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Weg aus der Nische führt in die Stadt

Dresden ist Hochburg des Orientierungslaufs – wird aber kaum wahrgenommen. Das sollen neue Projekte ändern.

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© Ronald Bonß

Von Alexander Buchmann

Einfach die Laufschuhe an und los. Beim Joggen funktioniert das, beim Orientierungslauf nicht. Der Sport zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Läufer in der Natur zurechtfinden und die für sie beste Strecke zwischen mehreren Wegmarken finden müssen. Diese gleichzeitige Beanspruchung von Körper und Geist macht für Patricia Nieke den Reiz aus. Die Sportlerin des USV TU Dresden ist Bundeskader und geht bei den deutschen Meisterschaften Mittelstrecke am 6. Mai in Dippoldiswalde als eine der Favoritinnen an den Start. Für dieses Jahr hat sich die 22-jährige Studentin aber noch ein anderes Ziel gesetzt.

Insgesamt 670 Sportler haben sich bisher für die deutschen Meisterschaften und etwa 600 für den am gleichen Wochenende stattfindenden Robotron-Orientierungslauf Langstrecke der sogenannten Bezirksrangliste angemeldet, erklärt Hendryk Wetzel vom Ausrichter SV Robotron Dresden. Die Teilnehmerzahl klingt im ersten Moment zwar viel, beim Dresden-Marathon sind im vorigen Jahr jedoch insgesamt knapp 7 600 Läufer gestartet. Für ganz Deutschland wird die Zahl der aktiven Orientierungsläufer auf deutlich unter 10 000 geschätzt. Sachsen ist aber eines der Zentren der Sportart. „Unsere Abteilung hat 260 Mitglieder“, sagt Corinna Nieke vom USV TU Dresden. Damit ist der USV der mit Abstand größte Orientierungslauf-Verein Deutschlands. Die Mitgliederzahl sei über die Jahre in etwa konstant geblieben.

Ecken, die man sonst nie findet

Hendryk Wetzel sieht vor allem bei den Starterzahlen in den Kinder- und Jugendklassen einen Aufwärtstrend. Weil der Orientierungslauf eine Familiensportart für alle Generationen von sieben bis 99 Jahren sei, starten Eltern, Großeltern mit Enkeln und Kindern oft gemeinsam, erzählt er.

Das „Problem“ der Sportart sei, dass es nicht nur um das Laufen an sich gehe, das im Wald erheblich anstrengender sei als Joggen durch die Stadt, sondern auch der Kopf aktiv mitarbeiten müsse. „Außerdem fällt der wahrscheinlich für doch etliche Leute mitentscheidende Faktor des Gesehenwerdens weg“, so Wetzel. Es muss also andere Reize geben. „Man sieht Ecken, wo man sonst nicht hinkommt und lernt die Landschaft anders kennen“, beschreibt Patricia Nieke. Und Wald sei nicht gleich Wald. Neben dem Finden der optimalen Strecke, was die geübten Sportler während des Laufens machen, ist es wichtig, sich die Kräfte einzuteilen. Man müsse darauf achten, dass man den Körper nicht so weit belastet, dass sich der Kopf ausschaltet, erklärt ihre Schwester Corinna Nieke.

Die verschiedenen Strecken sorgen außerdem für Abwechslung. Dabei ist die Mitgliedschaft in einem Verein von Vorteil. Denn so bekomme man beim Training eine Karte in die Hand und könne starten, sagt Patricia Nieke. Das Areal ist zuvor von einem Vereinsmitglied festgelegt worden, das auch die Wegmarken angebracht hat. Der Sport lebe davon, dass man die zu laufende Strecke vorher nicht kenne, meint Corinna. Um an der deutschen Meisterschaft teilzunehmen, müsse man zudem Mitglied eines Vereins sein. In und um Dresden gibt es mit dem USV TU, dem SV Robotron Dresden sowie Post SV Dresden und Planeta Radebeul vier Vereine mit Orientierungslauf-Abteilungen. Deren Mitglieder trainieren gemeinsam.

Die Strecken führen dabei nicht nur durch den Wald. Der Sport sei überall durchführbar, ob in der Stadt im Wald, in Parks, im Flachland oder Gebirge und das zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit, erklärt Wetzel. So sei das Finden des besten Weges in einer Stadt auch eine Herausforderung, meint Patricia Nieke. Ab 2019 werde die Weltmeisterschaft gesplittet, sodass in einem Jahr im Wald und im darauffolgenden in der Stadt gelaufen wird, erklärt die Sportlerin. Ihr Ziel ist es, an der diesjährigen WM teilzunehmen, die vom 30. Juni bis 8. Juli in Estland stattfindet.

In der Woche nach der deutschen Meisterschaft Mittelstrecke finden dafür die Qualifikationsläufe statt. Je nach Distanz gibt es dafür unterschiedlich viele Startplätze für deutsche Athleten. Beim Sprint sind es für die Frauen und Männer jeweils drei, bei der Mittel- und Landstrecke gibt es für die Frauen zwei Plätze und die Männer nur einen.

Keine Deutschen bei World Games

Zur Vorbereitung ist Patricia Nieke in der Woche nach Ostern zum Training nach Estland gereist. Die Landschaft dort sei anders, „was eine besondere Herausforderung darstellt“, erklärt sie. Die Kosten für derartige Reisen tragen die Athleten größtenteils selbst, auch wenn es Unterstützung seitens des Deutschen Turnerbundes, des Landesverbands und auch des Vereins gebe.

Von ihrem Sport leben können auch die besten Deutschen nicht. Das sei nur bei Athleten der Topnationen aus Skandinavien oder der Schweiz möglich. Zudem spielen die deutschen Läufer international kaum eine Rolle. Bei den diesjährigen World Games in Polen, wo der Orientierungslauf als olympisch anerkannte Sportart ausgetragen wird, nehmen keine deutschen Läufer teil. Um den Sport populärer zu machen, arbeitet der USV daran, in Dresdens Innenstadt ein Netz sogenannter Festposten zu schaffen, kündigt Corinna Nieke an. Das könne dann von Touristen genutzt werden. Für die Sportler selbst seien derartige feste Orientierungspunkte eher ungeeignet. Deshalb sei man auch dabei, die vorhandenen Punkte in Abstimmung mit dem Forst nach und nach abzubauen.

Mit der Forstbehörde und anderen Waldeigentümern stimmt der Verein die Routen ab und holt Genehmigungen ein. Bei Wettkämpfen gebe es zudem beruhigte Zonen, durch die keiner laufe, so Corinna Nieke. Dadurch seien Waldläufe kein Problem für die Natur. Eine 2015 durchgeführte Studie zu den Auswirkungen des Sports auf den Wald habe ergeben, dass nach 60 Tagen nichts mehr von dem Wettkampf zu sehen sei. Außerdem würden nicht alle Teilnehmer den gleichen Weg zwischen den Posten wählen, ergänzt Patricia. Die Sportvereine würden sich zudem an verschiedenen Maßnahmen wie Müllberäumungen und Pflanzaktionen beteiligen.