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Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein

Bayerns Shopping-Tour heizt die Hysterie an. Dabei nutzen sie nur den Kreislauf im Profifußball – genau wie die kleineren Klubs.

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Sind sie nun wieder die „arroganten Bayern“ und die „Millionarios, die alles mit ihrem Scheißgeld zusammenkaufen können“, wie sich gestern aufgebrachte Fußball-Fans unter anderen bei einem Telefon-Einspieler des TV-Senders Sport1 Luft verschafften? Schon scheint der faszinierende Ball-Zauber bei der Gala über den FC Barcelona vergessen zu sein: Bayern Münchens Shopping-Tour durch die Bundesliga lässt den Volkszorn aufkochen. Gewürzt noch mit den fiskalischen Verfehlungen seines Präsidenten Uli Hoeneß, die doch nichts mit dem FC Bayern zu tun haben. Die diversen sozialen Netzwerke quellen ohnehin über von Beschimpfungen, die Hysterie kennt offenbar keine Grenzen mehr.

„Da wird ein Wahnsinn verbreitet, dass es einem manchmal schlecht wird, Aber diesen Geist kriegen wir nicht mehr in die Flasche“, sagte Hans-Joachim Watzke. Der Geschäftsführer von Borussia Dortmund meinte damit zwar vordergründig das nicht mehr aufzuhaltende Gerüchte-Karussell um einen angeblichen Totalausverkauf seines Vereins. Doch Watzkes fast resignierender Unterton steht schon exemplarisch für eine sich überschlagende Situation in der Fußball-Öffentlichkeit.

Niemand sollte sich allerdings wundern. Die Empörungsrituale haben in Deutschland schon längst Hochkonjunktur – siehe in der Politik und in der Gesellschaft, wo bestimmte Erregungs-Fanatiker(innen) seit Jahren ihrer Lieblingsbeschäftigung frönen. Und deshalb sollte auch niemand erschrocken sein, wenn sich nun die Entrüstung über die „bösen Bayern“ Bahn bricht. Denn auch im Fußball bliesen die Protagonisten selbst fleißig mit, um den Sturm der Entrüstung ja nicht abflauen zu lassen. Zum Teil sind es hochrangige Vertreter aus Bundesliga-Vereinen.

Zum Beispiel Christian Heidel. Der Mainzer Manager hat die bajuwarische Transferpolitik scharf kritisiert. „Wie sich die Bayern derzeit verhalten, ist nicht würdig für einen deutschen Meister“, hatte Heidel bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt/Main gesagt. Heidel bezog sich dabei auf den Sensationstransfer vom Dortmunder Nationalspieler Mario Götze und empörte sich darüber, dass die Nachricht ausgerechnet unmittelbar vor dem Halbfinal-Hinspiel der Dortmunder gegen Real Madrid in der Champions League durchgesickert war. Der Groll über die Bayern sitzt ohnehin tief beim Mainzer. Die Münchner hatten FSV-Talent Jan Kirchhoff ablösefrei unter Vertrag genommen. „Irgendwann haben wir erfahren, dass bei den Bayern ein Medizincheck stattfindet. Auf einen kurzen Anruf, dass unser Spieler unter Vertrag genommen wurde, warten wir nach wie vor“, sagte daraufhin Heidel.

Den Anruf bekam er nicht – dafür aber eine symbolische Watschn, wie die Bayern sagen, von Matthias Sammer. „Wenn jemand eine Problematik mit uns hat und wenn er dann von Stil spricht – warum ruft er uns dann nicht an?“, sagte der Bayern-Sportdirektor bei „LIGA total!“. Der aus Dresden stammende Sammer übernahm für seinen Präsidenten dessen Abteilung Attacke. „Eines Meisters nicht würdig? Das kann er nicht beurteilen, weil er wahrscheinlich auch nie Meister werden wird“, wetterte Sammer. Ob er mit dieser harschen Zurechtweisung allerdings gut beraten war? Dass kleinere Vereine wie Mainz oder Zweitligisten wie Dynamo Dresden und Energie Cottbus höchstens eine hypothetische Chance auf den Titel haben, liegt auf der Hand. In der sich naturgemäß viel, viel weniger Geld befindet als in München. „Geld schießt eben doch Tore und verhindert auch welche“, sagte Armin Veh, Trainer von Eintracht Frankfurt.

Bei aller ehrlichen oder auch vorgespielten Empörung: Die Opferrolle steht kaum einem Bundesligisten gut zu Gesicht. Sie profitieren alle von den gleichen Markt-Mechanismen im bezahlten Fußball – freilich mit unterschiedlichen Größen. Hat etwa Mainz 05 in den zurückliegenden Jahren auf den Einkauf von Spielern aus finanziell und sportlich schwächeren Vereinen verzichtet? Oder spielen in Dortmund nur Nachwuchsspieler, die von den Westfalen mit viel Aufwand jahrelang ausgebildet wurden?

Denn auch die Einkaufstouren von BVB-Trainer Jürgen Klopp und Manager Michael Zorc können beeindrucken. Als Nationalspieler Marco Reus im Vorjahr nach Dortmund wechselte, weinte Borussia Mönchengladbach. Und möglicherweise hätten Vereine wie Energie Cottbus und 1860 München mit ihren Super-Bubis Leonardo Bittencourt beziehungsweise Moritz Leitner heute bessere Perspektiven. Beide spielen jetzt in Dortmund.

Ein bisschen mehr Gelassenheit täte der Branche gut. Vielleicht sogar ein Blick in die Bibel. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, heißt es da abgewandelt. Dass die Bayern ihre wiedererlangte Vormachtstellung so brachial ausbauen, muss man nicht mögen. Doch jenseits aller moralischer Fragen nutzt der Meister nur die branchenüblichen Gesetze. „Was Götze betrifft, ist alles legitim, was die Bayern gemacht haben“, sagte Watzke in einem Interview. In Leverkusen kennt man die bayrischen Begehrlichkeiten seit Jahrzehnten. „Weil wir ja auch schon viele Spieler zu ihnen haben ziehen lassen müssen“, erklärte Sportdirektor Rudi Völler. „Wir haben auch immer viel Geld von den Bayern bekommen. Das ist halt der Kreislauf im Profifußball“, fügte der Ex-Nationalspieler hinzu und räumte ein: „Wir holen ja auch den ein oder anderen Spieler von kleineren Vereinen.“