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Wenn der Wolf die Idylle stört

Verhätscheln oder erschießen: In Rietschen hat jeder eine Meinung zu Pumpak, dem Problemwolf. Und der macht sich rar.

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© André Schulze

Von Frank Seibel

Teicha. Weiß und weit liegen die Wiesen vor dem Dörfchen. Auf einem zugefrorenen Teich spielen Schüler Eishockey und genießen den Winterferientag. Weit hinten stehen einige Rinder in der Sonne. Idylle in Teicha. Nicht der Rede wert. Und doch ist das Dorf nahe Rietschen im Gespräch. Teicha und das benachbarte Quolsdorf gehören zum Revier von „Pumpak“, dem Wolf, der als „verhaltensauffällig“ gilt – und deshalb mit dem Tod durch die Jagdflinte bedroht ist. Oder war?

Wolfsexperte Markus Bathen vom Naturschutzbund Nabu weiß, dass ein Wolf kein Kuscheltier ist. Aber er ist dagegen, auffällige Tiere zu schnell zu töten. Es gibt Zwischenschritte, sagt er.
Wolfsexperte Markus Bathen vom Naturschutzbund Nabu weiß, dass ein Wolf kein Kuscheltier ist. Aber er ist dagegen, auffällige Tiere zu schnell zu töten. Es gibt Zwischenschritte, sagt er. © Britta Pedersen/dpa

„Seit vier Wochen haben wir ihn nicht mehr gesehen“, sagt eine alte Dame, die ganz am Rand von Teicha zu Hause ist. Vom Waldrand bis in ihren Hof sind es wenige Hundert Meter. Immer wieder war „Pumpak“ hier gesehen worden. Sogar auf privaten Grundstücken. In Quolsdorf ist der Wolf, der aus Polen stammt, beim Kuchenklauen erwischt worden, anderswo wurde er am Komposthaufen gesichtet, offenbar auf der Suche nach Nahrung. Der Sohn der alten Dame ist Handwerker, und er rollt mit den Augen, wenn er das Stichwort „Wolf“ hört. „Ich kann’s nicht mehr hören!“ Für den Mann ist die Sache klar: „Wenn ein Wolf über mein Grundstück läuft, muss man ihn abschießen.“ Dass das nicht für alle Menschen in den Dörfern um Rietschen so klar ist, zeigte jüngst ein Beispiel in Quolsdorf: Dort freute sich eine Frau, einen Wolf vor dem Haus anzutreffen; sie hat ihn mit dem Handy gefilmt.

Wenige Kilometer nördlich wird im Gasthof „Zum Forsthaus“ in der Erlichthofsiedlung ein runder Geburtstag gefeiert. Die Reihe von Geländewagen auf dem Parkstreifen vor dem Gasthaus verrät: Es sind viele Jäger unter den Gästen. Und eine zierliche Frau in den Sechzigern, sportlich und mit kurzen Haaren, keine ängstliche Person. Auch sie hat eine klare Meinung zum Wolf. „Ich bin dafür, dass Wölfe hier leben. Aber man darf sie nicht verhätscheln.“

Wer sich freut, wenn ein wildes Tier wie der Wolf in den Siedlungen der Menschen herumstreunt, der macht etwas falsch, sagt die Rentnerin aus Kromlau. „Die Tiere verlieren sonst den Respekt vor den Menschen.“ Sie selbst hat Respekt – und der nimmt zu. Sie fahre viel mit dem Fahrrad, auch durch den Wald. Aber ganz allein traut sie sich das kaum noch. Und sie erzählt von einem Jäger, der sie erst noch ausgelacht habe wegen ihrer Angst vor dem Wolf. „Einige Wochen später traf ich ihn wieder, und er war bekehrt.“ Von seinem Hochsitz aus habe er einen völlig entfesselten Wolf beobachtet, wie er eine Rotte Rotwild durcheinander gewirbelt habe.

Das, sagt ein anderer Jäger im Erlichthof, ist ja noch normal. Nicht normal sei es, wenn ein Wolf sich sein Essen bei den Menschen hole. „Bei Dauerfrost von minus 20 Grad kann es vorkommen, dass die Tiere sich mal Siedlungen nähern.“ Aber dieser Winter sei überhaupt nicht extrem. Seine Haltung zu Pumpak, dem sogenannten Problemwolf: abschießen!

Diese Generation der über 50 Jahre alten Jäger hat das zum großen Teil auch tatsächlich so gelernt. Darauf macht Markus Bathen aufmerksam. Der 45 Jahre alte Förster leitet das Wolfsbüro des Naturschutzbundes (Nabu) in der Ober- und Niederlausitz. „Wer zu DDR-Zeiten seinen Jagdschein gemacht hat, der hat noch gelernt: Wenn du einen Wolf siehst, musst du ihn abschießen.“ Dann, mit der Wiedervereinigung im Oktober 1990, wurde diese Regel von einem auf den anderen Tag ins Gegenteil verkehrt. Plötzlich war der Wolf streng geschützt. Diese Vorgeschichte, sagt Bathen, sei eine Erklärung für die harsche Haltung vieler Jäger gegenüber dem Wolf.

Doch der Wolfs-Experte, der mit seiner Familie selbst in Teicha lebt, sieht zwischen Verhätscheln und Erschießen noch andere Strategien, das Nebeneinanderleben von Mensch und Wolf zu regeln. Bathen plädiert dafür, Tiere wie Pumpak mit einem Sender zu versehen. Wenn ein Wolf schon auf dem Kompost nach Essen sucht, sei er auch leicht zu fangen. Und wozu der Sender: Wenn man verfolgt, wie und wo sich der Wolf bewegt, kann man ihn gezielt verschrecken. Das fange schon mit dem Besendern an. Nach der Betäubung empfiehlt Bathen ein „gestresstes Aufwachen“: Wenn mehrere Menschen um das Tier herumstehen, laut sind und wild gestikulieren, dann merkt der Wolf, dass er Menschen lieber meiden sollte.

Ob Pumpak nun verschreckt, erschossen, überfahren oder auch nur aus der Region geflohen ist, das weiß in Rietschen niemand. Offiziell zumindest. Am Sonntag endet die Erlaubnis, auf ihn zu schießen.