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Wenn plötzlich alle wissen, wer arm ist

Hartz IV soll bald auch an der Supermarktkasse ausgezahlt werden. Ein Betroffener erzählt, wie er sich dabei fühlt.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Penny, Rewe, DM und Rossmann – dort wo sonst Lebensmittel und Kosmetik über das Kassenband laufen, soll künftig auch das Arbeitslosengeld II, kurz Hartz IV, ausgezahlt werden. Diese Idee der Arbeitsagentur sorgt für Kritik.

Stefan Winkler, selbst Betroffener, hat lange überlegt, ob er in der Zeitung darüber sprechen will. Erzählen möchte der 46- Jährige, der im Dresdner Osten lebt, wie sich viele Erwerbslose dabei fühlen, wenn sie von diesen Plänen lesen und wie sich das Leben mit rund 400 Euro im Monat anfühlt. „Wenn es wirklich so kommen sollte, dass Hartz IV-Empfänger durch die Auszahlung identifizierbar sind, ist das sehr stigmatisierend“, so Winkler. Plötzlich wüssten dann alle, wer arm ist. Doch er warnt auch vor Panikmache. „Wir müssen erst mal abwarten“, sagt der 46-Jährige, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Damit Arbeitslose bei den Händlern Geld bekommen, müssen sie einen Zettel mit einem Barcode zeigen, den sie sich im Jobcenter oder der Arbeitsagentur abholen können. Dieser soll an der Kasse eingescannt und der Betrag sofort ausgezahlt werden, so die Pläne der Arbeitsagentur. Der Vorgang, also die Verrechnung zwischen auszahlender Kette und dem Anbieter Cash Payment Solutions, finde ohne Austausch persönlicher Daten statt, so Grit Winkler von der Dresdner Arbeitsagentur. Das Verfahren sei vor allem für Menschen ohne eigenes Konto gedacht. Bislang gab es dafür Kassenautomaten in den Jobcentern, diese sollen nun aus Kostengründen wegfallen. Bis Ende 2018 soll das neue Verfahren in Dresden eingeführt werden.

„Eine Auszahlung an Supermarktkassen macht öffentlich sichtbar, wer Empfänger ist und wer nicht“, betont die Dresdner Arbeiterwohlfahrt-Sprecherin Diana Uhlmann. In der Regel seien diese Menschen nicht freiwillig arbeitslos und hätten schon damit zu kämpfen, den Anschluss zu einer Wiederbeschäftigung nicht zu verlieren. „Die Bundesagentur will durch die Abschaffung der Auszahlungsautomaten Kosten senken, den Preis zahlen jedoch die Betroffenen in Form von Stigmatisierung und Preisgabe persönlicher Daten“, sagt Carsten Schöne vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Ähnlich sieht das auch Linken-Sozialpolitikerin Anja Stephan. „Für wichtiger halte ich, dass jeder Mensch Zugang zu einem kostenfreien Girokonto hat, damit man erst gar nicht in so eine Notsituation gerät.“ Auch vielen anerkannten Flüchtlingen, die Hartz-IV-berechtigt sind, gelänge es oft nicht, ein Konto zu eröffnen.

Das bereitet Stefan Winkler, der ehrenamtlich eine Beratung für Erwerbslose im Haus der Begegnung anbietet, große Sorgen. Er hört oft von den Problemen, ein Konto zu eröffnen. Er selbst ist seit beinahe sechs Jahren arbeitslos. 2012 musste er seinen Job im öffentlichen Dienst aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Worunter genau er leidet, will er nicht sagen. Seitdem ist er auf der Suche nach einer Stelle, schreibt Bewerbungen. Er lebt von 409 Euro im Monat, seine Miete und die Nebenkosten bezahlt das Jobcenter.

„Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich noch nie eine schlechte Erfahrung mit dem Amt gemacht, die Kommunikation läuft gut“, sagt er. Um mit den rund 400 Euro über die Runden zu kommen, muss er genau überlegen, wie viel Geld er wofür ausgibt, und wann. „Mein Luxus, den ich mir gönne, ist mein Telefon mit Vertrag für 50 Euro im Monat“, erzählt der Dresdner. Er will für sein Umfeld erreichbar sein und Kontakte pflegen. Dafür versucht er bei den Stromkosten zu sparen, heizt nur so viel, wie nötig und schaffte den Fernseher ab. Zu viel Stromverbrauch. Für Kleidung und Schuhe gibt er kaum Geld aus, nur alle vier oder fünf Jahre kauft er sich neue. Dann müssen diese durchhalten. Ab und zu gönnt er sich mal einen Döner. „Das ist Luxus für mich“, sagt er. Ihn gruselt der Gedanke, wie viele Lebensmittel täglich weggeworfen werden, sagt er. Stefan Winkler kann nicht verstehen, warum viele Supermärkte ihre Produkte lieber vernichten, statt sie Bedürftigen zu geben.

Eine Sache ist für den Dresdner auch völlig unverständlich. Immer wieder fällt ihm auf, wie respektlos mit Menschen, die Sozialleistungen beziehen, umgegangen wird. „Ich war kürzlich in Berlin und wollte mit meinem Dresden-Pass ein Theaterstück besuchen, da wurde ich angeraunzt, dieser gelte nur für Dresden“, sagt er. Er soll doch seinen Hartz IV-Bescheid immer bei sich führen. Das sei unpraktisch und diskriminierend zugleich, so Winkler.