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Wie der Bahnhof in die Bäckerei kommt

Dieter Schmusch aus Reichenbach baut im Advent eine Modellbahn beim Jesche-Bäcker auf. Sie zeigt die Stadt im Kleinformat.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Anja Gail

Reichenbach. Die letzten Handgriffe sind getan. Nun kann die Modelleisenbahn beim Jesche-Bäcker in Reichenbach Fahrt aufnehmen. Rechtzeitig vor dem zweiten Advent hat Dieter Schmusch noch das selbst gebaute Bahnhofshäuschen auf der Platte im Bäckerladen aufgestellt. Und wie kann es anders sein: Auch dieses Gebäude werden aufmerksame Kunden wiedererkennen. Denn es ist nicht irgendein Bahnhof, sondern der Reichenbacher.

Und so ragen in diesem Jahr auch die Reichenbacher Kirchtürme in der kleinen Modellstadt empor. Wer genau hinschaut, wird auf dem Marktplatz einen der beiden Brunnen und die Adler-Apotheke entdecken. Und selbst die Bäckerei an der Löbauer Straße hat einen Platz inmitten der Eisenbahnlandschaft gefunden.

Am späten Nachmittag, wenn es draußen dunkel wird, leuchten die Häuschen auf der Anlage. Diese kleine Attraktion hat dem Handwerksbetrieb zur Weihnachtszeit bei den Kindern einen besonderen Namen eingebracht: Eisenbahnbäcker. Benita Marschner, die Frau von Bäckermeister Dirk Jesche, hat aber auch schon etliche interessierte Blicke in Richtung Anlage von der männlichen Kundschaft beobachtet.

Wenn es nach Dieter Schmusch ginge, würde er die Bahn bis in den Frühstücksraum der Bäckerei hineinfahren lassen. Modellhäuschen und Ideen hätte der 61-Jährige dafür viele. Denn seine Anlage zu Hause erstreckt sich mittlerweile auf 15 Quadratmetern. Und die plündert er auch immer für die Platte, die er für die Bäckerei zurechtmacht. Das ganz Jahr über bis zum Dezember steht sie zu Hause, bis sie im Advent mit einer neuen Idee und Reichenbacher Häuschen bestückt wird.

Den Platz dafür im Keller und den für eine kleine Werkstatt in der Garage hat ihm seine Frau gern eingeräumt. Denn für den Reichenbacher war der Modellbahnbau vor vielen Jahren ein Anker, mit dessen Hilfe er sich neu ausrichten konnte. Damals musste er im Görlitzer Waggonbau aufhören – aus betrieblichen Gründen. Ein Jahr später verletzte er sich zu Hause bei einem Unfall mit der Kreissäge schwer an seiner linken Hand. Der Anstoß, es trotz Einschränkung mit dem Eisenbahnmodellbau zu versuchen, kam aus dem Kreis der Familie und war, wie sich herausstellte, genau das Richtige für ihn. Denn die Liebe zum Holz und das handwerkliche Geschick, das er von seinem Vater hat, ließen sich damit gut verbinden. Der Vater war Stellmacher und hatte ihm schon früh das Drechseln und andere Fertigkeiten beigebracht.

Für den Aufbau im Bäckerladen benötigt Dieter Schmusch nur wenige Nachmittage. Bis dahin läuft die gesamte Vorarbeit zu Hause. Der 61-Jährige ist ein langjähriger Freund der Bäckerfamilie. Peter Jesche hatte ihm irgendwann einmal vor vielen Jahren eine alte zerlegte Eisenbahn mitgegeben und ihn später gebeten, doch mal eine kleine Schleife für das Schaufenster der Bäckerei zurechtzumachen. Für die Kinder, wie der Bäckermeister sich das damals so vorstellte.

Im Laufe der Jahre ist aus der kleinen Runde aber eine richtige Landschaft geworden. Und Dirk Jesche, der die Bäckerei längst von seinem Vater übernommen hat, räumte dafür auch noch etwas Fläche im Laden ein.

Gekaufte Modellbausätze für die Eisenbahn kommen für Dieter Schmusch nicht infrage. Das sei ja immer das Gleiche, sagt er. So hat er sich schnell seine eigene Taktik entwickelt. Objekte aus Reichenbach oder Görlitz, die er im Kleinformat bauen will, fotografiert er vorher oder er nutzt Karten als Vorlage. Dann fertigt er sich Zeichnungen an und bemüht sich, die Gebäude passend im Verhältnis zur Umgebung zu bauen. Figuren, Sträucher, Bäume, das Gleismaterial und weiteres Zubehör kauft er dazu. Und so zaubert er jedes Jahr auch ein Stück Reichenbach auf die Eisenbahnplatte in der Bäckerei. Manchmal muss er dann noch später etwas richten, erzählt Benita Marschner. Unlängst erst habe er deshalb draußen vor dem Schaufenster mit dem Zollstock gestanden und Maß genommen, weil das Geschäft schon zu war. Da habe sie ihm noch mal aufgeschlossen.

Nun ist alles fertig und wird bis ins neue Jahr hinein zu bewundern sein. Obwohl die Eisenbahn hinter dem Schaufenster schon so ein alter Hut oder nur etwas für Nostalgiker zu sein scheint – ohne sie würde vielen Kunden im Advent etwas fehlen.