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Weite Wege zum Job

Jeden Tag unter der Woche fährt Stefan Meißner zur Arbeit fast durch den ganzen Landkreis. Das nehmen viele auf sich.

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© Matthias Weber

Von Susanne Sodan

Landkreis. Zwischen Löbau und Bad Muskau liegen rund 60 Kilometer. Wenn man die kürzeste Route nimmt. Stefan Meißner fährt diese Strecke jeden Tag. Zweimal, also hin und zurück. Für ihn der ganz normale Arbeitsweg. Meißner arbeitet als Pressesprecher bei dem Löbauer Unternehmen ULT. Warum er nicht einfach nach Löbau zieht, statt täglich etwa zwei Stunden im Auto zu sitzen? „Einen von uns beiden hätte es auf jeden Fall getroffen“, sagt Stefan Meißner. In Bad Muskau lebt er mit seiner Freundin, die dort ihren Job hat. „Würden wir nach Löbau ziehen, müsste sie die Strecke täglich fahren.“ Also heißt es für Meißner: Sehr zeitig aufstehen, Kind zur Schule bringen und ab auf die B 115 gen Süden. Der ULT-Sprecher sieht aber auch Vorteile beim Pendeln: Morgens eine Stunde Zeit, sich auf die Aufgaben des Tages vorzubereiten, abends eine Stunde Zeit, um abzuschalten – und die Lautsprecher aufzudrehen. Im Auto kann Meißner gut seiner Leidenschaft nachgehen, Musik. „Andererseits braucht es natürlich Planung.“ So wie ihm geht es im Landkreis vielen, Zehntausende Menschen pendeln für den Job. Wie viele, darüber gibt der neue Pendleratlas der Bundesagentur für Arbeit Auskunft. Die genauen Zahlen für die einzelnen Städte im Kreis kommen vom Statistischen Landesamt.

Wer gilt überhaupt als Pendler?

Wie weit ist weit? Dazu hat sicher jeder seine eigene Meinung. Eine Kilometerangabe dafür gibt es nicht. In der Statistik gilt man im Grunde schon dann als Pendler, wenn man für die Arbeit den Wohnort verlässt. Die Statistik unterscheidet zwischen denen, die innerhalb der Kreise pendeln und denen, die Kreisgrenzen für ihren Job überschreiten. Die Einpendler sind dabei also die Beschäftigten, die in einem anderen Kreis wohnen und für den Job an die Neiße kommen. Als Auspendler zählt, wer zwar im Kreis wohnt, ihn zum Arbeiten aber verlässt. Beispiel Löbau: Hier arbeiten rund 7 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Rund 2 000 sind Nichtpendler, über 5 000 sind Einpendler. Von denen wiederum kommen die meisten aus einem anderen Ort innerhalb des Kreises, über 3 700. Über 1 300 sind Einpendler aus einem anderen Landkreis.

Wie viele Menschen kommen für die Arbeit in den Landkreis?

Insgesamt haben rund 83 900 Menschen im Landkreis ihren Arbeitsort. Gezählt wurden hier allerdings nur sozialversicherungspflichtige Jobs, Beamte, Selbstständige oder Minijobber fallen aus dieser Berechnung also heraus. Von den 83 900 sind rund 11 200 Einpendler aus anderen Kreisen. Dem gegenüberstehen aber rund 18 800 Auspendler. Es pendeln also deutlich mehr Menschen aus dem Landkreis hinaus als hinein. Allgemein ist Görlitz ein eher pendelschwacher Kreis. Zum sachsenweiten Vergleich: Die kreisfreien Städte mal ausgenommen dürfte auf den Straßen im Landkreis Leipzig am meisten los sein – mit über 78 700 Pendlern vergangenes Jahr. (26 100 Ein-, 52 600 Auspendler). Am ausgeglichensten ist das Verhältnis im Kreis Zwickau: 31 400 Ein- und 34 300 Auspendler. Nordsachsen hat, prozentual gerechnet, die meisten Einpendler: 39 Prozent. Im Landkreis Görlitz sind dagegen sowohl die absoluten als auch die prozentualen Zahlen verhältnismäßig niedrig: 13 Prozent Einpendler, 20 Prozent Auspendler. „Wir liegen an einem Randgebiet“, hatte Matthias Schwarzbach von der IHK Zittau im März gegenüber der SZ gesagt. „Wohin könnte man überhaupt pendeln?“ Und woher können Pendler kommen? Laut dem Pendleratlas kommen die meisten Einpendler in den Kreis Görlitz aus Bautzen, aus der Spree-Neiße-Region mit Berlin sowie Dresden.

Wie sieht die Entwicklung im Vergleich zu vergangenen Jahren aus?

Die Zahlen sahen im Kreis Görlitz vor ein paar Jahren noch ganz anders aus. 2010 zum Beispiel: Rund 8 000 Einpendlern standen etwa 19 000 Auspendler gegenüber. Zusammengefasst ist die Zahl der Jobs im Kreis Görlitz in den vergangenen Jahren insgesamt leicht gestiegen, auch die Zahl der Einpendler ist gewachsen, die der Auspendler leicht gesunken. Außer zwischen 2015 und 2016. Da ist die absolute Auspendlerzahl plötzlich wieder leicht angestiegen. Interessant wird – mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen bei Siemens und Bombardier – wie sich dieser Trend in Zukunft entwickelt.

Wie viele Menschen kommen aus anderen Ländern?

Apropos Randgebiet: Die Statistik gibt auch an, wie viele Menschen aus den Nachbarländern zum Arbeiten in den Kreis kommen. Spitzenreiter ist die Stadt Görlitz: Dort haben 808 Polen und 15 Tschechen einen sozialversicherungspflichtigen Job gefunden. Gefolgt wird Görlitz von Schleife, dann kommt Weißwasser. Zittau folgt auf Platz vier mit 109 tschechischen und 93 polnischen Beschäftigten mit sozialversicherungspflichtigem Job. Zwar liegt Zittau wie Görlitz auch direkt an der Grenze, dennoch sind die Zittauer Zahlen deutlich niedriger – auch im Verhältnis zur Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in den beiden Städten. Zittau hat rund 11 350, Görlitz 21 920. „Ich glaube nicht, dass wir ein weniger interessanter Standort sind“, sagt Zittaus Stadtsprecher Kai Grebasch. Er nimmt eher an, die geringere Zahl der Beschäftigten aus den Nachbarländern hängt mit den unterschiedlichen Unternehmensstrukturen zusammen. Zittau hat nicht so große Industrie-Arbeitgeber wie Görlitz mit Siemens und Bombardier oder der Kreis-Norden mit dem Tagebau.

Welche Unschärfen hat die Statistik?

Bei Bernstadt zum Beispiel macht die Zahl der Einpendler aus den Nachbarländern stutzig: 14 sollen es sein. Dabei hat Bernstadt mit dem Birkenstock-Standort einen großen Arbeitgeber. Rund 600 Menschen arbeiten dort, darunter auch viele Polen. Warum in der Statistik trotzdem nur eine 14 steht, erklärt eine Mitarbeiterin des Statistischen Landesamtes. Hier kommt das Thema Leiharbeit ins Spiel. Leiharbeiter, ob nun bei Birkenstock oder auch in anderen Firmen, sind über ihre Leiharbeitsfirma registriert. Und die muss nicht in dem Landkreis ihren Sitz haben, in dem die Leiharbeiter tätig sind. (mit SZ/ik)