Merken

Wenn der Notarzt nicht kommt

Nach einem Unfall in Sebnitz dauert es einem Zeugen zufolge lange, bis Retter anrücken – ohne Notarzt. Was lief da schief?

Teilen
Folgen
© Marko Förster

Von Dirk Schulze

Sächsische Schweiz. An einem Donnerstagvormittag im Dezember fährt der blaue Trabant die Neustädter Straße in Sebnitz hinunter. Am kleinen Kreisverkehr am Fuße des Berges kommt er von der Fahrbahn ab und stößt gegen die Fassade des bunten Fischer-Art-Hauses. Die Fahrer von zwei nachfolgenden Autos eilen dem Verunfallten zu Hilfe. Einer der Helfer ist der Sebnitzer Gastronom und NPD-Stadtrat Andreas Börner, der den Vorfall kürzlich in der Sebnitzer Stadtratssitzung zur Sprache brachte.

Er habe zunächst die Polizei verständigt, erklärt Börner. Denn der Trabantfahrer war äußerlich unverletzt, lief sogar noch um sein Auto herum und sammelte die abgefallenen Teile auf. Doch einige Minuten später sackte er plötzlich in sich zusammen. Der zweite Helfer – ein DRK-Mitarbeiter, der privat unterwegs war – begann sofort mit der Wiederbelebung. Andreas Börner wählte die 112 – und landete in einer Warteschleife. Erst beim zweiten Versuch kam er durch. Insgesamt habe es zwanzig Minuten gedauert, bis der Rettungswagen eintraf. Ein Notarzt allerdings kam überhaupt nicht. Stattdessen kam eine Ärztin aus einer nahe gelegenen Praxis zur Unfallstelle gelaufen. Wie kann es sein, dass in Sebnitz kein Notarzt zur Verfügung stand? Warum brauchte der Rettungsdienst so lange? Diese Fragen stellte Börner im Stadtrat in den Raum. Zuständig für die Organisation des Rettungsdienstes in der Region ist das Landratsamt in Pirna. Eine Anfrage ergibt Folgendes: Der erste Notruf ging um 11.31 Uhr in der Rettungsleitstelle in Dresden ein. Anrufer war die Polizei. Der Rettungswagen war laut den Datensätzen der Leitstelle um 11.36 Uhr am Unfallort – also innerhalb von fünf Minuten. Den behaupteten 20 Minuten bis zum Eintreffen eines Rettungsmittels müsse damit widersprochen werden, sagt der Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz im Landratsamt, Steffen Klemt. Kamen den Ersthelfern also die fünf Minuten nur ewig lange vor?

Bei seinem ersten Anruf sei es kurz nach 11 Uhr gewesen, sagt Stadtrat Börner. Da ist er sich sicher, da er um diese Zeit täglich Essen ausfährt. Allerdings hat er nicht den Notruf 112 gewählt. Er habe direkt auf dem Sebnitzer Polizeirevier angerufen, erklärt er auf Nachfrage. Die Situation stellte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so dramatisch dar. Der Verunfallte wirkte zwar etwas benommen, lief aber noch umher. Er habe gegenüber der Polizei von vornherein gesagt, dass diese auch einen Rettungswagen schicken soll, sagt Börner. Nachdem nach einigen Minuten niemand kam, rief er noch einmal auf dem Revier an. Als das Unfallopfer dann plötzlich zusammenbrach, wählte er den Notruf 112.

Der Polizei zufolge hat das Sebnitzer Revier um 11.29 Uhr das Lagezentrum in Dresden verständigt. Anhand der vorliegenden Unterlagen lasse sich keine Verzögerung erkennen, sagt Sprecherin Jana Ulbricht: „So etwas bleibt nicht liegen.“ Auch der Rettungswagen wurde direkt bei dieser ersten Meldung mit angefordert. In der Folge habe es noch einen zweiten Hinweis an die Leitstelle gegeben, dass es dem Verunfallten schlechter gehe. Die Daten deckten sich mit denen der Leitstelle.

Dass kein Notarzt zum Unfallort kam, ist jedoch unstrittig. Der zuständige Notarztstandort Neustadt war an diesem Tag besetzt, erklärt das Landratsamt. Allerdings sei der diensthabende Notarzt gerade zum Unfallzeitpunkt bei einem anderen Notfall in Lichtenhain im Einsatz gewesen. Auf Nachfrage der Dresdner Leitstelle habe er mitgeteilt, dass er dort nicht abkömmlich ist. Die Leitstelle alarmierte deshalb einen Rettungshubschrauber. Der Rettungshubschrauber aus Dresden war jedoch ebenfalls im Einsatz, der Hubschrauber aus Bautzen konnte witterungsbedingt nicht starten. Der Disponent habe deshalb parallel versucht, einen niedergelassenen Arzt zu erreichen. Fündig wurde er in der keine hundert Meter vom Unfallort entfernt liegenden Praxis Dr. Müller in Sebnitz. Von dort eilte schließlich eine Ärztin zur Unfallstelle, um die eingetroffenen Rettungskräfte zu unterstützen. Dank der sofortigen Reanimation durch den zufällig anwesenden ausgebildeten Retter konnte der Verunglückte zunächst stabilisiert werden. Anschließend wurde er in die Sebnitzer Klinik gebracht. Nach mehreren Tagen im Koma war der 72-Jährige am Heiligabend wieder bei Bewusstsein, schildert seine langjährige Lebensgefährtin Marion Baumann. Bei einer Operation am 4. Januar in Dresden kam es jedoch erneut zu Problemen mit dem Herzen. Der Sebnitzer verstarb während des Eingriffs.