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Wenn ein Unfall kein Zufall ist

Nach Schätzungen der Polizei könnte bei jedem zehnten Zusammenstoß Versicherungsbetrug im Spiel sein.

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© Roland Halkasch

Von Jana Ulbrich & Holger Gutte

Nicht jeder angezeigte Verkehrsunfall ist auch wirklich einer. Die Polizei kann ein Lied davon singen. Immer wieder kommt es vor, dass Versicherungsleistungen erschlichen werden sollen. Frank Wobst, der die Verkehrspolizeiinspektion der PD Görlitz leitet, kann das anhand von Recherchen belegen.

Seine Kollegen im Polizeirevier Zittau-Oberland schilderten ihm beispielsweise einen Fall aus dem Oberland. Ein junger Mann aus Neusalza-Spremberg hatte einen Wildunfall an seinem Auto gemeldet. Er wollte ihn scheinbar über seine Teilkasko bei einer Versicherung abrechnen, berichtet Frank Wobst. Die Beamten sind jedoch stutzig geworden, weil der vermeintliche Unfall schon einige Tage zurücklag und der junge Mann relativ spät zur Polizei kam. Zudem gab es zwischen der Unfallaufnahme, aber vor allem den Schäden am Auto einige Unstimmigkeiten an der Aussage des „Geschädigten“, berichten die Polizeibeamten. Durch weitere Ermittlungen und Zeugenaussagen ist dann festgestellt worden, dass der Mann einen selbstverschuldeten Unfall im Parkhaus des Kornmarktcenters in Bautzen hatte. So endeten die polizeilichen Ermittlungen mit einer Anzeige wegen Versicherungsbetruges.

Und es gibt noch viel krassere Fälle. Einen aus Hoyerswerda vergisst Frank Wobst nicht so schnell. Selbst ein erfahrener Polizist wie er schüttelt immer wieder den Kopf, wenn er davon erzählt. Zwei Jahre lang haben er und seine Kollegen akribisch ermittelt – und einen spektakulären Fall von Versicherungsbetrug aufgedeckt. Es geht um Unfälle, die keine Zufälle waren.

Einem Streifenpolizisten des Hoyerswerdaer Reviers fällt es zuerst auf, als die Beamten zu einem Unfall an eine abgelegene Straße ins Seenland gerufen werden. Hatte der Fahrer dieses Lancias nicht erst kürzlich einen ähnlichen Unfall? Die Polizisten beginnen zu recherchieren. Und was sie herausfinden, wird ein Fall für die Staatsanwaltschaft: Allein der Lancia ist innerhalb kurzer Zeit in acht Unfälle verwickelt. Er ist auch nur eins von 14 Fahrzeugen, die innerhalb von sieben Jahren auf den Mann aus dem Raum Hoyerswerda zugelassen sind. Alle diese Autos tauchen in Unfallprotokollen auf. Meistens sind es Auffahrunfälle, irgendwo an wenig befahrenen Straßen in den Kreisen Bautzen, Görlitz und Spree-Neiße. Meistens passieren sie nach Einbruch der Dunkelheit. Meistens sagt der Mann, er habe aus irgendeinem Grund plötzlich bremsen müssen. Schuld ist dann meistens derjenige, der auffährt. Und der nicht ahnt, dass er gerade in eine Falle gelockt worden ist. 75 solcher Unfälle sind in der Ermittlungsakte aufgelistet. Den Schaden begleichen jedes Mal brav die Versicherungen: allein in diesen Fällen insgesamt 340 000 Euro. Auch gegen den Schadensgutachter und den Chef der Autowerkstatt ermitteln die Polizisten.

Im Bereich der Polizeidirektion Görlitz sind die fingierten Unfälle aus Hoyerswerda der bisher größte Fall dieser Art, den die Beamten aufdecken konnten. Aber sie sind sehr wahrscheinlich nicht die einzigen, die sich so oder ähnlich ereignen. „Versicherungsbetrug ist ja ein regelrechter Volkssport“, sagt Frank Wobst. Nach Schätzungen der Polizei könnte es bei jedem zehnten gemeldeten Unfallschaden nicht mit rechten Dingen zugehen: Auffahrunfälle oder Zusammenstöße an Kreuzungen und Straßeneinmündungen werden manchmal bewusst provoziert. Es gibt Fälle, in denen ein Unfall zwischen den Beteiligten geplant und abgesprochen ist. Frank Wobst nennt Beispiele aus Berlin und Nordrhein-Westfalen, bei denen ganze Banden auf diese Weise Geld verdienen.

Frank Wobst erzählt auch von einem Fahrzeughalter, der am Kotflügel seines Autos einen angeblichen Wildunfall mit Himbeermarmelade und Besenborsten vortäuschen wollte. Das Gros unter den Manipulationen machen aber vor allem die Fälle aus, bei denen Unfälle genutzt werden, um bereits vorhandene Schäden an den Autos nachträglich auf Versicherungskosten reparieren zu lassen. „Die Täter haben meistens ein leichtes Spiel“, weiß er. Denn nur die wenigsten dieser Betrugsfälle werden tatsächlich aufgedeckt. Die Beamten müssen bei der Unfallaufnahme schon sehr genau hinsehen und hinhören. Und die richtigen Fragen stellen. Der Fahrer eines 7,5-Tonners beispielsweise konnte entlarvt werden, weil er auf die hartnäckige Frage des Polizisten, wie sich der Unfall genau ereignet habe, ziemlich ins Stottern geriet.

Nicht immer ist der Nachweis eines Betrugs so leicht möglich. „Der Polizist, der zu einem Unfall kommt, muss schon sehr viel in der Hand haben, um zu sagen: „Das glaube ich Ihnen nicht.“ Es ist Detailarbeit für die Experten.