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Wie aus Verpflegungsbomben Schüsseln wurden

Franz Menzel bewahrt sie auf als Erinnerung an die Flucht nach Bayern, den harten Neuanfang in Niesky und an seine Mutter.

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© André Schulze

Von Carla Mattern

Das Aluminium ist blankgewienert, auf der unteren Seite sind noch Zeichen erkennbar. Franz Menzel hat über all die Jahre in seinem Wohnhaus in Niesky diese Schüsseln aufbewahrt. Wahrscheinlich sind die beiden Schüsseln aus einer sogenannten Verpflegungsbombe gemacht. Die warfen die Deutschen im Zweiten Weltkrieg hinter der Kampflinie ab, um die Soldaten zu verpflegen. Auf einem Zettel hat der Nieskyer einige Fakten notiert, zusammen könnten Schüsseln und Zettel in jedem Museum direkt in die Vitrine, um ausgestellt zu werden.

Auf der Rückseite ist noch eine Aufschrift erkennbar.
Auf der Rückseite ist noch eine Aufschrift erkennbar. © André Schulze

Das waren sie noch nicht und werden das wohl auch nicht. Doch so unscheinbar die beiden Schüsseln auch aussehen: Für Franz Menzel sind sie es wert, nicht auf dem Sperrmüll oder im Schrottcontainer zu landen. Der 79-Jährige erinnert sich noch gut an die Zeit, als die beiden Schüsseln täglich genutzt wurden. Es fehlte an allem, als Franz Menzel mit seiner Mutter, der Schwester, der Großmutter, zwei Tanten, einem Onkel und vier Cousins 1945 im niederbayrischen Mainkofen ankam. Etwa 12 Kilometer entfernt von der Kreisstadt Deggendorf wurden die Flüchtlinge aus Niesky und Liegnitz einquartiert. „Unsere Wirtin war ein Biest. Sie machte der Mutter das Leben schwer“, sagt Franz Menzel. Viele Bayern waren nicht sehr froh, dass sie uns unterbringen mussten, erzählt er. Etwa 60 Waggons habe der Zug gehabt, mit dem Menzels und viele andere Familien aus Niesky im Februar 1945 bis nach Bayern gebracht wurden. Man habe keine Wahl gehabt, in der Heimat zu bleiben. Der Flüchtlingstreck war vier Tage und Nächte unterwegs.

Damals war Franz Menzel neun Jahre, fand auch einen Freund unter den einheimischen Jungs aus dem Ort zwischen Donau und Isar. Doch die Mutter hatte zu tun, für ihre Familie zu sorgen. Bei einem Handwerker, der aus der Backa-Region im heutigen Serbien/Ungarn geflüchtet war, kaufte sie die zwei Schüsseln, Messer, Gabeln, eine Reibe, eine Kelle, Kochlöffel. „Wir hatten doch nichts“, erinnert sich Franz Menzel. Ob die Mutter den handwerklichen Flüchtling mit Geld bezahlte, oder irgendetwas eintauschte?

Auch nachdem die Menzels nach einer beschwerlichen Rückreise im August 1946 mit einer drei Wochen dauernden Quarantäne in der Nähe von Hof wieder zu Hause ankamen, waren sie froh, die Gebrauchsgegenstände dabei zu haben. Denn in Niesky erwartete sie eine böse Überraschung. Die Stadt war zwischen die Fronten geraten. Vor allem im Zentrum gab es viele zerstörte Gebäude. Auch das Haus Muskauer Straße 6 war beschädigt, die Wohnung der Menzels ausgebrannt. Das Haus kennen manche Nieskyer noch unter dem Namen Menzelhaus. Der Urgroßvater hatte es als Geschäfts- und Wohnhaus errichten lassen. Von dem Kaufmann und Schneidermeister ging es über an den Sohn. Der führte das Geschäft bis in die 1930er Jahre weiter, dann übernahm dessen Sohn, der pleiteging. In dem Haus, in dem sich viele Jahre das Schuhhaus Weinert befand, hatten die Menzels aber trotzdem noch ihre Wohnung. Doch nun mussten Dora Menzel und ihre Kinder Franz und Leonore in ein Notquartier ziehen. Das war eine Ein-Raum-Wohnung in einem Haus an der Rothenburger Straße. Wieder hatten die Menzels nicht viel. Glücklicherweise gab es auch ein Gartengrundstück mit hölzerner Laube an der Straße Am Kanicht. Dort wurde Gemüse angebaut, Obst geerntet und Tiere gehalten. Die beiden Schüsseln erfüllten wieder ihren Zweck. In der größeren wurde Wäsche gewaschen, Gras geholt, in der kleineren bekamen die Tiere ihr Futter hingestellt. Die Messer und Kochlöffel hatten irgendwann ausgedient, nicht aber die Schüsseln.

1948 kehrte Franz Menzels Vater Kunz aus der Gefangenschaft zu seiner Familie zurück. „Wir hatten eine ganze Zeit keine Verbindung zum Vater“, sagt der Nieskyer. Zuerst hatte es ihn nach Italien verschlagen, dann arbeitete er als Kriegsgefangener in England in der Landwirtschaft. Dort hatte er gut zu essen bekommen. „Er kam rund aus der Gefangenschaft zurück.“ Immerhin konnte er der Familie einiges zukommen lassen, Franz Menzel erinnert sich an einen Fußball und Pakete mit Essen. Obwohl 1960 Franz Menzels Mutter starb, blieben die Schüsseln weiter in Benutzung. Menzel lernte im Waggonbau Schlosser, machte den Techniker für Maschinenbau. Später wechselte er zur Wasserwirtschaftsdirektion Cottbus, begann in der Oberbauleitung der Talsperre Quitzdorf zu arbeiten. Er blieb in Sproitz, als Staumeister, bis zur Rente. Auf dem Menzel'schen Gartengrundstück baute er für sich und seine Familie ein Eigenheim. Seit 30 Jahren wohnen sie jetzt schon hier. Mit den Schüsseln, all die Jahre. Und so bleibt es auch, versichert Franz Menzel.