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„Wenn Mama unglücklich ist, bin ich es auch“

Aias Aosman ist Dynamos erster Torschütze in dieser Saison – und der erste Syrer, der für die Dresdner spielt. Das Porträt eines jungen Mannes mit seinen Sorgen, seinen Hoffnungen – und seinem Glück.

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© Robert Michael

Von Sven Geisler

Er spricht leise, und was soll er überhaupt sagen, außer, dass er es schrecklich findet? Von den politischen Zuständen weiß er zu wenig, als dass er diesen Krieg erklären könnte, der so fern zu sein scheint und ihm doch so nahe kommt. „Wie es so weit kommen konnte, weiß ich nicht“, sagt Aias Aosman. Dynamos neuer Spielmacher wurde in Qamischli geboren, in Syrien. Er findet keine Erklärung dafür, dass die friedlichen Proteste des Arabischen Frühlings Anfang 2011 zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert sind. Seitdem lebt seine Familie auch in Deutschland in Sorge.

Stark am Ball: Dynamos neuer Spielmacher Aias Aosman.
Stark am Ball: Dynamos neuer Spielmacher Aias Aosman. © Robert Michael

„Es ist schwer, wenn man zu Hause anruft, und merkt, dass die Mama unglücklich ist“, sagt der 22-Jährige. „Wenn sie es ist, bin ich es auch.“ Ein Cousin seines Vaters ist gefallen, nun versucht der Papa, seinen Brüdern und ihren Familien bei der Flucht zu helfen. Einer hat es schon nach Deutschland geschafft, drei kämpfen sich durch. „Es ist so grausam, dass Verwandte noch dort sind“, sagt Aias traurig. „Am liebsten würde ich sie alle hierher holen.“

In Sicherheit. Für sie geht es um Leben und Tod. Natürlich hat er mitbekommen, dass es Proteste gibt wie vor der Zeltstadt in Dresden und sogar Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte auch in anderen deutschen Städten. Der junge Mann mit dem schüchternen Blick möchte das nicht kommentieren, erzählt stattdessen von einem Syrer, der bei seinen Eltern in Minden Zuflucht gefunden hat. „Er hat seine Frau und sein Kind verloren.“

Als Fußball-Profi kann Aosman nicht die Welt verändern, und er lässt sich auch nicht vereinnahmen für plakative Aktionen, für ein Zurschaustellen. Trotzdem steht er für Toleranz. Wer ihm nach seinem ersten Tor für Dynamo zujubelt, sollte sich bewusst sein, dass der feine Techniker als Fünfjähriger mit seinen Eltern hier Asyl suchte und zunächst in einem Heim in Bremerhaven unterkam.

Aosman bezeichnet sich selbst als Deutsch-Kurden und hat sowohl die deutsche als auch die syrische Staatsbürgerschaft. Beinahe hätte er für Deutschland gespielt, war schon für die U21-Auswahl nominiert, doch dann brach er sich den Ellenbogen. „Das ist halt Schicksal“, meint er. Während er vom DFB seitdem nichts mehr gehört hat, warb der syrische Verband intensiv um den Mittelfeldspieler.

Sein Vater würde ihm nie erlauben, nach Syrien zu fliegen, aber auch der Fußball hat das Bürgerkriegsland längst verlassen. Die Nationalmannschaft trägt ihre Heimspiele im Oman oder Abu Dhabi aus, die nächsten sind für den 25. August in Bahrain und am 3. September gegen Singapur angesetzt. Eine offizielle Einladung gibt es noch nicht, aber Nationaltrainer Nizar Mahrous hat bereits signalisiert, dass er Aosman einladen möchte. „Ich weiß nicht, wie es wird“, sagt er, „aber es wäre natürlich eine Ehre, für das Land zu spielen, in dem ich geboren wurde.“

Seine Heimat ist Minden in Nordrhein-Westfalen, dort leben seine drei Brüder und eine Schwester. Die Familie ist für ihn „das Wichtigste überhaupt“, und nach seinem starken Dynamo-Debüt konnte er sie am Wochenende nach zwei Monaten endlich mal wieder besuchen. Trainer Uwe Neuhaus hatte ihm sozusagen Sonderurlaub gewährt. So konnte Aias Aosman mal etwas Abstand gewinnen, die turbulenten Wochen sacken zu lassen.

Plötzlich war alles so schnell gegangen und doch völlig anders gekommen, als er es sich ausgemalt hatte. Nach dem Abstieg von Jahn Regensburg will er eigentlich aufsteigen, den vielbeschworenen nächsten Schritt machen. Der 1. FC Köln und der FSV Mainz 05 fragen an, aber der Wechsel zu einem Bundesligisten erscheint ihm zu riskant, womöglich würde er nur in der zweiten Mannschaft und damit weiter unterklassig spielen. Er will sich in der zweiten Liga beweisen. Das hätte klappen können, doch als er zum Probetraining bei 1860 München vorspielt, fühlt sich Aosman irgendwie fehl am Platz, weil sich keiner um ihn kümmert.

„Dresden? Das höre ich mir an!“

Als ihm sein Berater Marko Rujevic am Sonntag, es ist der 5. Juli, sagt, der Verein wolle ihm am Mittwoch einen Vertrag vorlegen, reißt dem Profi der Geduldsfaden. „Ich hatte keinen Bock mehr auf das Hin und Her. Also habe ich ihn gefragt, welche Drittligisten Interesse hätten.“ Es sind einige – und Dynamo dabei. „Dresden? Das höre ich mir an!“, entscheidet Aosman und setzt sich am nächsten Tag ins Auto. Auf der Rückfahrt ist er überzeugt: „Das passt.“ Sportvorstand Ralf Minge spricht von einer „echten Bereicherung“, Neuhaus meint, dass „wir in Dresden sicher viel Freude an ihm haben“ werden.

Aosman unterschreibt jedoch zunächst nur für ein Jahr, sein Vertrag beinhaltet statt einer Ausstiegsklausel eine Option auf Verlängerung – unter einer Bedingung. „Vielleicht klappt es, mit Dynamo aufzusteigen. Dann bleibe ich hier.“ Noch ist er auf Wohnungssuche, hofft, in dieser Woche eine zu finden. In der Stadt ist er gern unterwegs, vor allem in Modegeschäften. „Da kann ich nicht dran vorbeigehen“, erzählt er und schmunzelt. „Wenn ich schöne Sachen sehe, kaufe ich die. Nicht nur für mich, auch für meine Geschwister.“ In Rosa für die Schwester, weil sie das so mag.

Und natürlich für seinen Sohn. Luay ist 17 Monate jung, lebt mit seiner Mutter in Wuppertal. Mit ihr ist Aias nicht mehr zusammen, unterstützt sie aber, so gut es geht. Nächste Woche kommen sie ihn besuchen. Seine neue Freundin war schon da, mehr möchte er über sie nicht erzählen. Außer dieser einen Episode: Normalerweise malt er sich vor den Spielen den Anfangsbuchstaben einer ihm wichtigen Person auf den Arm; das hat ihm oft Glück gebracht. Ausgerechnet bei seinem Dynamo-Einstand jedoch hat er auf das Ritual verzichtet. „Sie hatte am Abend vorher zu mir gesagt: Ich habe das Gefühl, dass du morgen triffst“, erzählt Aosman. „Ich habe dann gebetet, und es hat geklappt.“

Wahrscheinlich wird er sich jetzt immer auf ihr Gefühl verlassen, solange das ein gutes ist. Denn eines, dessen ist sich der talentierte Kicker bewusst, muss er noch besser hinkriegen: die Konstanz. „Ich habe nach vier, fünf guten Spielen oft zwei, drei schlechte gemacht. Ich möchte auf einem hohen Level bleiben.“ Damit er das hinbekommt, versucht er, die Schreckensnachrichten aus Syrien auszublenden, und hofft, dass Mama das nächste Mal am Telefon glücklich klingt.