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Weltrekord geknackt

Ein 200 Meter langes Seil, 40 Meter Höhe und ein Motorrad. Damit hat es Dean Schmidt in Löbau ins Guinnessbuch geschafft.

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© Matthias Weber

Von Susanne Sodan

Der Weltrekord steht auf der Kippe. Über das Festgelände der Löbauer Messe ist ein Drahtseil gespannt – in einer Höhe von 40 Metern. Über dieses Seil will Dean Schmidt mit seinem Motorrad fahren – auf dem Hinterrad. Als ob das noch nicht genug wäre: Das Seil ist nicht gerade gespannt, sondern steigt steil an. „Der Weltrekordversuch macht mir keine Sorge“, sagt Roland Schmidt, Deans Vater. „Nervös bin ich wegen des Wetters.“ Das Seil ist zu nass. Feuchtigkeit wirkt zwischen Motorradreifen und Metall wie Schmierseife. „Wenn es zu nass ist, treten wir den Weltrekordversuch nicht an. Das ist kreuzgefährlich“, sagt Papa Schmidt.

Mit dem Motorrad in luftigen Höhen – das ist bei Weitem nicht nur Show. Die Tricks von Familie Schmidt gehören zur Hochseilartistik. Das Motorrad selber kann nicht vom Seil fallen, aber es kann kippen. Roland Schmidt hat das vor drei Jahren erlebt. Aus zwölf Metern ist er vom Seil gestürzt – und hatte Glück im Unglück. „Ich bin irgendwie auf den Füßen gelandet. Da sind jetzt eine Menge Platten und Schrauben drin,“ erzählt er.

Kurz vor 17 Uhr: Der Regen hat sich verzogen. Ein Probelauf auf dem Seil steht an. Keine großen Kunststücke, ein bisschen hin- und herfahren, um das Seil zu trocknen, um zu testen, ob die Bremsen greifen. Funktioniert alles? Das Motorrad gibt Antwort: Es qualmt. Die Kühlung hat den Geist aufgegeben. Spätestens jetzt werden Schmidts doch nervös. Der Weltrekordversuch wird daran aber nicht scheitern. Denn dafür ist ohnehin ein anderes Motorrad vorgesehen.

Nur vier Künstlerfamilien deutschlandweit haben sich auf Hochseilartistik mit Motorrad spezialisiert. „Bei uns wird das Können von Generation zu Generation weitergegeben“, erzählt Roland Schmidt. Seine Großeltern hatten nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Motorradartistik angefangen, damals noch mit NSU-Motorrädern, mit DKW, später mit MZ und Java. Zusätzlich zur Ausbildung in der Familie kamen für Roland Schmidt noch drei Jahre an der Artistenschule Berlin dazu. Seit 1996 bildet er selber aus. Zwei Azubis hat Roland aktuell, seinen Sohn und Michael Müller.

Michael Müller steht am Bratwurststand – hinter der Theke. Neben ihrer Artistik betreiben Schmidts auch einige Catering-Stände, die sie zu ihren Shows mitbringen. „Normalerweise ist das hier nicht meine Aufgabe“, sagt Müller. „Aber wenn Not am Mann ist, springen wir alle da ein, wo wir gerade gebraucht werden.“ Währenddessen klettert Dean Schmidt das Metallgerüst zu seinem Motorrad hinauf, sucht den Fehler im System. Schon seit seinem fünften Lebensjahr macht er Akrobatik. Mit 13 kam das Motorrad dazu. Wie auch viele Zirkusfamilien verbringen Schmidts die meiste Zeit des Jahres auf Tour. „Wir hatten auch schon schwere Zeiten“, erzählt Dean Schmidt. Zeiten, in denen man mit den Einnahmen gerade die Spritkosten abdecken konnte. Mittlerweile ist der Bekanntheitsgrad der Familie gestiegen. Zum Teil ist das auch Deans Verdienst. Vor zwei Jahren nahm er an der RTL-Show „Supertalent“ teil. „Das hat schon Bekanntheit gebracht.“ Immerhin kam er bis ins Halbfinale. Andererseits bedeutete die Teilnahme an der Show auch ein großes Risiko. Hätte Juror Dieter Bohlen – am besten noch in der ihm üblichen Art – „Das ist doch Scheiße“ gesagt, „dann hätten wir einpacken können. Wer hätte uns dann noch gebucht“, fragt Dean.

Michael Müller hatte mit Artistik bisher gar nichts am Hut. „Ich bin eigentlich Gerüstbauer“, erzählt er. Motorcross – das war eher eine Freizeitbeschäftigung, kein ernsthafter Beruf für ihn. Durch den Freundeskreis lernte er Dean kennen – beide kommen aus Potsdam. „Er war auf der Suche nach einem neuen Partner“, erzählt Michael. Seinen Gerüstbauer-Job hängte er schließlich an den Nagel, ging in die Artisten-Lehre zu Roland Schmidt. „Ich habe mir gedacht, wenn, dann mache ich das richtig.“

Kurz vor 19 Uhr: Das Motorrad ist nicht mehr zum Laufen zu bringen. Das Showprogramm rund um den Weltrekordversuch muss ausfallen. Also Konzentration auf das Wichtigste: den Weltrekord. Den hält aktuell China mit 164 Metern. 200 will Dean Schmidt schaffen. Mehrere Städte hätten die große Show gerne zu sich geholt, erzählt Roland Schmidt, unter anderem Düsseldorf, Solingen Halle, Berlin. Schmidts haben sich für Löbau entschieden. „Hier haben wir die größte Unterstützung bekommen“, erzählt Roland.

Auf der Bühne wiederholt er das. Mittlerweile trägt er ein weißes Hemd statt des Polo-Shirts. Die Show beginnt. Dank an die Stadt, Lob an Joachim Birnbaum als Chef des Messegeländes, Lob an das Publikum, das trotz des Regens durchgehalten hat. Lob an die Sponsoren. Klappern gehört zum Handwerk. Und dann ist es soweit: Dean Schmidt sitzt in luftiger Höhe auf dem Motorrad, auf dem Trapez darunter steht Michael Müller. Er hilft, das Gewicht vom Motorrad oben auszutarieren, kann ebenfalls bremsen, wenn nötig. Und dann geht alles ganz schnell. Dean zieht das Vorderrad nach oben, gibt Gas. Es dauert nur ein paar Sekunden. Der Motor kreischt, aber das zweite Motorrad hält durch. Kein Wackeln. 200 Meter auf dem Hinterrad, auf einem Seil mit Steigung. Geschafft. Applaus. Der Tag ist für die Drei noch nicht vorbei: Autogrammstunde mit Dean und Michael. Noch ein bisschen Klappern fürs Handwerk. Dann steht Michael wieder hinter dem Bratwurststand.Auf ein Wort