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Wie der Kronprinz das Abc lernt

Am Sonntag wird Schloss Weesenstein lebendig – mit mehr als 30 historischen Figuren.

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© Andrea Dietrich

Von Thomas Morgenroth

Müglitztal. Am Sonntag will Birgit Finger das Hochzeitskleid ihrer Mutter anziehen, es ist weiß und endet bereits über dem Knie. Mini war Mode, damals 1968, als ihre Eltern heirateten, in einer Kirche in Varna in Bulgarien. Erstaunlich, dass die orthodoxen Geistlichen solche Freizügigkeit in ihren heiligen Hallen tolerierten. Birgit Finger wird das vorwiegend aus synthetischen Fasern gefertigte festliche Kleidungsstück auch in einem historischen Ambiente tragen, allerdings nicht in einer Kirche.

Das mütterliche Erbstück ist Birgit Fingers Dienstkleidung für einen Arbeitstag im Schloss Weesenstein, wo die Dresdner Kunstwissenschaftlerin als Kustodin angestellt ist. Ihr Auftritt ist Teil des neuen Projektes „Lebendiges Schloss“. Mehr als 30 Frauen, Männer und Kinder treten in Kostümen inmitten der Ausstellungen als historische Figuren in Erscheinung. Sie bringen den Besuchern mit Anekdoten, wahren Geschichten und Spielen die Geschichte der Burg und des Schlosses sowie deren Bewohner auf unterhaltsame Weise näher: Wie speisten die Herrschaften? Wo lernten die Prinzen das Abc? Wie ging die Königin auf die Toilette?

Die Idee dazu hatte die Museumspädagogin Monika Paul aus Dohna, die auf dem Weesenstein Programme für Kinder und Familien gestaltet und über einen großen Fundus an Kostümen verfügt. Im vergangenen Jahr startete sie mit den Mitarbeitern einen Testlauf des lebendigen Schlosses als interne Veranstaltung. „Wir waren begeistert“, sagt Birgit Finger, die dann auch in der Dresdner Zentrale der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten auf Wohlwollen stieß – nach anfänglichen Bedenken wegen der empfindlichen Objekte.

Diesen Sonntag nun trinken zum Beispiel Schlossleiterin Andrea Dietrich und Eventmanagerin Antje Scholz im chinesischen Salon inmitten der schönen Panoramatapete auf Lackmöbeln ihren Tee und erörtern Familienangelegenheiten wie bevorstehende Hochzeiten und Hoflager. Ein Frauengespräch, für Männer und Kinder vielleicht weniger spannend. Die können dafür im Kreuzraum von Christian Büttner etwas über die Dohnaische Fehde erfahren, als vor 600 Jahren die Steinkugeln über die Müglitz flogen. Höhepunkt ist die Vorführung einer solchen Wurfmaschine – die Geschosse sind allerdings Bonbons.

An insgesamt 19 Stationen wird das Leben auf dem Weesenstein lebendig. Das beginnt bereits bei den Damen an der Kasse, die in historischer Kleidung die Eintrittskarten verkaufen, die dann am Eingang von einer Wache mit Hellebarden kontrolliert werden, gespielt von Peer Tomaschewski und Francois Bilz, Mitgliedern des Weesensteiner Schlosstheaters Trostpflastersteine. Oben, im Salettchen, steht Ralf Mattern als Kammerdiener Julius Wachs, der die Besucher willkommen heißt und vorsorglich einen Nachttopf bereithält – man kann ja nie wissen.

Historische Tafelgäste

Im ersten Schlosshof gestaltet Paula Herold, bekannt als künstlerische Leiterin des Weesensteiner Mittelalterfestes, zusammen mit der Braukommune, die auch die Bewirtung der Besucher übernimmt, eine Tafel mit historischen Personen wie dem dänischen Dichter Hans-Christian Andersen, dem Maxener Schlossherren Serre und Soldaten. Im Theatersaal zeigt Monika Paul historische Kostüme und Tänze, die Gäste dürfen mitmachen, und im Garten bepflanzt Roswitha Eggers Kräutertöpfe.

Sabine Buchheim, die gute Fee im Empfangszimmer der Schlossverwaltung, wird sogar gekrönt: Sie darf Königin sein, nämlich Johanns Gemahlin Amalie Auguste von Bayern, die im Königin-Amalie-Zimmer aus deren Biografie liest und mit der Feder Briefe an ihre Jugendfreundin Fanny von Ow schreibt, die, gespielt von Marzella Röder, ebenfalls anwesend ist. Sabine Buchheims Mann Christoph, von Beruf Geologe, spielt in der Evangelischen Schlosskapelle auf der Orgel Werke von Johann Sebastian Bach. Mitarbeiter Alexander Hänel setzt sich einen Tropenhelm auf und führt auf dem Taubenboden durch die Sonderausstellung zu Johanns Reisen durch den Orient, und Johannes Paul zeigt die Kunst des Scherenschnitts – um nur einige der Mitwirkenden zu nennen.

Wie nun aber passt Birgit Finger mit dem Brautkleid ihrer Mutter da hinein? Die Antwort findet sich in der DDR-Modezeitschrift „Sibylle“. Für die Ausgabe 02 des Jahres 1966 setzte der Leipziger Fotograf Günter Rössler, berühmt für seine Aktfotos im „Magazin“, auf dem Weesenstein Mannequins mit sommerlichen Festkleidern in Szene. Unter anderem auch im Ledertapetensaal, in dem Birgit Finger nicht nur ein solches Kleid trägt, sondern auch eine Originalausgabe der „Sibylle“ zeigt.

„Lebendiges Schloss“ am 20. August, von 10 bis 18 Uhr, auf dem Weesenstein; Eintritt 10 Euro, Familienkarte ab 15 Euro; Infos unterTelefon 0350276260.

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