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Wenn das Geld nicht reicht

Fast 6 500 Kinder und Jugendliche im Landkreis Bautzen leben in armen Verhältnissen – auch Clarissa, Justin und Angelique.

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© Gernot Menzel

Jana Ulbrich

Landkreis. Franziska Zudolski sieht dünn aus. Und dünnhäutig. Die junge Frau hat schon viel durchgemacht in ihrem Leben. Jetzt sitzt sie im kleinen Wohnzimmer am Esstisch und presst die Hände um die Kaffeetasse. Sie muss sich schonen.

Es ist Sommer, der 25. August, vormittags: Franziska Zudolski ist einkaufen, ihr Mann Robert auf Arbeit, über 60 Kilometer entfernt im Spreewald. Für Clarissa, die Große, hat gerade die Schule wieder angefangen, Justin, der Vierjährige, ist im Kindergarten. Franziska Zudolski schiebt den Kinderwagen mit Angelique, der Kleinen. Plötzlich spürt die junge Frau kein Gefühl mehr im rechten Bein. Sie schafft es bis nach Hause, da kann sie auch den rechten Arm schon nicht mehr bewegen, die rechte Gesichtshälfte nicht mehr fühlen. Sie ruft ihren Mann an und den Arzt.

Später im Krankenhaus wird der Beginn eines Schlaganfalls diagnostiziert und Blut im Nervenwasser festgestellt. Sie hat noch Glück gehabt. Aber sie braucht Ruhe, sagen die Ärzte. Sie muss im Krankenhaus bleiben. Und auch danach soll sie sich schonen. Franziska Zudolski ist erst 26. Ihr Mann Robert muss von jetzt auf gleich seine Arbeit aufgeben. Einer muss sich ja um die Kinder kümmern.

Traumatische Erlebnisse

Das Geld ist ohnehin schon knapp in der fünfköpfigen Familie. Robert Zudolski verdient als Saisonkellner im Spreewald gerade so den Mindestlohn, die Trinkgelder muss er abgeben. Franziska hat keine Ausbildung. Sie ist erst 16, als sie zum ersten Mal Mutter wird. Kein optimaler Start ins Erwachsenenleben. Zumal das Leben mit dem leiblichen Vater von Clarissa ein Desaster ist, vor allem geprägt von häuslicher Gewalt. Es dauert über vier Jahre, bis Franziska es endlich schafft, sich zu trennen. Clarissa, die jetzt neun ist, kämpft bis heute mit den traumatischen Erlebnissen ihrer frühen Kindheit. Umso mehr Liebe bekommen die Kinder jetzt. Es ist ein schönes Familienleben. Auch wenn die Wohnung in einem dieser typischen Vierfamilien-Mietshäuser aus DDR-Zeiten, wie es sie fast in jedem Dorf im Landkreis gibt, für die fünf eigentlich viel zu klein ist.

70 Quadratmeter, eine kleine Küche, in die kein Tisch passt, ein kleines Kinderzimmer für Angelique, die nachts oft wach wird, ein Zimmer, das sich Clarissa mit ihrem vierjährigen Bruder teilt, ein Sofa zum Ausziehen in der kleinen Wohnstube, auf dem die Eltern schlafen.

Sie sehen die Lage ganz nüchtern

Es geht der Familie wie Hunderten im Landkreis. 6 440 Kinder und Jugendliche leben hier in armen Verhältnissen und sind auf Hilfe vom Amt angewiesen. Franziska und Robert Zudolski klagen nicht. Sie sehen ihre Lage ganz nüchtern: „Wir müssen eben irgendwie klarkommen und gucken, dass wir die Kinder über die Runden kriegen“, sagt Robert Zudolski. „Hauptsache, den dreien geht es gut“.

Die jungen Eltern geben sich alle Mühe, drehen jeden Euro dreimal um. Aber oft reicht es hinten und vorne nicht. Ehe alle Anträge ausgefüllt und bewilligt waren, konnten Zudolskis zweimal die Miete nicht zahlen. Der Vermieter schickte die Kündigung. Aber sie können doch jetzt nicht ausziehen, sagt Franziska, das ist doch das Haus, in dem sie schon als Kind gelebt hat, das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist. Und die Wohnung, in der Angelique geboren wurde, fügt ihr Mann hinzu und lächelt: Eine Sturzgeburt, frühmorgens 4.45 Uhr, er hat geholfen. Im Geburtsschein steht 5.30 Uhr, der Zeitpunkt, an dem der Notarzt zur Stelle war und die Nabelschnur durchgeschnitten hat. Vielleicht können sie sich ja noch einigen mit dem Vermieter, hoffen beide. Denn wo sollte die Familie auch eine größere Wohnung finden, die ihrer Lage „angemessen“ ist? Angemessen heißt laut Vorgabe vom Amt: nicht größer als 95 Quadratmeter und nicht teurer als 467,11 Euro Bruttokaltmiete. „Das gibt’s hier nicht in der Gegend“, sagt Franziska. Sie hat die Kerzen an der Pyramide angezündet. Advent. Weihnachten.

Stiftung Lichtblick hilft

Clarissa wünscht sich eine Kindernähmaschine, Justin einen Baukasten mit vielen Schrauben. „Gut, dass wir Frau Ilgen haben“, lächelt Franziska, „es ist wunderbar, dass es die Stiftung Lichtblick gibt“. Rita Ilgen arbeitet als Familienhelferin beim Louisenstift in Hoyerswerda. Sie hat sich an die Stiftung gewandt. „Das war für uns eine riesengroße Freude und Überraschung“, sagt Franziska Zudolski. Von der 500-Euro-Spende haben sie einen Kindersitz gekauft, warme Winterschuhe, Kuschelbettwäsche und neue Bettdecken für die Kinder. Und Weihnachtsgeschenke! Die jungen Eheleute wissen das sehr zu schätzen. „Wir sind der Stiftung und allen Spendern unwahrscheinlich dankbar“, sagt Robert Zudolski.

Unten hinterm Haus steht allerdings schon sein nächstes Problem. Der 13 Jahre alte Renault muss zum Tüv. Auf dem Kostenvoranschlag stehen 535 Euro für die nötigen Reparaturen. Er weiß nicht, wo er die bis zum Jahresende noch hernehmen soll.

Erreichbar ist die Stiftung Lichtblick montags bis donnerstags, 9 bis 16 Uhr, Telefon 0351 4864-2846, Fax -9661, E-Mail: [email protected]

Post: Sächsische Zeitung, Stiftung Lichtblick, 01055 Dresden

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