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Wenn die Weißeritz durchs Gemüsebeet fließt

Die Sparte im Rabenauer Grund wurde zerstört und sollte dann abgerissen werden. Die Gärtner wehrten sich – mit Erfolg.

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© Andreas Weihs

Von Tobias Winzer

Freital. Manchmal reichen Daumen und Zeigefinger, um die dramatischen Minuten am 12. August 2002 zu verdeutlichen. Manfred Hellwig, damals Chef des Kleingartenvereins Rabenauer Grund in Freital-Hainsberg, misst mit den Fingern zehn Zentimeter aus. „Als ich weggegangen bin, fehlte noch so viel“, sagt der heute 77-Jährige. Die Rote Weißeritz, die direkt an der Sparte in der Nähe des Weißeritzparkes vorbeifließt, stieg in den Nachmittagsstunden minütlich und drohte, über die Ufer zu schwappen. Hellwig und sein Stellvertreter Ulrich Büttner waren mit die Letzten, die die Sparte verließen – auf Geheiß der Polizei.

Die Flut wusch die Gärten aus. Rechts im Bild das Bassin, auf dem Büttner und Hellwig im großen Foto sitzen.
Die Flut wusch die Gärten aus. Rechts im Bild das Bassin, auf dem Büttner und Hellwig im großen Foto sitzen. © Ulrich Büttner
Am 13. August stand die Kleingartenanlage komplett unter Wasser. Fünf Lauben wurden zerstört.
Am 13. August stand die Kleingartenanlage komplett unter Wasser. Fünf Lauben wurden zerstört. © Ulrich Büttner

15 Jahre später sitzen die beiden entspannt in Büttners Garten. Sie blättern in Fotoalben. Die Bilder zeigen das Ausmaß der Zerstörung nach dem Hochwasser 2002 und die Mühen des Wiederaufbaus. „Es ist toll, dass das alles so gut dokumentiert ist“, sagt Hellwig. „So etwas kann man gar nicht erzählen. Man muss es zeigen.“

Und zu zeigen gibt es jede Menge. Durch heftige Regenfälle schwellen die Flüsse damals an. Die Talsperre Malter läuft über und die Wassermassen wälzen sich durch den Rabenauer Grund. In der Nähe der Kleingartensparte wird eine Brücke zum Hindernis. Angeschwemmte Baumstämme bilden einen Damm. Die Rote Weißeritz sucht sich einen anderen Weg – und fließt durch die Kleingartensparte von Manfred Hellwig und Ulrich Büttner.

„Ich war überzeigt, dass nichts passieren kann“, sagt Büttner. „Das Hochwasser hat uns überrascht.“ Er zeigt eine Hochwassermarke vom 13. August 2002 an seiner Laube – 30 Zentimeter über dem Boden. Fünf Häuschen der Sparte werden damals zerstört, zum Teil in die Weißeritz gespült. Die Strömung reißt Gartenland mit sich. Es entstehen bis zu zwei Meter tiefe Krater. An anderen Stellen werden Unmengen an Sand angespült. „Wir waren verzweifelt. „Wir wussten nicht, wie es weitergeht“, beschreibt Hellwig den Moment, als das Wasser am 14. August verschwunden ist und sich die Kleingärtner ein Bild von der Zerstörung machen können.

Allein in Büttners Garten summieren sich die Schäden auf 10 000 Euro. 30 Kubikmeter Erde muss er ordern, um die Löcher auszugleichen. Hellwig, dessen Parzelle wenige Meter daneben, aber weiter oben liegt, hat Glück. Bei ihm steht das Wasser nur dünn auf dem Boden der Laube.

Ähnlich wie Hellwig und Büttner geht es Mitte 2002 auch anderen Kleingärtnern. Allein im alten Weißeritzkreis beschädigt das Hochwasser 19 Sparten. Einige Vereine müssen sich nach der Flut verkleinern, wie die Sparten Backofenblick und Talblick in Freital. Andere Siedlungen werden komplett geräumt, wie der Verein Thälmannplatz zwischen Neumarkt und Weißeritz. Dieses Schicksal droht damals auch den Gärtnern im Rabenauer Grund.

Nachdem Hellwig und Büttner im November 2002 zunächst zugesichert wird, dass ihre Sparte auf jeden Fall bestehen bleibt, heißt es wenige Monate später, dass die Kleingärten dem Hochwasserschutz geopfert werden sollen. Die Landestalsperrenverwaltung (LTV) hat damals Pläne, die Fläche im Hochwasserfall als eine Art Schwemmland für Kies und Baumstämme freizuhalten. „Wir sind dagegen sofort in Widerspruch gegangen“, sagt Büttner. Weil er sich in seiner Ausbildung zum Ingenieur auch mit der Strömungslehre befasst hat, fallen ihm sofort Fehler auf. Die Rote Weißeritz macht an der Stelle eine leichte Rechtskurve.

Folglich müsste der Unrat im Hochwasserfall nach den physikalischen Gesetzen nach links abgetragen werden und nicht, wie die Landestalsperrenverwaltung berechnet hat, nach rechts – dort, wo sich die Kleingärten befinden. „Ich habe nichts gegen Hochwasserschutz, aber das war technischer Blödsinn“, sagt Büttner.

Die Kleingärtner schalten die Presse ein, informieren das Fernsehen. Oberbürgermeister Klaus Mättig wird zu ihren größten Fürsprechern. Es gibt Gespräche mit dem Landrat und der LTV. „Wir haben unheimlich Druck gemacht“, sagt Hellwig. Im November 2006 erfahren sie schließlich aus der Sächsischen Zeitung, dass die Pläne zu den Akten gelegt sind und ihre Sparte weiter bestehen darf. „Dass wir durch Eigeninitiative 29 Kleingärten gerettet haben, berührt mich immer noch“, sagt er.

Inzwischen hat die LTV ihre Pläne geändert. Fast genau 15 Jahre nach der Flut soll die Rote Weißeritz nun ab Mitte August hochwassersicher gemacht werden. Nicht mehr benötigte Wehre werden abgerissen, das Flussbett wird vertieft und aufgeweitet. „Vieles von dem, was wir damals als Alternative vorgeschlagen haben, wird jetzt gemacht“, sagt Büttner. Die Kleingärten sind dann vor einem Hochwasser geschützt, wie es statistisch gesehen alle 200 Jahre vorkommt. „Jetzt sind wir sicher.“