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Wenn der Kopf streikt

Auf der Kantstraße in Freital gibt es Hilfe für psychisch Kranke. Viele haben die Folgen der Wende nicht verkraftet.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Yvonne Popp

Freital. Die Tür im Erdgeschoss ist nicht verschlossen, sondern leicht angelehnt. Aus den Räumen dahinter dringen Gesprächsfetzen, Geschirrgeklapper und Kaffeeduft in den Flur. Jeder, der die Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstelle in Freital betritt, soll sich willkommen und wohl fühlen. Das merkt man sofort. Seit 1996, also seit 20 Jahren, ist das Diakonie-Gebäude an der Kantstraße 7 in Potschappel ein wichtiger Anlaufpunkt für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder seelischen Störungen. Aber auch Freunde und Verwandte dieser Menschen bekommen hier Hilfe und Unterstützung.

„Das zentrale Element unserer Arbeit ist der Kontakt“, sagt Friedrich Brachmann. „Wir führen hier behutsam Menschen zusammen, die allein leben und die aufgrund ihrer Erkrankung Probleme haben, ihren Alltag zu bewältigen.“ Das seien überwiegend psychisch Erkrankte, bei denen die politische Wende 1989 zu einem zusätzlichen Knick in der Biografie geführt hat. „Diese Menschen sind nie richtig in unserer leistungsorientierten Gesellschaft angekommen“, erklärt der diplomierte Sozialarbeiter. Das daraus resultierende mangelnde Selbstwertgefühl und ihre seelische Instabilität führten dann in eine Abwärtsspirale, aus der sie es allein nicht wieder heraus schafften.

In der Freitaler Kontakt- und Beratungsstelle erfahren diese Menschen Verständnis und das Gefühl des Angenommenseins. Denn noch immer sei es so, sagt Brachmann, dass psychische Erkrankungen stigmatisiert und von der Gesellschaft oft als Ausrede für mangelnden Arbeitswillen angesehen werden. Dadurch fühlen sich die Betroffenen oft wert- und nutzlos. Dabei hat jeder Mensch Stärken und besondere Fähigkeiten. Diese sollen, innerhalb zahlreicher kreativer Angebote und kulturellen Exkursionen bei den 26 Menschen, die derzeit regelmäßig zur Beratungsstelle nach Freital kommen, entdeckt und gefördert werden. Daneben unterstützen die Sozialarbeiter ihre Klienten bei der Bewältigung akuter Krisen, bei der Wahrnehmung ihrer sozialen Bedürfnisse und auch bei behördlichen Fragen. Ziel ist es, die Psyche dieser Menschen dauerhaft zu stabilisieren und sie auf einen Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Dass das gelingen kann, zeigt der Fall eines schwer depressiven Mannes. Friedrich Brachmann erzählt, dass dieser ältere Herr vor Jahren in die Beratungsstelle kam, weil er sich wegen seiner Erkrankung nicht mehr hatte selber versorgen können. Zwischenzeitlich musste er deshalb sogar in einem Wohnheim untergebracht werden. Die Beratungsgespräche und der Austausch mit anderen Betroffenen waren für den alleinstehenden Mann eine große Stütze. Schritt für Schritt tastete er sich auch langsam wieder an sein einst so geliebtes Hobby, das Schachspielen, heran. Nach einiger Zeit hatte er seine Fähigkeiten darin wieder so gefestigt, dass er von einem Schachklub aufgenommen wurde. „Am Ende brauchte uns der Mann nicht mehr, weil er, nicht zuletzt auch über den Schachklub, wieder gut im alltäglichen Leben integriert war und sogar eine eigene Wohnung hatte“, erinnert sich Brachmann. Die Geschichte des alten Mannes ist natürlich ein Idealfall. Nicht alle Klienten machen so schnell so gute Fortschritte. Friedrich Brachmann erläutert, dass es vorkommt, dass manchmal nur ein Facharzt helfen kann, wenn ein Mensch in einer akuten, schweren Krise steckt. Er betont, dass er und seine Kollegen die Klienten in erster Linie in sozialer Hinsicht auffangen können.

An diesem Konzept soll sich auch in Zukunft nichts ändern. Leider ist die Freitaler Beratungsstelle aber nicht für alle Menschen aus dem Landkreis gut zu erreichen. „Deshalb wäre es schön, wenn wir demnächst in Dippoldiswalde eine Zweigstelle eröffnen könnten“, sagt Brachmann. Bevor es dazu aber eine Entscheidung gibt, wird am Mittwoch das 20-jährige Bestehen der Psychosozialen Beratungsstelle gefeiert.

Die Jubiläumsfeier findet am Mittwoch, 28. September, ab 15 Uhr im Diakonat Freital, Paul-Büttner-Str. 2, statt. Falko Naumann, Psychiatriekoordinator des Landkreises, spricht zum Thema gemeindepsychiatrische Versorgung und Harald Gehring, Abteilungsleiter der Diakonie-Stadtmission Dresden, über Inhalt und Auswirkung des geplanten Bundesteilhabegesetzes. Alle Interessierten sind dazu herzlich eingeladen.