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Wenn’s zur Nahversorgung zu weit ist

Am Sternplatz soll die alte Herkuleskeule abgerissen werden. Anwohner fürchten, dass es keinen Ersatz gibt.

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© Sven Ellger

Von Sophie Arlet und Nora Domschke

Was zu DDR-Zeiten eine Selbstverständlichkeit war, ist heute nicht mehr die Regel – Bäcker, Fleischer und Lebensmittelmärkte sind längst nicht in jedem Wohngebiet zu finden. Stattdessen siedeln sich die Geschäfte der Nahversorgung an großen Durchfahrtsstraßen oder in Einkaufszentren an. Für die Bewohner eines Viertels wird der Einkauf dann zum Problem, wenn sie schlecht zu Fuß sind und kein Auto haben. Wer rund um den Sternplatz lebt, hat den Einkaufsmarkt vor der Haustür. Noch.

Vormittags herrscht in dem kleinen Nah-und-gut-Markt reges Treiben. Vor allem Senioren aus den umliegenden Häusern kaufen dort ein, viele haben einen Rollator. Von ihren Häusern an der Josephinen-, Polier-, oder Falkenstraße müssen sie höchstens 300 Meter bis zum kleinen Lebensmittelmarkt zurücklegen. Dessen Tage sind allerdings gezählt. Da das benachbarte Kabarett Herkuleskeule jetzt in den Kulturpalast gezogen ist, soll der Flachbau abgerissen werden. Das Gebäude gehört der Stadt. Aus dem Edeka-Markt schleppt ein Rentnerehepaar gerade einen Sack Kartoffeln zur Wohnung an der Ammonstraße. Birgit Peters betreibt den kleinen Lebensmittelmarkt seit 24 Jahren. Zum Sortiment gehören Waren des täglichen Bedarfs, auch Briefmarken und Blumen bekommen die Kunden bei ihr.

Wann abgerissen wird, ist offen

Peters wüsste gern, wie es weitergeht, bekommt von der Stadt aber keine klare Aussage. Ihr Mietvertrag ist immer nur für ein Jahr gültig. Ende 2016 hat schon der Fleischer in ihrem Markt geschlossen. „Er hätte investieren müssen, wusste aber nicht, ob sich das noch lohnt“, sagt Peters. Jetzt ist sie froh, dass wenigstens der Bäcker noch da ist. Auch sie würde ihr Geschäft gerne modernisieren. Doch angesichts der ungewissen Zukunft sei das finanzielle Risiko zu groß, so die Marktchefin.

Arlett Ospel hat im selben Gebäude seit 23 Jahren ihren Frisörsalon und ist auf den Standort angewiesen. Sie könne sich ohne die Stammkundschaft keine neue Existenz mehr aufbauen, sagt die 55-Jährige. Auch ihr Mietvertrag ist befristet und endet im Februar 2018. Ospel hat bereits mehrmals bei der Stadt nachgefragt, aber bisher nur die vage Information erhalten, dass das Gebäude 2018 wohl noch nicht abgerissen werde. Einen konkreten Zeitplan gibt es derzeit nicht. „Abriss und Neubau stehen nicht unmittelbar vor der Tür“, heißt es von der Stadtverwaltung.

Einkaufsalternativen haben die Anwohner im World Trade Center. Der Aldi dort hat vor einem Jahr geschlossen, jetzt gibt es am Standort noch eine Konsum-Filiale. Eine weitere befindet sich in der Annenstraße. Für manche Senioren sind diese Wege schon zu weit, vor allem, wenn der Einkauf etwas größer ist. Dann wird der Rückweg mit den schweren Beuteln zur Qual. Ruth Marzona hofft deshalb, dass es auch künftig Geschäfte vor ihrer Haustür geben wird. Sie wohnt seit 60 Jahren am Sternplatz. Den geplanten Grillplatz im Park vor dem AOK-Gebäude hält sie für unnötig, wichtiger ist ihr die nahe Einkaufsmöglichkeit.

Dabei gibt es durchaus Grund zur Hoffnung. „Wenn die Stadt selbst Eigentümerin der Fläche ist, kann sie die Entwicklung maßgeblich steuern“, heißt es auf SZ-Anfrage aus dem Stadtplanungsamt. Die Stadt will auf dem Areal der Theaterstätte Wohnungen mit günstigen Mieten bauen. Das soll die städtische Wohnungsbaugesellschaft übernehmen, die aber noch nicht gegründet ist. Platz ist auch für mehrere Baugemeinschaften. Im Erdgeschoss des Neubaus am Sternplatz sollen Flächen für Geschäfte und Cafés entstehen. Bei einer Bürgerversammlung zur Umgestaltung des Parks wünschten sich Anwohner kürzlich, dass in der Zeit von Abriss und Neubau – also bevor es neue Läden geben wird – eine Einkaufsmöglichkeit bestehen bleibt. Vielleicht in einer Interimskaufhalle. Die Stadtplaner sehen das allerdings skeptisch, weil es dafür keinen Platz gibt.

Während sich die Anwohner in der Seevorstadt um ihren Einkaufsmarkt sorgen, soll sich die Situation der Friedrichstädter mit einem Neubauprojekt verbessern. Ein Weimarer Unternehmen investiert in ein Grundstück an der Ecke Weißeritz-/Friedrichstraße. Dort soll auch ein Supermarkt entstehen – bislang fehlt ein solches Angebot im näheren Umfeld. Das Vorhaben entspricht dem Zentrenkonzept der Stadt, das analysiert, welche Art von Einzelhandel oder Einkaufszentren in welchem Teil der Stadt sinnvoll ist. Das Konzept stammt allerdings aus dem Jahr 2005, wird derzeit überarbeitet und soll Mitte 2018 vom Stadtrat beschlossen werden.