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Wenn keine Zeit für den Patienten bleibt

Eine Pflegerin kritisiert die Arbeitsbedingungen im Dresdner Klinikum Friedrichstadt. Kein Einzelfall in deutschen Kliniken.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Wenn Anna Schulz* heute an ihre Zeit im Friedrichstädter Krankenhaus zurückdenkt, verkrampft sich noch immer ihr Magen. Mittlerweile hat die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin – so die korrekte Berufsbezeichnung – eine neue Arbeitsstelle. Weil sie sich dort sehr wohlfühlt, könne sie inzwischen konkret sagen, was im Krankenhaus Friedrichstadt aus ihrer Sicht falsch lief. Der Druck, die Arbeitsbelastung, die Unzufriedenheit auf Station 25 waren einfach zu groß, berichtet die junge Frau, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich machen will.

Unzufrieden war Anna Schulz vor allem damit, dass die Arbeitsbedingungen für sie nicht stimmten. „Deshalb konnte ich mich nicht so gewissenhaft um meine Patienten kümmern, wie ich es gern gewollt hätte.“ Gründe dafür gibt es viele. Sie kritisiert zum einen die technische Ausstattung der Station. „Es gibt nur drei Beatmungsgeräte“, schildert die Krankenschwester. Nicht selten kämen aus der Notaufnahme aber gleichzeitig mehr als drei Patienten, die etwa mit einem Beatmungsgerät stabilisiert werden müssten.

Kliniksprecherin Viviane Piffczyk sieht darin kein Problem. „Übersteigt der akute Bedarf die vorgehaltene Ausstattung, können nach fest definierten Plänen weitere Geräte von benachbarten Stationen zur Verfügung gestellt werden.“ Die Krankenschwester bestätigt zwar, dass es diese Option gibt. „Wir hatten aber oft gar nicht die Zeit, uns die Geräte von einer anderen Station schnell genug zu besorgen.“ Innerhalb kürzester Zeit müssten Patienten stabilisiert werden, bei denen ein oder mehrere Organe versagen – dafür müsse der Ablauf gut organisiert sein. Die von Viviane Piffczyk erwähnten „fest definierten Pläne“ seien ihr nicht bekannt gewesen.

Bei Station 25 handelt es sich in Friedrichstadt um eine sogenannte Intermediate-Care-Station (IMC). Dort werden Menschen behandelt, die stärker überwacht werden müssen. Sie sollten aber auch nicht so sehr behandlungsbedürftig sein, dass eine Versorgung auf der Intensivstation nötig ist. Dennoch sei die Arbeit sehr anspruchsvoll, sagt Anna Schulz. Bei den Patienten auf Station 25 werden Erkrankungen von Herz, Lunge, Leber, Nieren und des Magen-Darm-Traktes behandelt. „Oft sind die Patienten dement, körperlich aggressiv, drogen- oder alkoholabhängig.“ Manchmal trifft auf einen Patienten auch alles zu. Das erschwere die Behandlung zusätzlich.

Zur Aufgabe der Krankenpfleger gehört es unter anderem, den Zustand der Patienten zu überwachen und im Notfall einzuschreiten. „Ich habe es schon oft erlebt, dass mehrere Patienten gleichzeitig sofort Hilfe brauchten – dann musste ich mich für einen entscheiden“, sagt Anna Schulz. Auch das ist ein wichtiger Kritikpunk der Krankenschwester: fehlendes Personal. „Weil viele Pfleger und Schwestern dem Stress nicht standhalten, sind sie oft krank“, berichtet Schulz. Dabei seien sie und viele ihrer Kollegen erst an ihre körperlichen Grenzen gestoßen, bevor sie selbst zum Arzt gingen.

Kliniksprecherin Piffczyk teilt zum Vorwurf des fehlenden Personals mit, dass der Krankenstand dieser Station im Vergleich zum Gesamtklinikum im Durchschnitt nur geringfügig höher ist. Beim Personalschlüssel orientiere sich das Krankenhaus an Empfehlungen von Fachgesellschaften. Demnach sollte sich ein Pfleger auf einer IMC um drei bis fünf Patienten kümmern. Zum Vergleich: Auf einer Normalstation sind es acht Patienten pro Pfleger. „Ich habe auf der IMC sehr oft sieben oder mehr Patienten versorgen müssen“, berichtet die Krankenschwester. Piffczyk weist darauf hin, dass die Klinik stetig an einer adäquaten Besetzung des Patienten-Pflege-Verhältnisses arbeite.

Im Osten 18 Prozent weniger Gehalt

Bei Anna Schulz hinterließ der tägliche Stress Spuren. „Ich habe nächtelang nicht richtig geschlafen, weil ich einfach nicht abschalten konnte.“ Was sie besonders beschäftigte, war der Kontakt zu den Angehörigen. „Manchmal hätte ich gern Trost gespendet, mir fehlte dafür aber schlichtweg die Zeit.“ Das habe sie psychisch krank gemacht. Dazu komme das niedrige Gehalt.

Bezahlt wurde die Krankenschwester nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Als Berufseinsteigerin verdiente sie 1 700 Euro netto monatlich – inklusive aller Zuschläge für Wechselschichten, Wochenend- und Feiertagsdienste und Intensivzulage. Viel zu wenig für die Versorgung kranker Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind und um die sich Pflegekräfte rund um die Uhr kümmern“, findet Schulz.

Diese Sorgen kennt Sabine Karg aus vielen Gesprächen mit Krankenhausmitarbeitern. Sie ist Sprecherin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe. „Leider sind derartige Arbeitsbedingungen nichts Außergewöhnliches in deutschen Krankenhäusern“, sagt die Expertin. Besonders schlimm sei die Situation jedoch in den ostdeutschen Bundesländern, was vor allem an der schlechten Bezahlung liegt. So verdient eine Pflegekraft hier rund 18 Prozent weniger als im Westen – wenn nach Tarif bezahlt wird. „Gibt es keine tarifliche Bindung, sind die Gehälter zum Teil sogar noch niedriger“, berichtet Karg.

Die Folge: Im Osten ausgebildete Fachkräfte wandern ab, es gibt viel zu wenige Mitarbeiter. Der Verband kämpfe seit Jahren darum, dass der Personalschlüssel nicht nur eine Empfehlung ist, sondern gesetzlich verankert wird. „Das ist eine notwendige politische Entscheidung“, so Karg.

Denn damit soll verhindert werden, dass Pflegekräfte permanent unter Stress stehen. Das wiederum wirke sich erheblich auf die Versorgung der Patienten aus, etwa in puncto Hygiene. Dabei zeigen Länder wie die USA und Australien, dass die Vorgabe einer Mindestbesetzungen gut funktionieren kann. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung belegt, dass diese Vorgaben auch in Deutschland Überbelastung und Qualitätsmängel in Pflegeberufen vermindern könnten. Mit diesen Ergebnissen will der Berufsverband nun Druck auf die Politik ausüben.

* Name von der Redaktion geändert