Merken

Wer tanzt künftig wo?

Die städtische Musikschule zieht ins Kraftwerk Mitte. Weil dafür Standorte schließen, entlädt sich beim Elternabend der Frust.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Marcel Laskus

Lädt das Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden (HSKD) zum Elternabend ein, kommen für gewöhnlich nur zehn bis 15 Väter und Mütter. An diesem Montag sind es mehr als 300. Fast jeder Stuhl im großen Saal in der Glacisstraße ist besetzt, die Stimmung ist gereizt, die Empörung groß. Wie konnte es dazu kommen?

Eigentlich ist die Geschichte der Musikschule HSKD eine lange Geschichte der Erfolge. Tausende Kinder und Erwachsene lernen an der Musikschule über Jahrzehnte das Tanzen und Musizieren. Dabei gewannen sie immer wieder Preise, etwa bei „Jugend musiziert“ und „Jugend tanzt“. Das Renommee der Schule ist hoch, auch über die Stadtgrenzen Dresdens hinaus. Nun aber kursiert ein Szenario, laut dem Standorte des HSKD geschlossen werden, darunter die Tenza-Schmiede in der Johannstadt und die Loge in der Äußeren Neustadt. Beide Schulen verfügen über je zwei Tanzsäle, in denen zusammen mehr als 600 Schüler trainieren. Nach jetzigem Stand zieht sich das HSKD aus der Tenza-Schmiede noch in diesem Jahr zurück, über den Verbleib der Loge steht eine Entscheidung noch aus. Der Unmut der Eltern formierte sich schneller gegen diese Pläne, als HSKD-Chefin Kati Kasper darüber am Elternabend offiziell informieren konnte.

Zwei Internet-Petitionen, die sich gegen die Schließungen aussprechen, sammelten indes über 700 Unterschriften. „Wir müssen den Tanz dann wohl für unsere zwei Töchter aufgeben“, sagt Roland Schwarz, der eine der Petitionen aufsetzte und einen offenen Brief an die HSKD-Chefin schrieb. Schwarz wohnt in der Neustadt, seine fünf- und siebenjährigen Kinder haben bisher einen kurzen Weg zur Tanzschule Loge, das spart Geld und Zeit.

Künftig führt der Weg zum Tanz für viele Schüler wohl über die Elbe und in den Dresdner Westen. Zur Saison 2016/2017 bezieht das Konservatorium dann seinen neuen Standort am Kraftwerk Mitte. „Das ist eine Entscheidung für morgen, das Kraftwerk soll ein lebendiger Standort werden“, begründet HSKD-Chefin Kasper diesen Schritt beim Elternabend. 16 Unterrichtsräume stehen dem HSKD auf mehr als 1 000 Quadratmetern zur Verfügung, in denen bald Schlagzeuger, Streicher, Bläser und Pianisten sowie Tänzer trainieren. Das Licht und die Akustik hätten dort eine hohe Qualität. Außerdem sei es mit dem Standort möglich, neue Menschen in der Stadt zu erreichen: Am Kraftwerk Mitte haben es Kinder aus der Friedrichstadt leichter, zum HSKD zu gelangen. „Bisher ist der Dresdner Westen für uns terra incognita“, sagt Klaus Gaber, Vorstandsvorsitzender des Konservatoriums.

Von diesen Worten lässt sich das Publikum nicht überzeugen, denn die Nähe des Kraftwerks zur Friedrichstadt nützt den anwesenden Eltern recht wenig. Sie wohnen überwiegend in der Neustadt, der Johannstadt und Striesen. Die größere Entfernung sei vor allem für die Kinder im Vorschulalter ein Problem, da sie den Weg zur Schule nicht alleine bewältigen können. Dass das HSKD auch in der neuen 144. Grundschule in Mickten einen neuen Standort eröffnet, mag für manchen ein Trostpflaster sein. Dennoch erheben aufgebrachte Väter und Mütter im Minutentakt das Wort, um ihren Unmut zu äußern. Meist wird das mit Applaus der anderen Eltern quittiert.

Größter Aufreger ist dabei der drohende Wegfall eines Tanzsaals. Ursprünglich hat das HSKD mit zwei Tanzsälen am Kraftwerk geplant, um in der Summe bei vier Sälen für ganz Dresden zu bleiben. Nun stellt sich heraus: Es wird bloß einen Saal im Kraftwerk geben, da sich der zweite baulich doch nicht für den Tanz eignet. Für etwa 175 Tanzschüler fehlt somit nach jetziger Planung ein Saal. HSKD-Chefin Kasper bedauert diesen Missstand und kündigt an, nach Ausweich-Lösungen zu suchen: „Jedes Kind, das im Tanzunterricht ist, bekommt ein Angebot.“ Derzeit werde darüber verhandelt, ob es möglich sei, einen Tanzsaal der Tenza-Schmiede auch in Zukunft zu nutzen. Anderenfalls sei auch die Zusammenarbeit mit anderen Tanzschulen denkbar, so Kasper. Für viele Eltern käme ein Wechsel zu einer anderen Musikschule jedoch nicht infrage, zu sehr fühlen sie sich dem Konservatorium verbunden.

Nach mehr als zwei Stunden der Diskussion haben sich viele ihres Frusts entledigt. Wie und wo es mit dem Tanz am HSKD weitergeht, weiß jedoch keiner. „Ich kann heute nicht alle Antworten geben“, sagt Kati Kasper und bittet um Verständnis: „Manchmal versuchen wir am HSKD die Quadratur des Kreises.“ Dann geht sie auf einen Punkt ein, bei dem sie schnellstens nachbessern will: der Kommunikation zwischen den Eltern und der Schule.

Ein Nachrichten-Blog auf der Website soll künftig über Neuigkeiten informieren, ein E-Mail-Verteiler den schnellen, direkten Kontakt zu den Eltern herstellen. Denn, so viel scheint nach diesem Abend festzustehen: Die größte Kränkung der Eltern ist das Gefühl, über wichtige Entscheidungen nicht transparent genug informiert zu werden.