Merken

Wie bio ist Herrnhut?

Kristina Dienel ist mit ihrem Naturkostgeschäft in die Stadt gezogen. Nicht ganz freiwillig. Aber der Umzug hat Vorteile.

Teilen
Folgen
© Matthias Weber

Von Susanne Sodan

Herrnhut. Es ist, als ob ein Feldwebel Kristina Dienels Geschäft inspiziert. Mit Blick an die Decke marschiert Marcin Ksiazko zwischen Kistenstapeln und Abdeckfolie hindurch. „Hier müssen wir noch mal abschleifen, dort auch“, ruft er Kristina Dienel zu. Kontrolle der Fenster: „Die Ecken müssen gespachteln werden, das ist noch nicht ordentlich.“ Blick zurück an die Decke: „Hier brauchen wir eine zweite Farbschicht.“ Die Liste, was noch zu tun ist, wird länger, die Zeit knapper. Das hier ist das Ende eines Baumarathons. Innerhalb eines halben Jahres hat Kristina Dienel gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden wie Marcin Ksiazko aus einer alten Villa in Herrnhut einen Bioladen gemacht. An diesem Sonnabend ist die Eröffnung.

Die Folien sind weg, die Wasserwaage, Werkzeugkisten und Farbeimer verschwunden. Stattdessen steht rechts vom Eingang jetzt eine Frischetheke mit Käse und Oliven, gerade noch rechtzeitig geliefert. Dahinter ziehen sich Regale mit Tees, Lebensmitteln und Kosmetika – alles bio, vieles aus der Region. Geradeaus gibt’s frische Blumen, links stehen Regale voller Gemüse. Das kommt aus dem Gartenbetrieb der Eltern von Kristina Dienel. Dort, in Strahwalde, führte die Familie schon seit 2012 ein Naturkostgeschäft – bis die Kündigung für die angemieteten Räume kam. Der Betrieb Landtechnik, dem sie gehören, will sich vergrößern.

An den Tag der Kündigung kann sich Kristina Dienel noch genau erinnern: Panik. „Ich habe noch am Abend die Immobilien-Portale im Internet durchforstet“, erzählt sie. Während der Wochen der Suche nach einer neuen Verkaufsfläche wechselten sich Hoffnung und Enttäuschung regelmäßig ab. Irgendwann kam die Frage auf: Hören wir ganz auf? Aber da war diese Villa gegenüber dem Bahnhof Herrnhut. „Die ist mir auf der Suche immer wieder ins Auge gefallen.“ Eigentlich ein baufälliges Haus, jahrelang verschlossen, mit undichtem Dach. Aber reinschauen kann man ja mal. Und mit dem Besitzer sprechen. Und ein Konzept ausarbeiten. „Meine Eltern sagten: Wenn du das machst, bist du ein bisschen verrückt.“ Ein paar Wochen später begann die Familie Dienel damit, Sperrmüll und Schrott aus der Villa zu räumen.

Mit dem Naturkostgeschäft verstärken Dienels einen Bereich im Handel, der in der Oberlausitz an Bedeutung gewinnt: kleinere Händler, die Bioprodukte aus der Region in der Region anbieten. Dass sich der Trend ausbreitet, spüren auch andere Oberlausitzer Anbieter. Das Vegan-Café Herzstück in Görlitz, das viele regionale Bioprodukte verarbeitet, läuft zum Beispiel von Beginn an gut. Der Lieferdienst Localeben, ebenfalls in Görlitz ansässig, muss zwar derzeit wegen eines Unfalls der Inhaberin pausieren. Bis dahin aber hatte sich die Zahl der Kunden für frisches Obst, Gemüse und Backwaren stetig vergrößert. Ähnlich ist es bei der Gärtnerei Jung in Hilbersdorf, die ihr Gemüse auf Wunsch ebenfalls bis vor die Haustür liefert.

Auch Dienels bieten neben dem Geschäft einen Lieferservice, den etwa 50 feste Kunden nutzen, Tendenz steigend. Aber ein Risiko bleibt. „Ich werde jetzt erfahren, ob das Bewusstsein für Produkte, wie wir sie führen, hier bereits angekommen ist“, sagt Kristina Dienel. Auf jeden Fall bringt der Umzug nach Herrnhut Vorteile für das Naturkostgeschäft. „In Strahwalde war ich immer ein wenig ab vom Schuss“, erklärt sie. Dass dort jemand zufällig vorbeikam, war unwahrscheinlich. Jetzt steht ihr Geschäft direkt an der alten B 178, der Verbindung zwischen Löbau und Zittau. „Vielleicht kommen hier mehr Zufallskunden oder Touristen vorbei“, hofft Kristina Dienel. Nicht nur die Bundesstraße verläuft vor ihrer neuen Haustür, sondern auch der Radweg. „Strahwalde war deutlich schwieriger zu erreichen.“ Außerdem sitzen mehr Unternehmen und andere Einrichtungen in der Nähe: die Herrnhuter Sternemanufaktur, Ärzte, Altersheim, die Firma Krause-Metall.

Und der Umzug bringt auch Neuerungen für das Naturkostgeschäft: die Frischetheke mit Käse und Oliven zum Beispiel. Ebenfalls neu ist das Sommercafé, das in den warmen Monaten geöffnet sein wird. Vor dem Geschäft ist dafür genug Platz. Im Sommer will Kristina Dienel Tische aufstellen und Kaffee und frisch zubereitete Smoothies, also Mixgetränke aus Früchten, anbieten. Viel Zeit für Sorgen, ob das funktioniert, hat sie ohnehin nicht. Das Erdgeschoss mit dem Laden ist fertig, die oberen Stockwerke in der Villa gegenüber dem Bahnhof sind es noch nicht. Dort entstehen Wohnungen. Auch das wird wieder ein Projekt der ganzen Familie und des Freundeskreises. „Ohne sie wäre das nicht zu schaffen.“ Dass es ordentlich wird, dafür wird Marcin Ksiazko schon sorgen. (mit jay)