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Wenn die Oma in der Baugrube landet

Dann ist etwas gründlich schief gelaufen. Vorm Amtsgericht in Kamenz musste sich jetzt ein Baustellen-Polier verantworten.

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© Archivfoto: Rico Löb

Von Frank Oehl

Kamenz. Das war ein Schock. Am Abend des 2. Februar 2016 wollte Oma Ingeborg – trotz windigen und nasskalten Wetters – noch flugs mit dem Rad in die Pulsnitzer Kante zum Seniorensport. Dort kam sie nicht an, weil sie in der leicht abschüssigen Siegesbergstraße in einer offenen Baugrube gelandet war. „Als ich zu mir kam, lag ich zwei Meter tiefer im Schlamm, und das Rad lag auf mir. Ich schrie um Hilfe“, erinnerte sich die 75-Jährige jetzt anschaulich und wortreich zu gleich. Eine Reinemachefrau der nahen Kita hörte die Rufe und sorgte für die Rettung der Radlerin. Eine ganze Woche lang wurde sie auf der Intensivstation behandelt – mit lebensgefährlichem Leberanriss, mit Rippen- und Ellenbogenbruch. „Zum Glück hatte mein Kopf nichts abbekommen“, sagte die mittlerweile wieder hergestellte Frau. Dass sie ohne Helm unterwegs gewesen war, räumte sie ein. Das spielte jetzt im Prozess gegen den verantwortlichen Baustellen-Polier Jörg H. aber nur eine Nebenrolle. Der damals 39-Jährige musste sich wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.

Und fahrlässig war die Sicherung der Baustelle an diesem Tage in der Tat gewesen. Die dreiköpfige Mannschaft einer großen Straßen- und Tiefbaufirma aus Schmölln-Putzkau war zu einer Havarie an die Abbiegung der Ohorner auf die Siegesbergstraße gerufen worden. „Wir sind bis Einbruch der Dunkelheit nicht fertig geworden und haben die Baustelle gesichert.“ Laut Anklage aber ungenügend. Ein Metallzaun stand ohne oder auf defekten Hartgummifüßen da, Warnblinker fehlten, und das offenbar verwendete Flatterband sei eh unzulässig gewesen. Am Abend habe der Wind zugenommen, ein Teil des Absperrung sei umgefallen, sodass Oma Ingeborg in der Tat von oben in die Baustelle fahren konnte. „Ich habe nichts gesehen, alles lag ja völlig im Dunkeln.“

Wo liegt die persönliche Schuld?

Allerdings war die rüstige Seniorin, die auf dem Rad gern flott unterwegs ist, wie sie sagte, auf der abschüssigen Strecke nicht ganz die vorgeschriebene Linie gefahren. Die stumpfe Kurve in die Siegesbergstraße hat sie nämlich geschnitten, wie sie unumwunden einräumte. „Hätte ich die Baustelle in der Dunkelheit gesehen, wäre ich rechts vorbeigefahren.“ Die leichte britische Art des Fahrens könnte ihr nun im noch laufenden Zivilrechtsstreit um Schadensersatz gegen die Baufirma noch etwas auf die Füße fallen, wie auch die Einlassung, schon am Morgen zum Einkaufen in die Stadt gefahren zu sein und die aufgerissene Straße durchaus bemerkt zu haben.

Das war aber nicht Gegenstand des Strafverfahrens. Das Amtsgericht musste klären, welche persönliche Schuld der Polier auf sich geladen hatte. Und da sprach durchaus einiges auch zu seinem Gunsten. Offenbar hatte es in der großen Baufirma erst nach dem tragischen Radunfall, den der Anklage noch einmal ausdrücklich bedauerte, die vorschriebenen Belehrungen zur korrekten Baustellen-Absicherung gegeben. Auch der Havariefall selbst sorgte für Stress. So wäre man an die Warnleuchten erst herangekommen, wenn mit Hilfe eines Radladers große Betonelemente weggeräumt worden wären. Dieser stand auf die Schnelle nicht zur Verfügung. „Wir waren ja mitten im Winterbetrieb.“

Gleichwohl hat der heute 41-Jährige seine  Mitschuld eingeräumt. Anklage und Verteidigung einigten sich – auch mit Blick auf den bisher völlig unbescholtenen Lebenswandel des Mannes – auf die Einstellung des Verfahrens unter Auflage einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 1500 Euro an die Geschädigte. Dieses solle aber nicht auf Schadensersatzansprüche aufgerechnet werden, hieß es. Die laufen nach wie vor – gegen die Baufirma.