Von Katarina Gust
Pirna. Wie heißt noch mal die Hauptstadt von Syrien? Und welches ist das Wahrzeichen dieses Landes? Zwei Fragen, die für Mohammed kein Problem sind. Er steht vor einer stummen Karte, die die Flüchtlingssozialarbeiter der Diakonie vorbereitet haben. Verschiedene Stecknadeln mit Städtenamen liegen bereit, zudem Fotos von Denkmälern aus Libyen, dem Irak oder Iran. In wenigen Minuten hat er jedem arabischen Land die richtigen Stecknadeln zugeordnet. Was für den jungen Syrer ein Kinderspiel ist, ist für manchen Pirnaer eine harte Nuss. Es sind zwei Welten, die zum „Markt der Kulturen“ in Pirna am Wochenende aufeinandergetroffen sind.
Was so los war auf dem Markt der Kulturen
Unter dem Motto „Freunde statt Fremde“ präsentierten sich zum 14. Mal in Folge Vereine und Initiativen, die sich für ein multikulturelles Miteinander stark machen. Die Multikulti-Sause brachte viele Menschen zusammen. Vor der Karte am Stand der Diakonie Flüchtlingshilfe pinnt Mohammed die letzte Stecknadel an. Tripolis, die Hauptstadt von Libyen, steckt an der richtigen Position. Neben ihm steht Tobias Hupfer, verantwortlich für die Kirchensozialarbeit bei der Diakonie. Anerkennend nickt er dem jungen Mann zu. „Von den Flüchtlingen können wir noch viel lernen“, sagt er. In seiner Arbeit hat er täglich mit Asylsuchenden zu tun. Und mit den Vorurteilen, die viele Menschen ihnen gegenüber hätten. „Weil sie nur übereinander sprechen und nicht miteinander“, sagt er.
An die 200 Flüchtlinge betreut die Diakonie Pirna auf linkselbischer Seite. Für sie und die ehrenamtlichen Helfer gibt es einen eigenen Koordinator. Denn auch die Betreuer bräuchten ab und zu Hilfe. „Sie hören manchmal Lebensgeschichten, die tief unter die Haut gehen“, beschreibt Tobias Hupfer. Schicksale, die auch Ehrenamtliche erst einmal verdauen müssten. Regelmäßig treffen sich Flüchtlinge im Diakonie- und Kirchgemeindezentrum in Pirna-Copitz. Die ökumenische Arbeitsgruppe Flüchtlingshilfe veranstaltet hier ein sogenanntes Flüchtlingscafé. Uwe Lehnert, der zur AG gehört und einen Stand zum Markt der Kulturen betreibt, kann sich noch gut an die ersten Treffs erinnern. Mit Händen und Füßen hätte man sich anfangs verständigt. Auch untereinander gibt es Sprachbarrieren. Nicht jeder Flüchtling, der aus dem arabischen Raum nach Deutschland kommt, spreche automatisch Arabisch. „Für uns europäische Ohren mag das ähnlich klingen“, sagt Lehnert. Arabisch und Persisch hätten am Ende etwa so viel gemeinsam wie Tschechisch und Polnisch. Am Stand der Arbeitsgruppe verteilt er Vokabellisten. „Smalltalk auf Persisch“, „Smalltalk auf Arabisch“ steht auf den Zetteln. Im Flüchtlingscafé, wenn alle Besucher gemeinsam Eierschecke essen, sind die unterschiedlichen Nationalitäten oder Religionen zweitrangig. „Bei uns sitzen syrische Christen mit syrischen Moslems an einem Tisch – und des funktioniert“, sagt Uwe Lehnert. Was sie eint, ist der Wunsch nach Frieden, nach einem neuen Zuhause.
Was sich Flüchtlinge wünschen, können die Besucher an einem anderen Stand nachlesen. Die Caritas hat Zettel verteilt, auf denen Asylbewerber notieren können, was sie sich zum Leben in Deutschland wünschen. Eine neue Familie oder einen Kühlschrank, steht in gebrochenem Deutsch geschrieben. Eine Ausbildung zum Tischler oder Maler auf einem anderen Blatt. Worte, die bewegen.
Die Aktion Zivilcourage, die sich am Markt der Kulturen beteiligt, hat den Spieß umgedreht – aus aktuellem Anlass. Auf einer Tafel sollen Besucher notieren, was für sie die deutsche Kultur ausmacht. „Wir reagieren damit auf das falsche Flugblatt, das vor wenigen Tagen in Pirna kursierte“, sagt Jana Seidel von der Aktion Zivilcourage. Inhaltlich ging es in dem Flyer um angebliche Verhaltensweisen gegenüber Flüchtlingen. Unter anderem wurden Besucher aufgefordert, bei warmem Wetter keine leichte Bekleidung zu tragen. Unsinnige Hinweise, die nicht von der Aktion Zivilcourage stammen, wie jedoch in dem Schreiben behauptet wurde. „Wir haben uns nun spontan überlegt, Begriffe zur deutschen Kultur zu sammeln“, sagt Jana Seidel. Was macht Deutschland aus? Die Sprache? Der sonntägliche Tatort um 20.15 Uhr? Pünktlichkeit oder doch die teils umständliche Bürokratie? „Die Antworten sind so vielfältig“, betont Seidel. Sie würden zeigen, dass es nicht die eine deutsche Kultur gibt.