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„Weil es einfach schön hier ist“

Von wegen, die Dörfer sterben aus. Ihr Charakter hat sich grundlegend geändert – das Beispiel Böhla bei Ortrand.

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Die Sonne scheint, und der Großvater schiebt hinten im schattigen Garten die beiden Enkel beim Schaukeln ab. Der Sohn kommt ans Gartentor. Die Frage lautet, ob er bestätigen kann, was seine Nachbarin gerade über Böhla gesagt hat: „Es ist ein guter Ort, die Leute vertragen sich, ich fühle mich wohl in Böhla.“ Dass es so ist, bestätigt Ronny Richter an einem Beispiel: „Wenn ich am Sonntagnachmittag mal einen Schnitt mit der Motorsäge machen muss, regt sich hier keiner auf.“ Und: „Nachbarschaftskriege – so etwas gibt es hier nicht.“

Ursula und Dieter Blümel fühlen sich wohl in Böhla, andere auch. Mit einem Durchschnittsalter von ca. 40 Jahren zählt das Dorf zu den jüngeren der Region. Foto: Udo Lemke
Ursula und Dieter Blümel fühlen sich wohl in Böhla, andere auch. Mit einem Durchschnittsalter von ca. 40 Jahren zählt das Dorf zu den jüngeren der Region. Foto: Udo Lemke

Entwöhnung vom Ländlichen

Eigentlich sollte man meinen, dass sich in Böhla b. O. – also bei Ortrand – Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Dass es deshalb kein Ort ist, der Menschen anzieht. Doch weit gefehlt. Ronny Richter zählt gleich eine ganze Palette guter Gründe auf, die Böhla lebenswert machen: „Es ist ruhig hier, wir haben keinen Güterverkehr, Lkw sind nur bis 3,5 Tonnen zugelassen, hier fährt höchstens mal ein Traktor lang. Natürlich haben wir hier günstige Bodenpreise. Und Böhla ist nicht schlecht gelegen. Es sind drei Kilometer bis zur Autobahnabfahrt Schönborn und vier oder fünf bis zur Autobahnabfahrt Ortrand, außerdem gibt es in Ortrand einen Bahnhof.“

An Böhla zeigt sich die Tatsache, dass Orte im ländlichen Raum, die an großen Verkehrstrassen von Autobahn über Bundesstraße bis hin zur Eisenbahn liegen, Menschen anziehen. Besonders dann, wenn die Orte im Speckgürtel einer Großstadt liegen. Das alles trifft auf Böhla b. O. zu. Ronny Richters Partnerin ist nicht die einzige im Dorf, die in Dresden arbeitet. Über die Autobahn sind das zwischen 30 und 40 Kilometer Arbeitsweg. Ronny Richter selbst arbeitet in Großenhain. Und damit ist bei allen Vorteilen ein Nachteil von Orten wie Böhla b. O: benannt: Nur in den seltensten Fällen finden sich (genügend) Arbeitsplätze direkt vor Ort. Weite Arbeitswege sind die Folge. Dass die Abgelegenheit auch damit einhergeht, dass der nächste Facharzt nicht um die Ecke wohnt, genauso wenig wie der nächste Apotheker, versteht sich. „Und es ist schon passiert, dass wir im Winter eingeschneit sind.“

Wie grundlegend der Wandel in den einstigen Dörfern ist, zeigt sich auch an Böhla b. O. Mittlerweile gibt es keinen einzigen Einzellandwirt im Vollerwerb mehr im Dorf. Zu Deutsch: Die Bauern sind verschwunden. In DDR-Zeiten mussten die selbstständigen Landwirte ihre Äcker, Wiesen und Tiere in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) einbringen. Nach der Wende erhielten sie zwar ihr Land zurück, aber kaum einer wollte es selbst wieder bearbeiten – wurde ein sogenannte Wiedereinrichter. So auch in Böhla b. O. nicht. Das Land wird heute von Agrargenossenschaften, die aus den LPGs hervorgingen bearbeitet, oder von anderen Firmen. In Böhla ist es die Gebrüder Hofreiter GmbH.

Die Böhlaer selbst betreiben Landwirtschaft höchstens noch im Nebenerwerb, halten ein paar Enten, Hühner, Kaninchen oder Schafe. Eckhard Zeidler ist der größte der Nebenerwerbslandwirte. „Ich bewirtschafte 15 Hektar Acker und Wiesen und habe ein paar Schweine und Rinder.“ Für ihn, der bei Netto in der Lagerwirtschaft sein Geld verdient, sind die Maschinen „so unheimlich teuer“, dass es nicht zu mehr in der Landwirtschaft reicht.

Wie sieht er das Verhältnis der Böhlaer untereinander? „Die aus der Stadt hergezogen sind, wollen ja die Landwirtschaft gar nicht mehr, die regen sich auf, wenn mal ein Kuhfladen auf der Straße liegt und nicht sofort weggeräumt wird.“ Ansonsten sei das Verhältnis gut. Was Eckhard Zeidler beschreibt, könnte man als Entwöhnung vom Ländlichen beschreiben. Auch das ist ein Trend im ländlichen Raum: Dadurch, dass in den meisten Dörfern nur noch sehr wenige Einwohner in der Landwirtschaft arbeiten, sind die anderen mit deren Erfordernissen, Notwendigkeiten und Nöten nicht mehr vertraut. Die Folge ist häufig mangelndes Verständnis dafür.

Einwohnerzahl gestiegen

Es ist fast Mittag und Dieter Blümel sitzt mit seiner Frau Ursula am Rosenstock auf einer Bank. Es ist schwül-warm und sie ruhen sich etwas aus. Dieter ist gerade vom Heumachen gekommen, er ist 80. Die Rede kommt auf die Gewerke im Ort. Es gibt es einen Bäcker, eine Schmiede, einen Reiterhof, und die Teichwirtschaft betreiben die beiden Söhne der Blümels. „Sie bewirtschaften etwa 20 Hektar Teichfläche im Nebenerwerb“, so Dieter Blümel.

Zum Einkaufen müsse man nach Ortrand oder nach Thiendorf, sagt Roland Kotsch, der in Böhla b. O. eine Computerfirma betreibt. Außerdem ist er Ortsvorsteher und damit Ansprechpartner für die Böhlaer. „Niemand gefällt es, dass es in Großenhain kein Krankenhaus mehr gibt. Einige aus dem Dorf fahren jetzt nach Dresden-Friedrichstadt, weil sie wissen, dass es dort eine Notaufnahme gibt. Aber das ist keine richtige Lösung.“ Die Abgeschiedenheit des Ortes ist auch in Sachen Internet nachteilig. „Wir haben hier Schnecken-Internet, in Ortrand haben die Leute Leitungen mit 16 000 kbit/s, hier teils nur 2 000.“

Auf der Habenseite von Böhla b. O. sieht Roland Kotsch einen gut funktionierenden Jugend- und einen Dorfclub, die auch gut zusammen arbeiteten. Die bei der Volkszählung 2011 ermittelten 306 Einwohner dürften nicht mehr reichen, „es müssten jetzt so um die 320, 330 sein“. Das spricht wiederum für die Anziehungskraft des Ortes. Den Hauptgrund kennt Ursula Blümel: „Weil es einfach schön hier ist.“