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Weniger ist besser

In Löbau startet eine Kampagne, die über Alkoholmissbrauch aufklären soll. Abstinente Alkoholiker helfen dabei.

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© Bernd Gärtner

Von Constanze Junghanß

Das Plakat ist druckfrisch. Annette-Luise Birkner vom CJD-Jugendhilfebüro hat es gerade ausgepackt. Am Montag startet in Löbau eine besondere Aktionswoche. Motto der Veranstaltung: „Kein Alkohol unterwegs“. Nun wird beim Christlichen Verein junger Menschen (CVJM) auf der Martin-Luther-Straße sowieso kein Alkohol bei den verschiedenen Angeboten für Jugendliche und Kinder getrunken. Pro Woche kommen 60 bis 80 junge Leute zu Besuch. Im Gebäude haben auch die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe „Abstinent lebende Alkoholiker“ ihren Platz gefunden. Die Gruppe wird nun mit dem CVJM die Aktionswoche begleiten. Dabei geht es vor allem um Präventionsarbeit bei Jugendlichen. Auch Frau Birkner unterstützt das, so schließt sich der Kreis.

Die Aktionswoche ist eine bundesweite Veranstaltung in Kooperation mit Gesundheitsministerien der Länder, Landesstellen für Suchtfragen, Landeszentralen für Gesundheit und regionalen Netzwerken der Suchthilfe und Suchtprävention. In diesem Jahr richtet sich die Präventionsveranstaltung vor allem an die Verkehrsteilnehmer. Hintergrund ist, dass die meisten durch Alkohol verursachten Unfälle überdurchschnittlich schwer sind. Fast 16 700 Menschen wurden dabei 2015 verletzt, 250  Menschen starben. Zehntausende Freiwillige im ganzen Land machen bei der Aufklärungswoche mit, diskutieren mit Teilnehmern und informieren über die Folgen von Alkoholmissbrauch.

So auch Bernd Eichler, der bei den Abstinenten den Hut im wahrsten Sinne des Wortes aufhat. Den Niedercunnersdorfer sieht man kaum ohne seine schwarze Kopfbedeckung. Dass er selbst der Sucht verfallen war, daraus macht der 59-Jährige keinen Hehl. „Trotz Magenkrebs trank ich weiter, dann kam die Scheidung durch meinen Alkoholkonsum“, erzählt er. Essen ging nicht mehr, Bernd Eichler verlor viel Gewicht. „Mit mindestens eineinhalb Beinen stand ich im Grab.“ Dank seines Arztes und weiteren Helfern landete der Suchtkranke im Krankenhaus. Alleine, so ist er sich heute sicher, hätte er es nicht geschafft von der flüssigen Droge loszukommen. Seit 1999 trinkt der Mann mit den langen grauen Haaren keinen Tropfen Alkohol mehr. Zur Aktionswoche erzählt Bernd Eichler über sein Leben, seine Sucht und den Umgang mit der Krankheit. Und ebenso darüber, welche Alternativen es gibt und wie die Selbsthilfegruppe (SHG) Betroffene unterstützen kann. Zur SHG kommen regelmäßig fünf bis sechs Teilnehmer, manchmal auch mehr. Die Gruppe kümmert sich um einen Garten hinter dem Haus. Kräuterbeete wurden angelegt, Gemüse wird gepflanzt, das Gewächshaus bestückt. „Das, was wir anbauen, ernten und verarbeiten wir auch selbst“, erzählt Bernd Eichler. Eine ausfüllende und sinnvolle Beschäftigung sei das, bei der in ungezwungener Atmosphäre Gespräche miteinander möglich sind. Gerade Suchterkrankten falle es oft schwer, wieder Freude an den auf den ersten Blick unscheinbaren Dingen im Leben zu haben. Darum geht es ebenso bei der Selbsthilfegruppe. Vogelzwitschern zu hören, die Blume am Wegesrand wieder wahrzunehmen, zählt Herr Eichler auf. Er weiß, wovon er spricht, hat aus seiner eigenen Geschichte die schmerzlichen Erfahrungen ebenso wie Verständnis für Betroffene. Und nicht selten fange die „Suchtkarriere“ mit Alkohol- und Drogenmissbrauch bereits in der Jugend an. Auch deshalb richtet sich die Aktionswoche an junge Leute. Mit eingebunden werden in die Projekttage alkoholfreie Cocktails und deren Herstellung. Über das „Kreuz der Süchte“ wird in einem Workshop referiert und herausgearbeitet, was der Unterschied zwischen Genuss und Suchtverhalten ist. Mit der sogenannten „Rauschbrille“ erfahren die Teilnehmer, wie desorientiert man sich bei höheren Promillewerten fühlt.

Für die Selbsthilfegeruppe ist die Veranstaltungswoche eine Premiere. Beim CVJM allerdings ist die Thematik nicht unbekannt. Das Haus wurde 1914 als „Evangelisches Heim“ errichtet und war das erste Gebäude auf der Martin-Luther-Straße. Annette-Luise Birkner, die Mitglied im Verein ist und zur Historie des Gebäudes forschte, erzählt: „Das war hier am Anfang eine Übernachtungsstätte für Heimatlose und Wanderer.“ In einem alten Statut aus der damaligen Zeit fand sie den Hinweis, dass das Heim „junge Leute vor der Trunksucht bewahren“ sollte. 1992 wurde es an den CVJM rückübertragen. Frau Birkner kennt die Geschichte genau, erzählt davon, wie die Nazis im Krieg den Verein auflösten und wie es pfiffigen Köpfen damals gelang, das Haus der Kirche zur treuhänderischen Verwaltung zu übergeben. Heute kann der CVJM, der als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt ist, neben Gruppen- und Projektarbeit erlebnispädagogische Freizeitmöglichkeiten, Jugendberatung oder auch Mitarbeiterschulungen anbieten. Es gibt die „Waschküche“, Billiard- und Tischtennisraum sowie eine Bühne für Aufführungen und Vorträge.

CVJM-Jugendhaus, Martin-Luther-Straße 5 in Löbau; Tel.: 03585 403966