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Welche Gefahren warten unter Tage?

Der Chef des Oberbergamtes, Bernhard Cramer, über Hohlräume und einen nicht zutreffenden Vergleich.

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© Claudia Hübschmann

Herr Cramer, wie wahrscheinlich ist es, dass rund um Freital und Dippoldiswalde irgendwo eine Straße oder sogar ein Haus in einem Loch versinken?

Bernhard Cramer (51), Oberberghauptmann und Leiter des Oberbergamtes in Freiberg. Er stammt gebürtig aus Hamburg.
Bernhard Cramer (51), Oberberghauptmann und Leiter des Oberbergamtes in Freiberg. Er stammt gebürtig aus Hamburg. © Thomas Kruse/OBA

So eine Katastrophe ist sehr unwahrscheinlich. Aber in den Altbergbaugebieten ist natürlich immer wieder mit Hohlräumen zu rechnen. In vielen Gebieten kennen wir die Situation aber und wissen, wo Hohlräume sind. Insofern sind solche großen Schäden relativ unwahrscheinlich und sind auch in der Vergangenheit in dem beschriebenen Ausmaß nicht passiert.

2010 ist in Freital-Pesterwitz eine Kuh in einem Tagebruch verschwunden. Damals hieß es, die Region sei vergleichbar mit einem Schweizer Käse. Ist dieser Vergleich zutreffend?

Sie meinen damit einen vollständig durchlöcherten Körper? Nein, der Vergleich ist so nicht zutreffend, obwohl es natürlich schon ein Hohlraumgebiet ist, das in seinen Besonderheiten durch die Geologie und den Bergbau geprägt ist.

Wo in den Regionen Freital und Dippoldiswalde befinden sich die meisten Hohlräume?

Beide Regionen sind sehr unterschiedlich. In Freital sind durch den Bergbau bedingte Hohlräume über weite Teile des Döhlener Beckens verteilt. Der Bergbau entwickelte sich hier etwa Anfang des 19. Jahrhunderts intensiv und hat seither in der Regel etwa hundert Meter tief unter der Erde stattgefunden. Dort wurden dann relativ große Flächen bearbeitet. In Dippoldiswalde geht die Bergbautradition über 800 Jahre zurück. Die Erze stehen hier nicht flächig wie die Kohle an, sondern streichen in langgestreckten Gängen an der Erdoberfläche aus. Damals hat man sich zunächst, so einfach es ging, mit Schaufeln in die Erde gegraben. Daher finden sich auf den Erzgängen sehr nah an der Oberfläche kleine Stolln, Schächte, Gruben. Dieser Bergbau ist so alt, dass es keine Aufzeichnungen darüber gibt und wir die Anlagen meist nicht kennen. Das betroffene Gebiet, das sich zum Teil unter dem Stadtgebiet Dippoldiswalde befindet, ist aber wesentlich kleiner als in der Freitaler Region.

Wie gefährlich sind die Hohlräume?

Die dem Bergbau in der Region Freital nachfolgende großflächige Setzung der Oberfläche ist seit der Einstellung der Gewinnung über die Jahrzehnte abgeklungen. Die Schäden rund um Freital beziehen sich in der Regel auf nicht standsicher verwahrte alte Schächte und deren Entwässerung. Tagesbrüche, also Schäden durch Einsturz von Grubenbauen bis hin zur Erdoberfläche, gibt es wegen der Tiefe der Hohlräume selten. In Dippoldiswalde hingegen können Hohlräume nah der Oberfläche zusammenbrechen, weil sie unzureichend verfüllt worden sind. Auslöser dafür kann auch Niederschlag sein. Wenn von oben Wasser ins Gebirge eindringt, kann eine Kettenreaktion ausgelöst werden, bei der Gestein in die Hohlräume gewaschen wird und diese so destabilisieren. Eine weitere Gefahr besteht bei Schäden an sogenannten Entwässerungs- oder Wasserlöse-stolln. Sie wurden vor langer Zeit angelegt, um Wasser aus dem Bergbau abzuleiten. Bei Schäden an diesen Stolln kann sich das Wasser insbesondere bei Starkregen oder starken Schneeschmelzen im Stolln und den darüber liegenden Hohlräumen aufstauen und dort zu Schäden führen. Das sind die wesentlichen Mechanismen.

Was tut das Oberbergamt, um solche Gefahren zu erkennen?

Wir erstellen zu solchen Regionen sogenannte bergschadenkundliche Analysen. Das sind sehr genaue und detaillierte Analysen der Altbergbausituation und des Schadenspotenzials. Sowohl für Freital als auch für Dippoldiswalde gibt es solche Untersuchungen. Diese werden fortwährend aktualisiert. Wenn zum Beispiel in Dippoldiswalde ein Schaden auftritt, wird dieser von uns erfasst. Im Zuge der Erkundung derartiger Schadstellen bekommen wir mehr Wissen um die bergbaulichen Verhältnisse und die Gefährdung. Jeder, der ein Bauvorhaben plant, kann sich bei uns auch eine bergbehördliche Mitteilung über mögliche Gefahren und Einschränkungen der Nachfolgenutzung einholen.

Warum verfüllt das Oberbergamt nicht einfach alle bekannten Hohlräume? Dann wäre die Gefahr doch gebannt?

Wir sind eine staatliche Behörde und müssen immer auf der Grundlage eines Gesetzes oder einer Verordnung handeln. Die Grundlage für das Bearbeiten von Altbergbauschäden ist eine Polizeiverordnung, die sogenannte Hohlraumverordnung. Diese besagt, dass das Oberbergamt in Sachsen für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch unterirdische Hohlräume zuständig ist. Wir können also nur handeln, wenn von dem Hohlraum tatsächlich eine derartige Gefahr ausgeht. Dazu kommt, dass die Arbeiten meist sehr kostenintensiv sind. Es wäre also nicht zu rechtfertigen, alle Hohlräume zu verfüllen. Man muss immer im Einzelfall entscheiden, was zu tun ist. Manchmal tut sich ein kleiner Tagebruch mitten im Wald auf – und weil dieser stabil ist und keine Gefahr von ihm ausgeht, muss man diesen nicht einmal absperren.

Wie viele Schäden werden dem Oberbergamt denn pro Jahr gemeldet?

Wir bekommen jedes Jahr etwa 120 bis 150 Meldungen über Schäden aus dem Altbergbau aus ganz Sachsen. Wenn von einem Schaden offensichtlich eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung ausgeht, wird die Schadstelle sofort gesichert und durch sachkundige Firmen untersucht. Je nach Einzelfall werden dann die notwendigen Maßnahmen festgelegt. Das Erste wäre eine Absperrung. Und dann legen wir – meist zusammen mit den Kommunen – fest, ob, wann und wie welche Sicherungs- und Sanierungsarbeiten durchgeführt werden müssen und können. Das kann von einer kleinen Baustelle bis zu einem komplexen Millionenvorhaben gehen.

Wie können die Schäden unter Tage beseitigt werden?

Wir haben zum Glück in der Region eine gute Anzahl von hervorragenden Bergsicherungsbetrieben. Bei der Art der Sanierung spielt immer die geologische und die bergbauliche Situation eine Rolle – und natürlich auch die Finanzen. Zum Teil können die Hohlräume einfach verfüllt werden. Manchmal erschließen die Tagesbrüche aber erst den Zugang zu gefährdeten Stolln. Das heißt, wenn man den Tagesbruch zukippt, sieht das zwar erst einmal gut aus, aber der weitere Verlauf des Stollns wird nicht berücksichtigt. Wir versuchen also, das gesamte System zu erkunden und Gefahren, die tatsächlich bestehen, die sich vielleicht aber noch nicht an der Oberfläche gezeigt haben, zu beseitigen. Das heißt, wir sichern dann die komplexen Hohlraumsysteme, indem wir sie beispielsweise durch Stahl- oder Betonausbau standsicher machen. Schächte können wir verfüllen oder mit einer Art Plombe versiegeln. Das können sehr komplexe Bauvorhaben sein, was wiederum die manchmal zunächst erstaunlich hohen Baukosten erklärt.

Wie viel Geld hat das Oberbergamt zur Verfügung?

Da wir die Aufgabe über die Hohlraumverordnung zugewiesen bekommen haben, stellt der Freistaat das notwendige Geld zur notwendigen Gefahrenabwehr zur Verfügung. In den vergangenen Jahren waren das im Mittel jeweils rund 12,5 Millionen Euro pro Jahr. Dazu kommen aber auch noch andere Tätigkeiten, für die wir zusätzlich Geld erhalten. Mit präventiven Maßnahmen versuchen wir zum Beispiel, Gefahren vorzubeugen. Aktuell machen wir das mit erheblichen Mitteln der Europäischen Union. Dafür stehen uns bis 2023 rund 50 Millionen Euro zur Verfügung. Mit dem Geld sichern wir zum Beispiel marode Entwässerungsstolln, bevor ein Schaden eintritt – und betreiben präventive Sanierungsarbeiten in den Steinkohlerevieren. Insgesamt ist der Freistaat, was das Thema Gefahrenabwehr aus dem Altbergbau angeht, sehr gut aufgestellt – mit uns als Behörde, mit den finanziellen Mitteln, mit den Fachfirmen.

Das Interview führte Tobias Winzer.