insgesamt 140, die zahlreiche Auftritte absolvieren. Wenn zu einem Chorfest vielleicht auch nicht mehr 300 000 Besucher kämen, die traditionellen Chorauftritte während der Dresdner Musikfestspiele stoßen auf großes Zuhörerinteresse. Und der Sächsische Chorverband vereint über 260 Laienchöre mit insgesamt 8 000 Sängerinnen und Sängern.