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Wenn nichts mehr fährt

Tausend Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe legten gestern ihre Arbeit nieder. Die Fahrgäste sind darauf gut vorbereitet.

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Von Kay Haufe, Bettina Klemm, Kathrin Kupka-Hahn, Andrea Schawe und Tobias Winzer

Der Streik bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) hat sich sehr schnell herumgesprochen. Obwohl keine Straßenbahnen und weniger Busse als sonst fuhren, ist das befürchtete Verkehrschaos ausgeblieben. Am Postplatz, wo sich sonst zwischen sieben und acht Uhr die Fahrgäste in die Bahnen und Busse drängen, war es gestern früh ruhiger als an einem Sonntagvormittag. Viele Dresdner waren mit dem Auto, dem Fahrrad, der S-Bahn oder zu Fuß unterwegs. Manche taten sich auch in Fahrgemeinschaften zusammen, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen.

DVB-Betriebsrat Uwe Reichel protestierte ab 3 Uhr morgens am Betriebshof in Gruna für einen besseren Tarifvertrag. Im Laufe des Tages trugen sich etwa tausend Mitarbeiter in die Streiklisten ein. Foto: Katja Frohberg
DVB-Betriebsrat Uwe Reichel protestierte ab 3 Uhr morgens am Betriebshof in Gruna für einen besseren Tarifvertrag. Im Laufe des Tages trugen sich etwa tausend Mitarbeiter in die Streiklisten ein. Foto: Katja Frohberg

Stefanie Müller saß beispielsweise kurz vor halb acht einsam auf einer Haltestellenbank am Postplatz und las in einem Roman. „Ich warte auf meine Kollegin, sie nimmt mich mit zur Arbeit nach Klotzsche“, sagte sie. Die 28-Jährige hat ein paar Jahre in Frankreich gelebt. Dort seien Streiks an der Tagesordnung. „Die Dresdner Verkehrsbetriebe sind immer sehr zuverlässig, wenn da wirklich einmal gestreikt wird, habe ich volles Verständnis.“ Auch Kunststudentin Natalie Lochner ließ sich am Postplatz absetzen, um zur Hochschule zu laufen.

Der Warnstreik hatte morgens um drei Uhr begonnen. Zum Schichtbeginn versammelten sich Verdi-Gewerkschafter und DVB-Mitarbeiter vor den Betriebshöfen des Unternehmens. Sie wollten Druck auf den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) ausüben. Heute verhandeln Verdi und KAV in Dresden über einen neuen Rahmentarifvertrag. Die Gewerkschaft fordert geringere Wochenarbeitszeiten, mehr Urlaub und höhere Zuschläge für Schichtarbeit.

Laut Betriebsrat Uwe Reichel protestierten die Beschäftigten vor allem gegen die Ungleichbehandlung zwischen Mitarbeitern mit alten und neuen Verträgen. Etwa 300 Kollegen seien in den vergangenen Jahren zu schlechteren Konditionen eingestellt worden, sagte Reichel. Die Zuschläge für Schichtdienst seien zum Beispiel nur halb so hoch. Die DVB wurden zum ersten Mal überhaupt ganztägig bestreikt. Laut Verdi legten gestern tausend der insgesamt rund 1.700 DVB-Beschäftigten ihre Arbeit nieder.

Verdi warnt vor weiteren Streiks

Im gesamten Stadtgebiet waren deswegen nur die Busse von Tochterfirmen und Unternehmen, die im Auftrag der Verkehrsbetriebe arbeiten, unterwegs. Laut DVB-Sprecher Falk Lösch waren das etwa 50 Busse. Sonst sind es dreimal so viele. Der Busersatzverkehr für die Linie 11 lief aber zum Beispiel fast reibungslos. „Ich versuche die Fahrgäste so gut es geht zu informieren, wo sie eine Umsteigemöglichkeit haben“, sagt Busfahrer Frank Richter von der Dresdner Verkehrsservicegesellschaft, einem DVB-Tochterunternehmen.

Ein Chaos blieb trotzdem aus – auch in den Schulen. „Uns sind keine größeren Ausfälle an den Dresdner Schulen bekannt“, sagte Katrin Reis von der Sächsischen Bildungsagentur. Die Busse für die Schülerbeförderung werden in der Regel von Subunternehmen gefahren und waren gestern nicht betroffen. Viele Eltern hatten ihre Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht, andere entschuldigten sie für diesen Tag. Anders sah es im Beruflichen Schulzentrum Bau und Technik aus. Da die meisten Schüler weite Wege haben, waren am Morgen die Klassenräume nur zu einem Drittel besetzt, zwei Drittel der Schüler kamen bis zum Mittag.

Ausweichen konnten viele Dresdner auf die S-Bahnen. Die waren bis auf den letzten Platz gefüllt. „Wir hatten signifikant mehr Fahrgäste“, sagte Christian Schlemper, der Sprecher des Verkehrsverbundes Oberelbe (VVO). Auch die Regionalbusse seien voller gewesen als sonst. Einige Dresdner machten sich außerdem mit einem gemieteten Auto auf den Weg zur Arbeit. „Die Auslastungszahlen sind auf jeden Fall nach oben gegangen“, sagte die Sprecherin des Carsharing-Anbieters Teilauto, Franziska Wilhelm.

Ratlos stand Karl Schneider hingegen am Straßenbahnhof Mickten. Der Streik hatte ihn kalt erwischt. Der 56-Jährige wollte mit der Linie 4 ins Zentrum fahren. „Ich habe einen Termin bei der Rentenversicherung.“ Von den Veröffentlichungen über den Streik habe er nichts mitbekommen. Schneider lag am Wochenende mit Fieber im Bett. Auch als er mit dem Bus der Linie 79 zum Straßenbahnhof fuhr, sei ihm nichts aufgefallen. Leicht verzweifelt versuchte er, ein Taxi zu ergattern.

Auf diese Idee waren viele gekommen. „Bei uns herrschte ein Andrang wie zu Silvester“, sagt Hans-Peter Kunath von der Taxigenossenschaft. Fast alle Fahrzeuge seien im Einsatz gewesen, dennoch sei es zu Wartezeiten von einer halben Stunde gekommen. An den neuralgischen Punkten wie beispielsweise der Schillerstraße standen die Taxis ebenso wie alle anderen Fahrzeuge. „Wir haben getan, was wir konnten. Aber wir waren leider auch zu vorbestellten Fahrten nicht immer pünktlich“, erklärte Kunath.

Weitere Staus gab es vor allem auf den Zubringerstraßen in Richtung Innenstadt. Auch auf der Grundstraße standen die Autos im morgendlichen Berufsverkehr fast 20 Minuten. Ebenso eng war es auf der St. Petersburger Straße, in der Könneritzstraße und in der Striesener Straße. „Es waren mehr Autofahrer als sonst unterwegs“, sagte ein Polizeisprecher. „Aber ein Verkehrschaos gab es nicht.“

Unterdessen ist noch unklar, ob der gestrige Warnstreik der vorerst letzte gewesen ist. „Wir setzen auf die Verhandlungen“, sagte Gerd Doepelheuer von Verdi. Sollte die Arbeitgeberseite ihr Angebot jedoch nicht nachbessern, seien mehrtägige Streiks denkbar.