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Wenn Kinder für Kinder kämpfen

Die Schülerinnen Lisa-Marie und Anne-Cathrin sind die jüngsten Mitstreiter bei Unicef in Dresden.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Ein halber Sack Komposterde zwängt sich in das hoffnungslos überfüllte Regal. Daneben und darüber: T-Shirts, Tischdecken und Spendendosen, fast alles in Weiß und Hellbau. „Die Erde haben wir mal für eine Aktion genutzt, bei der wir die Balkanroute nachgestellt haben“, sagt Lisa-Marie Darras vom Gymnasium Dreikönigschule. Seit zwei Monaten leitet die 16-Jährige die Dresdner Jugendgruppe von Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.

„Viele wissen gar nicht, dass es Unicef in Dresden gibt“, sagt sie. Dabei engagieren sich in der Gruppe, die ihren Sitz in einem Bürokomplex nahe der Kreuzkirche hat, immerhin etwa 60 Leute. Die wenigsten sind so jung wie Lisa-Marie. Mit 15 ging sie vor knapp zwei Jahren zu einem Treffen von „Younicef“, wie die Jugendgruppe heißt. „Wir hatten damals gerade das Thema Flucht und Integration in der Schule, und ich wollte unbedingt was tun.“

Nun sitzt sie hier auf einem der bunt bemalten Stühle in dem kleinen Büro mit dem vollgestopften Regal und wedelt mit einem blauen Heftchen. „Das hier ist das Wichtigste“, sagt sie. „Wir arbeiten daran, dieses Heft bekannter zu machen.“ Es die Konvention über die Rechte des Kindes, 1989 offiziell formuliert, und für dieses Heftchen ein bisschen kindgerecht umgeschrieben. Insgesamt sind es 42 Artikel, darunter nur scheinbar selbstverständliche Dinge wie: „Du hast das Recht zu leben und dich bestmöglich zu entwickeln“ und „Niemand darf dich auf unmenschliche Weise bestrafen.“ Gemeinsam mit ihren jugendlichen Mitstreitern stellt Lisa-Marie Aktionen auf die Beine, die zeigen sollen, dass diese Rechte anderswo auf der Welt leider keineswegs selbstverständlich sind. „Wir gehen zum Beispiel in Horte und klären dort spielerisch darüber auf.“ Manchmal haben sie auch ihr „Schicksalsrad“ dabei, eine Art Glücksrad, das demonstriert, welch ein Zufall es ist, in einem bestimmten Land geboren zu werden.

Auch Benefizkonzerte gehören dazu, wie neulich in einer Schule in Radeberg. Der Auftritt des Schulchors brachte immerhin 600 Euro an Spenden ein, durch die das Projekt „Schule in der Kiste“ unterstützt wurde. Bei einer anderen Aktion ließ die Gruppe Kinder in einer Art Quiz verschiedene Mineralwasser verkosten – mit dem Ergebnis, dass praktisch niemand Unterschiede erschmecken konnte. „Damit wollten wir zeigen, dass es eigentlich egal ist, welches Wasser man trinkt, solange es sauber ist“, sagt Lisa-Marie. „Aber viele Kinder trinken schmutziges Wasser aus Flüssen, weil sie es müssen.“

Neben ihr engagieren sich drei bis vier andere Jugendliche regelmäßig bei Unicef, einige andere sind ab und zu bei Projekten dabei. Alle zwei Jahre gibt es hier in der Regel komplett neue Gesichter. Spätestens, wenn Abiprüfungen und Auslandsjahre anstehen, ist für die meisten Schluss.

Direkt aus Dresden kommt zurzeit neben Lisa-Marie nur noch Anne-Cathrin Kloß, die an einem beruflichen Gymnasium lernt. Die anderen reisen für die monatlichen Sitzungen aus Gemeinden im Umland an. Wenn es sich anbietet, nutzt die Gruppe allerdings auch Skype für ihre Konferenzen, dann kann jeder zu Hause bleiben. Bis vergangenen November leitete die heute 16-jährige Anne-Cathrin die Younicef-Gruppe, musste Termine koordinieren, Protokolle schreiben und Aktionen planen. Dabei half ihr auch eine Junior-Teamer-Ausbildung, die sie an vier Wochenenden nach Köln führte. „Dort habe ich gelernt, wie Unicef arbeitet, wie man Netzwerke aufbaut und Ideen findet“, sagt sie. Ihren ersten Kontakt zu Unicef brachte Anne-Cathrin die wunderbare kindliche Naivität einer 14-Jährigen. „Sport und Instrument hatte ich schon“, sagt sie, „und ich habe nach einem neuen Hobby gesucht.“ Warum sollte das Hobby nicht Unicef heißen?

Diese Antwort geben sich allerdings bislang nur wenige junge Menschen. Die meisten gehen dann doch lieber in den Park oder daddeln am Computer. Soziales Engagement ist die Ausnahme. „Für die meisten unserer Mitschüler ist nur wichtig: Bekommt man dafür Geld? Und wenn nicht, dann hat es sich erledigt“, sagt Lisa-Marie und Anne-Cathrin meint: „Es ist total traurig, dass es so wenige Jugendliche in Dresden gibt, die sich engagieren.“

Auch bei den Schulen stoßen die Schülerinnen auf wenig Aufmerksamkeit. „Wenn wir zehn Schulen mit einer Projektidee anschreiben, bekommen wir maximal eine Antwort“, sagt Anne-Cathrin.

Der Lohn der Mühen ist für die Schülerinnen meist nur die Gewissheit, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Am 3. Februar allerdings bekommen Lisa-Marie und Anne-Cathrin noch ein anderes besonderes Geschenk. Sie dürfen zum ersten Mal auf den Semperopernball. Allerdings mit einem klaren Auftrag: Unicef ist Charity-Partner des Balls und wird bei einer Tombola Spenden für das Projekt „Winterhilfe für Flüchtlinge in Syrien“ sammeln.