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Ein Meister-Werk aus Handy-Sounds

Ein Dresdner komponiert aus Tonschnipseln eine Erkennungsmelodie für das Handwerk.

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© Jan Zappner

Von Michael Rothe

Dieser Tage sollten Nachbarn von Tischlern, Metallbauern, Fleischern oder Baufirmen nachsichtig sein – auch bei steigendem Geräuschpegel. Womöglich versucht sich der Handwerker von nebenan als Mitwirkender bei einem besonderen Kunstwerk, das ein Ohrwurm werden könnte. Das ist die Hoffnung des Zentralverbands des deutschen Handwerks, der seit sieben Jahren eine Imagekampagne fährt – jedoch mit überschaubarem Erfolg.

Zwar ist das Konjunkturklima speziell im Osten besser denn je seit der Wende. Dennoch fehlen Lehrlinge und den Meistern die Nachfolger. Folge: Betriebe und ganze Berufe sterben aus. Ausufernde Bürokratie, Kostennachteile gegenüber der industriellen Konkurrenz und schwindende Wertschätzung für anstrengende Handarbeit gelten als Hauptursachen. Kammern und Verbände stemmen sich mit immer neuen Aktionen gegen den Trend.

Der jüngste Versuch lässt aufhorchen. Die selbst ernannte „Wirtschaftsmacht von nebenan“ soll eine eigene Melodie bekommen: aus Arbeitsgeräuschen. „Hämmern, Sägen, Klopfen, Schweißen – wenn sich Handwerker ans Werk machen, entstehen nicht nur vielfältige Produkte, sondern auch unterschiedliche Töne“, heißt es von der Handwerkskammer zu Leipzig. Jene Alltagsgeräusche will die Kampagne einfangen und in einem Jingle vereinen – Sekunden, die im Kopf bleiben. Wer kennt nicht das DaDaDaDiDa-Geklimper am Ende der Telekom-Werbespots oder das Babumm-Babumm, Audis Herzschlag fürs Ohr. Nun sind die Handwerker im Land aufgerufen, typische Geräusche eines Werkzeugs oder der Arbeitsumgebung per Handy aufzunehmen und auf der Website des Verbands hochzuladen. Ganz nebenbei: Im Handwerk gibt es gut 130 Berufe.

Der Komponist, der sich dieser Herausforderung stellt, heißt Thomas Berlin, lebt in Berlin – ist aber Dresdner. Der 48-Jährige studierte Musikwissenschaften an der Humboldt-Uni und später an der Dresdner Musikhochschule Klavier und Komposition. Sein 38-jähriger Kompagnon Ramin Schmiedekampf ist Tontechniker, gelernter Kaufmann für audiovisuelle Medien und Kreativdirektor Text. Gemeinsam betreiben sie am Potsdamer Platz das Musikstudio 48k. Der Name steht für die digitale Audiofrequenz von 48 Kilohertz.

„In der heutigen, von Bewegtbild gefluteten Zeit, benötigt Musik für Film mehr Sachverstand als jemals zuvor“, heißt es auf der Website des Studios. Daher böten das Duo und ein Assistent Beratung, maßgeschneiderte Kompositionen und ausgetüftelte Sound- und Soundlogo-Designs an – „alles, was einen Film über den Audiokanal substanziell besser macht“.

Ihre Referenzliste tönt wie ein „Who is Who der Wirtschaft“. Dort stehen Clips von Mercedes, McDonald’s, Ikea, Adidas, Otto – vom Hustenbonbon bis zum Auto. Als die Bundesregierung 2015 das Jubiläum der deutschen Einheit feiern wollte, fanden sie selbst für blühende Landschaften Töne. Beim ZDH, Dachverband des Handwerks, sind die beiden Wiederholungstäter. Für den „Weg des Meisters“ im Stil alter Kung-Fu-Filme gab es beim jüngsten ADC-Festival, Jahrestreff der Kreativen in Hamburg, eine Auszeichnung.

„Preise sind mir nicht wichtig“, sagt Thomas Berlin, ohne überheblich zu sein. „Ich suche mein Heil in der Musik.“ Sein Sound geht auch über Sekunden hinaus. Er war Produzent der Popsängerin Sarah Connor, arbeitete für den Erfolgstexter Burkhard Lasch, der u. a. „Alt wie ein Baum“ (Puhdys) und „Jugendliebe“ (Ute Freudenberg) schrieb. Auch die nächsten neun Folgen der ARD-Fernsehserie „In aller Freundschaft“ tragen seine Audio-Handschrift. Zur Sicherheit hat er Laptop oder Keyboard immer dabei – „falls eine Eingebung kommt“.

Der Sachse hat seit fast 20 Jahren an der Spree ein neues Zuhause gefunden. Eine alte Liebe ist geblieben: „Ich bin in Berlin der größte Dynamo-Fan“, sagt er. Wann immer er kann, fährt er zu den Heimspielen nach Dresden, wo sein Vater lebt. Zum Handwerk hat der zweifache Familienvater und Hundebesitzer nicht nur eine geschäftliche Verbindung. „Mein Großvater Heinz Jentsch war als Ofensetzer eine anerkannte Größe in Dresden“, sagt er stolz.

Das Handwerk von heute tut sich schwer, seinen Ruf aufzupolieren, die Resonanz auf die ausgerufene „Ton-Schnipseljagd“ ist mau. „Mir fehlen gefühlt noch 500 Geräusche“, sagt Berlin. Womöglich weil die auf Tradition gepolten Adressaten den Ruf der Zentrale nicht gehört haben, da er über neue Medien ertönte? Jetzt wurde der Einsendeschluss auf den 24. Juli verlängert. Im Herbst soll man die akustische Visitenkarte des Handwerks downloaden können – als Klingelton oder Telefonwarteschleife.