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Wenn Emporen singen

In Kamenz werden Texte aus einer Kirche zu Musik. Mit der Aufführung endet ein großes Jubiläum. Oder beginnt es?

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© Wolfgang Wittchen

Von Irmela Hennig

Kamenz. So, und jetzt singen wir Pöche, nicht wahr“, sagt der Kantor und lächelt. Pöche, das ist er selbst. Michael Pöche, Kirchenmusikdirektor in Kamenz. Jeden Mittwochabend probt er derzeit mit seinen Kirchenchor-Mitgliedern die „Kamenzer Reformationskantate – Wer Gott dient mit Freude“. Der Kantor hat sie komponiert.

Die Textgrundlage hat er an seinem Arbeitsplatz gefunden, in der evangelischen Kamenzer Hauptkirche St. Marien. Dort sind seit 1675 an zwei Emporen Bibelverse zu lesen. In Goldschrift, einig aber arg verblasst, wie das „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Eine Restauration ist aktuell nicht geplant. Aber Michael Pöche, der seit 16 Jahren in der Lessingstadt wirkt, bringt die Worte von der Schuhmacher-Empore und vom „Finsteren Chor“ (dort ist es ziemlich dunkel) nun zumindest zum Klingen.

„Wir sind hier wirklich von Gottes Wort umgeben“, so erlebt es der Kantor. Und einige dieser Sätze, die unter anderem aus den Psalmen, dem Matthäusevangelium oder dem Römerbrief der Bibel stammen, hat er für die Kantate vertont. Hat diese Passagen mit Kirchenliedern kombiniert und den katholischen Pfarrer Michael Kleiner aus Schmochtitz bei Bautzen gebeten, die Rezitative zu schreiben, also die mit Musik unterlegten Zwischentexte. Die Kantate sei somit ein katholisch-evangelisches Projekt.

Nun wird geprobt. Am 31. Oktober findet die Uraufführung in der Hauptkirche statt – zum 500. Reformationsgeburtstag. Michael Pöche hofft, dass er gerade mit dem lokalen Ansatz Menschen ins Gotteshaus locken kann. Auch wenn nach zehn Jahren Reformationsaktivitäten ein wenig die Luft raus sei. Er hat recherchiert – Uraufführungen in Kirchgemeinden hat er für diesen Tag kaum gefunden. „Das ganze Jahr über wurde viel gemacht, und nun, zum eigentlichen Datum, herrscht großes Achselzucken“, wundert sich der Kirchenmusiker. Dabei sei es längst nicht jeder Generation vergönnt, Zeitzeuge eines so großen Jubiläums zu sein.

Vor allem lokale oder regionale Veranstaltungen finden statt zum großen Geburtstag. In Gemeinden rund um Görlitz läuft beispielsweise ein Fest, das in Tauchritz mit einem Gottesdienst startet, im Gemeindehaus Weinhübel mit einer Kaffeetafel fortgesetzt wird und in der Erlöserkirche Kunnerwitz mit einem Konzert endet.

Und in Kamenz werden über 70 Sänger und Musiker die neue Reformationskantate aufführen. Neben dem Chor mit etwa 35 Mitgliedern seien die Kurrende, der Posaunenchor und das Streicherensemble Collegium musicum eingebunden. Ob es nach der Premiere einen zweiten Aufführungstermin gibt, sei offen. Denkbar sei es schon. In der Oberlausitz liefen und laufen seit 2012 zahlreiche Projekte, die mit Reformation zu tun haben. Damit wird erinnert an den Theologen Martin Luther (1483 bis 1546), der sich vor 500 Jahren kritisch mit der damaligen Kirche auseinandersetzte. Er prangerte beispielsweise an, dass die Menschen für die Vergebung von Schuld bezahlen sollten und dass sich der Papst als Gott auf Erden darstellte. Das führte letztlich zu einer Spaltung der Kirche in die Katholische und die Evangelische.

Tagungen und Theater

Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien hat vor sechs Jahren ein komplexes Vorhaben gestartet, um das Jubiläum für die Region in den Blick zu nehmen. „Gesichter der Reformation“ heißt es und widmet sich Personen und Themen, die konkret hier, aber auch in Böhmen und Niederschlesien zu verorten sind. So gab es in Eibau eine Ausstellung, die am Beispiel von Naturtrompeten aus Eibau die Geschichte der Kirchenmusik erzählte. In Kamenz lief die Schau „Luther – Gellert – Lessing. Fabeln in Reformation und Aufklärung“. Die Wanderausstellung „Gesichter der Reformation“ stellt Persönlichkeiten aus der Region vor, wie Nikolaus von Zinzendorf, der mährischen Glaubensflüchtlingen auf dem Gebiet des heutigen Herrnhuts eine neue Heimat bot und zum Mitbegründer der Herrnhuter Brüdergemeine wurde. Die Ausstellung ist inzwischen weit gewandert. War unter anderem in Breslau, Prag, Augsburg und Wittenberg, ist derzeit in Brüssel, geht dann noch einmal in die tschechische Hauptstadt und könnte auch nach dem offiziellen Ende des Oberlausitzer Reformationsprojektes weiterreisen. „Das Interesse ist da“, sagt der Oberlausitzer Kulturraumsekretär Joachim Mühle. Er schildert die Vielfalt des Kulturraum-Programms. Es gab neben den Ausstellungen auch Tagungen, Theaterstücke, Aktionen mit Schülern, Publikationen. Der Bund unterstützte die Oberlausitz bei 19 Projekten mit rund 380 000 Euro aus einem Sonderprogramm. Außerdem, so betont Joachim Mühle, floss von Bund und Land viel Geld in die Sanierung von bedeutenden Bauten und Denkmalen. So wurde der Bautzener Petridom umfassend restauriert, genauso wie Totengedenktafeln, die sogenannten Epitaphien aus Zittau. Sie werden nun in der neu hergerichteten Klosterkirche dauerhaft präsentiert und sind aktuell Teil der Sonderausstellung „Ganz anders. Die Reformation in der Oberlausitz“. Rund 7 000 Besucher haben sich die schon angesehen. Für Museumsdirektor Peter Knüvener können es gern noch ein paar mehr werden. Die Schau läuft noch bis Anfang Januar.

Erste Eigenkomposition

Einen echten Schlusspunkt will Joachim Mühle vom Kulturraum auch darum nicht setzen, wenn mit dem 31. Oktober das mehrjährige Zusteuern aufs große Jubiläum endet. Die Veröffentlichung von Luthers Thesen zur Kirche an jenem Tag sei ja erst der Auftakt gewesen. Darauf folgten viele Ereignisse, auch in der Oberlausitz. Die könne man lokal aufgreifen. Ob es dafür noch einmal Geld vom Bund gibt, will Joachim Mühle prüfen, hält es aber für wenig wahrscheinlich. Die Aufführung der Reformationskantate in Kamenz ist ohne Fördermittel zustande gekommen. Für Michael Pöche ist das Werk, das in den Festgottesdienst eingebunden wird und etwa eine halbe Stunde dauert, nicht die erste Eigenkomposition. Schon zum 500. Geburtstag der Kamenzer Klosterkirche hatte er einen Sonnengesang geschrieben. Am aktuellen Werk hat er von Mitte April bis Anfang August 2017 gearbeitet. Allerdings mit Unterbrechungen. Schließlich wurde ein guter Teil der Urlaubszeit für das Werk aufgewendet. Danach sind Michael Pöche und seine Frau Angelika für eine Woche nach Wittenberg gefahren – an den Ursprungsort der Reformation.

Die Uraufführung der Reformationskantate findet am 31. Oktober, 14 Uhr, in der Hauptkirche St. Marien in Kamenz statt. Am 26. Oktober gibt es 19.30 Uhr im Kirchgemeindehaus Kamenz (Pulsnitzer Straße 21 / Eingang Anger) eine musikalische Zeitreise „500 Jahre evangelische Kirchenmusik-, Kirchenlied- und Gesangbuch-Geschichte“, dabei wird auch in die Kantate eingeführt. Das Reformationsjubiläum in den Görlitzer Dörfern beginnt am 31. Oktober, 13.30 Uhr, in der Dorfkirche Tauchritz. Viele weitere Termine gibt es unter www.gesichter-der-reformation.eu