Merken

Wenn Jungs im Wasser tanzen

Synchronschwimmen war einst Männersache, dann übernahmen die Frauen. Doch sie bleiben nicht mehr unter sich.

Teilen
Folgen
© Pandorafilm

Von Bernd Klempnow

Und dann kommt die Harpune. Aus der Tiefe schießt Giorgio Minisini senkrecht aus dem Wasser. Sein Hochstoß – so der exakte Begriff – geht so weit, dass sogar die Hüfte sekundenlang in der Luft ist. Doch bevor der 18-Jährige zurückgleitet, dreht er sich noch zur Schraube ein. Auch andere Figuren wie die elegante Grätsche der Beine in der Luft, während der Oberkörper kopfüber im Wasser ist, beherrscht der junge Italiener bravourös.

Giorgio Minisini erobert erfolgreich die Frauenwelt des Synchronschwimmens. Foto: Swimbiz
Giorgio Minisini erobert erfolgreich die Frauenwelt des Synchronschwimmens. Foto: Swimbiz

Giorgio Minisini gewinnt derzeit bei europäischen und amerikanischen Meisterschaften – als einziger Mann unter Frauen. Als Synchronschwimmer euphorisiert er die Italiener. Das ist schon ungewöhnlich in dem Land, in dem ein spezielles Männerbild existiert. Demnach pflügt ein Mann eben durchs Wasser, aber tanzt dort nicht, gegrätscht wird sicher auf dem Fußballplatz, aber nicht im Schwimmbecken.

Doch Giorgio – 1,76 Meter groß, ein Muskelpaket und mit einer Synchronschwimmerin liiert – gilt nicht als Weichei. Vielmehr macht er den Sport, der sonst belächelt wird, populär. Er verstärkt den Trend, dass diese Art von Wasserballett nicht mehr nur eine Frauen- oder Gay-Domäne ist.

Längst gleiten auch in Deutschland Männer solistisch oder als Kleingruppe derart durchs nasse Element, machen Salti, legen Bilder, katapultieren einen von ihnen meterhoch in die Luft. Viele Elemente kannte man schon in der Antike. In Deutschland wurde das Kunstschwimmen vor 200 Jahren erstmals erwähnt.

Lange war das figurale Baden die Sache der Männer. 1891 fand ihr erster Wettkampf statt. Spät, erst 1903, gründete sich die erste Damenreigengruppe in München. Dieser Klub der Isarnixen existiert noch heute und ist recht erfolgreich.

Besonders populär wurde diese sportliche Kunst, als sich Hollywood in den 1930- und 1940er-Jahren den sogenannten Aqua-Musicals zuwandte. Doch je größer die mediale Aufmerksamkeit wurde, umso merkwürdiger reagierten die Funktionäre des Schwimmweltverbandes Fina. Wohl ist seit 1968 das Kunstschwimmen als Disziplin von der Fina akzeptiert und seit 1984 auch olympisch. Aber Männer sind bei internationalen Wettkämpfen nicht zugelassen – eine Geschlechter-Diskriminierung der etwas anderen Art.

Luftarme Kunst

„Wir werden permanent verspottet und behindert“, sagt der Bochumer Niklas Stoepel, einer der wenigen Wettkampf-Synchronschwimmer Deutschlands. Wohl darf er bei nationalen Wettstreiten antreten, weil der Deutsche Schwimmverband toleranter als die Fina ist. Aber: „Die Punktrichter bewerten nicht immer objektiv. Sie meinen, das sei eine reine Mädchensache, Jungs hätten hier nichts zu suchen“, sagt der Student über seine Erfahrungen. Aufsehen erregte der Fall des Amerikaners Bill May, dem es ähnlich ging. Obwohl er sich bei den US-Meisterschaften gegen die komplette Frauen-Elite durchgesetzt hatte, durfte er 2000 bei den Spielen in Sydney nicht starten. Er klagte – erfolglos. Und das in Zeiten, wo die Frauen eine einst männerdominierte Sportart nach der anderen ausüben, selbst wenn sie dabei nicht gut rüberkommen. Oder findet jemand Gewichtheben der Frauen schön?

Man muss das Synchronschwimmen ja nicht mögen, aber jene, die lachen, sollten es mal ausprobieren, um zu merken, wie viel Kraft dafür erforderlich ist. Was sie leisten, erklären die Synchronschwimmerinnen „Dresdner Goldfische“ vom Post SV Dresden, die gern Männer bei sich aufnehmen werden, wie Sandra Schukoff sagt. Allerdings: „Für eine vier- bis fünfminütige Kür braucht man die Kondition eines 1.500-Meter-Läufers, die Technik eines Meisterschwimmers und die Beweglichkeit eines Tänzers. Hinzu kommen musikalisches Taktgefühl und künstlerische Ausstrahlung. Und das bei permanentem Sauerstoffmangel, wenn sich die Sportler unter Wasser zu neuen Formationen finden oder Übungen kopfunter zeigen.“ Kaum eine Kunst verbindet so ästhetische Eleganz und physische Höchstleistung.

Auch der Film macht sich das immer wieder zunutze. Zuletzt war das H2O-Ballett Thema in der schwedischen Komödie „Männer im Wasser“. Sie zeigte die Schatten- wie die Sonnenseiten dieses Stils und trug mit dazu bei, dass Synchronschwimmen für Herren wieder attraktiv wurde.

Die neuen Synchronis bedienen auch keine Klischees mehr. Wohl sind die Frauen meist gelenkiger und eleganter, die Männer machen ihren Wassertanz durch die Kraft und Schnelligkeit sehenswert. Vor allem, wenn sie in Frauengruppen sozusagen den Hahn im Korb geben, kann das reizvoll sein. Die Jungs tragen meist keine Badekappe und verzichten auf das bei den Mädchen übliche Geschminke. Sie haben Badehosen und keine Anzüge an. Einzig die Nasenklammer sieht komisch aus. Aber die tragen ja alle.

Doch längst werden die Synchronschwimmer angefeindet – aus den eigenen Reihen. Weil sie eine andere körperliche Präsenz haben, sind sie vielfach den Mädchen überlegen. Das passt Sportlerinnen, Trainern und Funktionären nicht. Die Herren sollten eigene Meisterschaften austragen – nur sind dazu noch zu wenige am Start. Ergo Männer: Nur Mut zu mehr Wasserballett. Es muss ja nicht gleich Schwanensee sein!