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Wenn Wohnen zur Kunst wird

In einer ehemaligen Druckerei auf der Riesaer Straße ist ein Wohn- und Atelierkomplex entstanden.

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© Sven Ellger

Von Sarah Grundmann

Zu den Tönen zweier Geigen zerschellt die Sektflasche an der grauen Betonwand. Schaum rinnt an ihr herunter. Dann ein Knall: Konfetti ergießt sich über die Schaulustigen, die sich am Freitag auf dem Hof des Zentralwerks versammelt haben. Ohne Kunst kann die Eröffnung des Gebäudekomplexes an der Ecke Riesaer/Heidestraße halt nicht ablaufen. Denn auf dem Areal in Pieschen dreht sich von Anfang an alles um die Kunst.

Der Anfang. Das war 2011. Damals wurde den Mitgliedern des Vereins Friedrichstadt Zentral klargemacht, dass sie nicht mehr lange im Zentrum bleiben können. Eine Gruppe von etwa zehn Leuten schaute sich nach einer neuen Immobilie um. Das Ziel: Ein Objekt kaufen, um dort günstigen Wohn- und Arbeitsraum für Künstler zu schaffen. 2013 wurde die Gruppe schließlich fündig. Die einstige Druckerei „Völkerfreundschaft“ auf der Riesaer Straße sollte es sein. „Man hat uns für verrückt erklärt“, erinnert sich Nikolaus Woernle und lacht. Denn das seit 1996 leer stehende Gebäude war vollkommen heruntergekommen.

Heute, rund vier Jahre später, macht der Komplex von außen immer noch einen recht desolaten Eindruck. Doch im Inneren hat sich so einiges getan: 22 Wohnungen und 66 Ateliers sind entstanden. Alle sind komplett vermietet. In den Gewerberäumen haben sich 28 bildende und 19 darstellende Künstler, ein Buchverlag, ein Imker, ein Programmierer, Architekten und viele weitere Freischaffende niedergelassen. Zwischen 100 und 150 Leute bevölkern mittlerweile das Areal in Pieschen. Dahin zu kommen, hat den Verein, der mittlerweile vom Friedrichstadt Zentral e.V. zum Zentralwerk e.V. geworden ist, viel Zeit, Kraft und Geld gekostet.

Die gemeinnützige Stiftung Trias, die Grund und Boden vor Spekulation bewahren will, hat das Grundstück für die Künstler gekauft und diesen per Erbpachtvertrag die Nutzung ermöglicht. Um den Umbau zu stemmen, wurde 2013 die Genossenschaft Zentralwerk gegründet. Rund sechs Millionen Euro wurden in die Sanierung der Gebäude gesteckt. Fast die Hälfte wurde über einen Kredit finanziert. Hinzu kommen 1,3 Millionen Euro Fördermittel von der Stadt sowie private Kredite und die Genossenschaftsanteile. 600 Euro müssen für den Eintritt gezahlt werden, weitere 600 Euro pro zehn Quadratmeter.

„Wegen des hohen Kosten- und Zeitdrucks haben wir ganz viel in Eigenleistung gemacht“, sagt Architekt Thure Wulff, der den Umbau des Zentralwerks geplant hat und Vereinsmitglied ist. „Wir haben am Anfang Wände selber eingerissen, wir haben Dächer abgedichtet.“ Nur so war es möglich, innerhalb von 20 Monaten drei Gebäudeteile – zwei Türme sowie den zentralen Verbindungsbau – fertigzustellen. Und nur so war es möglich, die Mieten so günstig zu halten. In den Wohnungen müssen 4,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter, in den Ateliers zwischen 4 und 5,20 Euro gezahlt werden. „Es war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt“, sagt Lutz Schneider, Geschäftsführer der Genossenschaft. Und noch ist kein Ende in Sicht.

Zwar wurde das Zentralwerk am Freitag offiziell eröffnet. Doch das Gemeinschaftshaus muss noch saniert werden. Die Technik ist veraltet und muss überholt werden. Die Genossenschaft reicht demnächst einen Bauantrag ein. In den kommenden fünf Jahren soll vor allem der Große Saal zu einem Prachtstück werden, in dem regelmäßig Veranstaltungen und vieles mehr stattfinden. Aufführungen gibt es in dem Haus trotzdem schon seit 2013. Ohne Kunst geht es beim Zentralwerk nicht.