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Weltfirma aus der Provinz

Von seiner Werkstatt in Èeská Kamenice aus versorgt Petr Gebhardt die ganze Welt mit Fahrrad-Kettenblättern.

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© Petr Špánek

Von Steffen Neumann

Wer die Tür in die kleine Werkstatt öffnet, wird von einer Art Ruhmesecke empfangen. Da hängt es, das ganze Programm: Kettenblätter in allen Größen und aller Art, für Rennräder auf Bahn oder Straße, BMX-Räder und normale Tourenräder. Sogar Kettenblätter mit verschieden großen Zähnen finden sich hier, damit die Kette besser hält. „Narrow Wide“ sagte der Fachmann dazu. „Der letzte Schrei“ nennt es Petr Gebhardt, dessen Nachname auf allen Kettenblättern steht und der bei Fahrradkennern auf der ganzen Welt einen besonderen Klang hat. „Unsere Postbeamten stöhnen immer, wenn ich die Pakete aufgebe. Die gehen nach Chile, Spanien, in die Ukraine, täglich 10 bis 20 Stück“, sagt der groß gewachsene, sportliche Mann mit den leuchtend grünen Augen. Auf seinem Gebiet hat er in 25 Jahren eine Weltfirma aufgebaut. Mit sechs Mitarbeitern, davon drei aus der eigenen Familie an der Peripherie des Städtchens Èeská Kamenice (Böhmisch Kamnitz) im Ortsteil Huníkov (Henne).

Sonderanfertigungen sind für Gebhardt kein Problem. Hier wird die Form für eine Kurbel gesägt.
Sonderanfertigungen sind für Gebhardt kein Problem. Hier wird die Form für eine Kurbel gesägt. © Petr Špánek
Hier werden Befestigungslöcher für Kleinserien gebohrt.
Hier werden Befestigungslöcher für Kleinserien gebohrt. © Petr Špánek
© SZ-Grafik

Das Gebäude, in dem sich die Werkstatt befindet, war früher ein Betrieb zur Herstellung von Diarahmen. „Halie 1931“ steht am Giebel. Gemeinsam mit der Villa nebenan erwarb sie Gebhardt vor Jahren auf der Suche nach etwas Größerem. Inzwischen wird auch dieses Gebäude langsam zu klein. Nicht nur außen, auch innen setzt Gebhardt auf Historie und solide Handarbeit. „Diese Säge habe ich vor dem Verschrotten gerettet“, zeigt er auf eine alte Maschine, mit der zum Beispiel die Formen für die Kurbeln gesägt werden.

Gute alte Technik

Außerdem finden sich Bohrmaschinen, Stanzmaschinen, Pressen. Jede hat mindestens 50 Jahre auf dem Buckel. Doch diese scheinbar antiquierte Ausstattung erlaubt es Gebhardt, auf jede Marktänderung zu reagieren. Kleinserien sind für ihn und seine Mitarbeiter kein Problem. Außerdem zeigt er Dutzende Formzeuge, die er selbst gebaut hat und die die Produktion um ein Vielfaches beschleunigen. „Das ist der Vorteil meiner Werkzeugmacherausbildung.“ Die modernste Maschine ist ein zehn Jahre alter CNC-Automat, bei dessen Anlieferung eine ganze Wand weichen musste und die es ihm erlaubt, auch große Serien herzustellen.

Doch sein großer Trumpf ist ein anderer. „Bei uns bekommt jeder Radfahrer das Kettenblatt, das er braucht.“ Auf dieses Versprechen gründet der 51-Jährige sein Geschäft. „Immer, wenn die „Großen“ wie Shimano, SRAM oder Campagnolo neue Kettenblätter entwickeln, haben wir sie kurze Zeit später im Angebot“, erzählt er.

Die großen Hersteller bieten häufig nur ein kleines Spektrum bei der Zahl der Zähne. Bei Gebhardt reicht die Spannbreite von 20 bis 75 Zähnen. Wer also sein Fahrrad genau seinen Bedürfnissen anpassen will, wird bei Gebhardt fündig. Außerdem erfüllt er auch jeden noch so ausgefallenen Extrawunsch. „Für Menschen mit unterschiedlich langen Beinen baue ich unterschiedlich lange Kurbeln.“ Außerdem beliefert er Kunstradfahrer und Radballmannschaften. Kettenblätter sind zwar sein Hauptprodukt, aber Gebhardt baut auch Kettenblattgarnituren, Zahnkranzpakete, Gabeln und Kleinteile wie Muttern und Schrauben. Unglaubliche 5 000 Produkte hat Gebhardt im Angebot. Das Material ist durchgängig Duraluminium, das aus Decin (Tetschen) geliefert wird.

Angefangen hatte alles nach der Wende in einem kleinen Fahrradladen in Benešov nad Plouènicí (Bensen). „Ich hatte Werkzeugmacher gelernt und war begeisterter Radfahrer“, erzählt Gebhardt. Eine glückliche Kombination. Denn als er feststellte, dass sich passende Kettenblätter nur schwer auftreiben lassen, baute er sie einfach selbst. Dann kam das Jahr 1995 und eine folgenschwere Begegnung, die aus einem lokal bekannten Fahrradbastler einen über die Landesgrenzen erfolgreichen Unternehmer machte.

„Auf einer Messe sprach mich der Großhändler Herr Schreck an. Er wollte meine Kettenblätter unter seinem Namen in Deutschland vertreiben.“ Obwohl er damals einen großen Abnehmer dringend nötig gehabt hätte, besaß Gebhardt so viel Stolz, um das Angebot abzulehnen. Wenn, dann nur unter seinem Namen. „Danach war Funkstille.“ Doch Monate später meldete sich Herr Schreck wieder – am Ende übernahm er den exklusiven Vertrieb von Gebhardt-Produkten in Deutschland.

Seitdem ging es rasant aufwärts. Auf Messen fährt der Unternehmer schon seit 15 Jahren nicht mehr. Die meisten Käufer dürften aufgrund des Namens davon ausgehen, dass es sich um ein deutsches Produkt handelt. „Der Name hat mir sicher auch geholfen, obwohl ich leider gar kein Wort Deutsch kann“, gesteht Gebhardt. Bis zu 12 000 Stück verkauft er allein nach Deutschland, weitere 5 000 im Einzelverkauf über seinen E-Shop. Außerdem hat er einen Partner in der Schweiz.

Seine Kettenblätter sind nicht billig, nur weil sie aus Tschechien kommen. Je nach Bedarf muss man umgerechnet zwischen 20 und 80 Euro hinblättern. Sonderanfertigungen kosten natürlich mehr. Dafür gibt es Kunden, die durch die halbe Republik fahren, um sich ihr Kettenblatt persönlich abzuholen. „Als ich bei der Radball-WM in Brno war, hatten alle, abgesehen von den Schweizern und paradoxerweise den Tschechen, unsere Kurbeln. Da bekommt man doch das Gefühl, dass man etwas gut macht.“

Gebhardt kann also zufrieden sein. Doch eine Frage beschäftigt ihn: Wer wird sein Nachfolger? Schon Mitarbeiter zu finden, ist ein großes Problem. „Nur wenige verfügen heute noch über die Fertigkeiten, die ich brauche.“ Seinen Sohn führt er langsam heran. Aber der geht noch in die Schule. Und ob er später nicht lieber doch studiert, statt die Firma des Vaters zu übernehmen, ist noch längst nicht ausgemacht. Der Sohn seiner zweiten Frau arbeitet immerhin bei ihm. „Aber in seinem Alter wollte ich viel mehr erreichen. Die Jugend ist heute so satt“, klagt er, hat die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben. Denn einen Traum hat er noch: „Ich wollte schon immer mal komplette Räder bauen.“