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Wedeln im Wüstensand

Ein Thüringer ist Skilehrer in Namibia und verspricht ein Vergnügen ohne Schnee, ohne Frieren, aber auch ohne Lift.

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Von Michaela Widder

Seine Ski-Alm heißt Namib. Und er trägt Shorts. Mit dem Geländewagen fährt Skilehrer Henrik May zum Hausberg, Düne 7. In Namibia gibt es keinen Lift, der die Gäste nach oben schleppt, einer wie May würde das aus ökologischen Gründen auch nicht wollen. Auf einer umgebauten DDR-Tragekraxe werden also die Skier quer festgezurrt, es geht zu Fuß hinauf zu den Sandhügeln mit über 30 Grad Steigung – am besten in kleinen Diagonalschritten. Bis zu 80 Meter sind die Dünen hoch, das klingt doch machbar. Für viele Hobby-Skifahrer ist der Aufstieg bei 40 Grad Celsius unter sengender Sonne ein Kraftakt.

Henrik May lebt in Swakopmund, wo er seit Jahren eine außergewöhnliche Skischule betreibt.
Henrik May lebt in Swakopmund, wo er seit Jahren eine außergewöhnliche Skischule betreibt. © Christian Stiebahl

Als Henrik May vor 17 Jahren den Schnee gegen den Sand tauschte, ahnte der Thüringer nicht, dass er später die erste Skischule Namibias eröffnen wird. Was auch für eine verrückte Idee, die Wüste als Piste zu entdecken. Eigentlich hatte May nicht vor, sich jemals wieder Skier unterzuschnallen. Der gebürtige Zella-Mehliser war Kombinierer, durchlief die DDR-Kaderschmiede und trainierte zusammen mit dem späteren Weltmeister Ronny Ackermann. Doch die großen Erfolge blieben aus, und die Wende bedeutete das Ende seiner Sportlerkarriere.

Die Familie wandert 1998 aus

May wurde Polizist, es war jedoch nicht das Leben, das er führen wollte. „Wenn ich jetzt schon frei bin, muss ich mich richtig frei machen“, dachte er sich damals und wanderte 1998 nach Swakopmund am Rande der namibischen Wüste aus. Zusammen mit seinen Eltern, die ihm in die „deutscheste Stadt südlich des Äquators” folgten, kaufte May drei Hektar Land und baute eine Gästefarm auf. Anfangs gab es nicht mal Strom dort, nach einiger Zeit betrieb er eine Lodge sogar mit einer Bar, die ihn an seine alte Dorfdisko erinnerte. 2009 gab er die Gästefarm auf. „Wir haben es zu zweit nicht mehr geschafft.“ Denn als sich die Familie gerade heimisch gefühlt hatte, war Vater Dieter 2001 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.

Nun ist der Sand seit Jahren Mays Kapital. Alles begann im Sommer 2002. Ein Freund aus Deutschland hatte ihn besucht und im Gepäck ein paar alte Skier. Als er kurze Zeit später auf den Brettern die ersten Spuren im Sand zog, war es um ihn geschehen. „Skifahren im Sand ist ähnlich wie Tiefschneefahren – nur sinkt man nicht ganz so tief ein”, sagt er. Ein Ehepaar aus Holland brachte May dann auf die Idee, aus dem Hobby auch eine Geschäftsidee zu machen. Er nahm sie mit zu seinen Lieblingsdünen, bekam später dafür 30 Euro zugesteckt und den Tipp: „Nimm das Geld, und jetzt überleg Dir, wie du ein paar Skier nach Namibia bekommst.“

Mittlerweile ist er im sogenannten Dune-Skiing ein Profi. Techniker, Trainer, Geschäftsmann gleichermaßen. Anfangs steckte May mit seiner Leidenschaft für das Fahren auf glühend heißem Sand Freunde und Bekannte an, heute ist er sehr wahrscheinlich weltweit der einzige professionelle Wüstenskifahrer und betreibt Namibias erste Skischule. Seinen Gästen, von denen viele aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus Amerika und Kanada kommen, verspricht er ein besonderes Erlebnis inklusive Apres Ski. Mitten in der Wüste packt May einen Likör aus.

Doch erst steht der mühsame Aufstieg bevor. „Der Aufwand für Liftanlagen wäre viel zu groß. Und für die Umwelt fände ich das auch nicht gut“, erklärt May. Er achte auch darauf, bei jedem Ausflug eine andere Düne zu befahren, damit sich die Wüste erholen kann.

30 Sekunden dauert das sandige Vergnügen. In 25 Schwüngen sind der Abenteurer und seine Gäste wieder unten. Anfänger nimmt er auf seine Tour nicht mehr mit, und Hobby-Fahrern rät er, weniger die Kanten als beim üblichen Skifahren einzusetzen, „sonst sind Stürze unausweichlich”. Ein Aufprall bei hoher Geschwindigkeit, das weiß er aus eigener Erfahrung, fühlt sich an wie ein Sturz auf Beton.

May hat die Erfahrung gemacht, dass leichte Menschen im Wüstensand deutlich schneller fahren können als schwere. „Weil leicht besser rutscht und nicht so viel Reibung erzeugt.“ Das große Geheimnis einer schnellen Abfahrt sind allerdings nicht das Gewicht oder die Technik, sondern das Material. Seitdem er das Sandskifahren entdeckt hat, tüftelt Henrik May am perfekten Ski. Die meisten Bretter sind Auslaufmodelle. „Es kommt in erster Linie auf das richtige Wachs an”, erklärt er. Da es so viele Sand- wie Schneesorten gibt und er auf diesem Gebiet wohl der einzige Experte ist, muss May viel ausprobieren. Eine Zeit lang bekam er dafür von Oma Edith aus dem Thüringer Wald Pakete mit verschiedenen Wachs- statt Wurstsorten geschickt.

Mittlerweile stellt er in Namibia sein Skiwachs selbst her. Das Rezept bleibt sein Geheimnis. Mit dem richtigen Wachs hat er schließlich 2011 einen Rekord aufgestellt. Mit 92,2 Kilometern pro Stunde war Henrik May die Namib-Düne heruntergebrettert – so schnell wie keiner zuvor auf Sand. Der Eintrag ins Guinnessbuch kurbelte das Geschäft noch mal richtig an.

May hat auch Kontakt in einige Wüstenstaaten, wo sich die Scheichs für Sandskifahren interessieren. Er sieht sich als Pionier, hofft aber, dass durch den Klimawandel irgendwann Massentourismus entstehen könnte. Zurzeit arbeitet der Sandexperte an einem Forschungsprojekt mit einer Thüringer Firma, die Kunststoffschlitten herstellt. Den Prototyp hat er die vergangenen drei Jahre mitentwickelt. „Dieser Rodel hat besonders abriebsarme Kufen, weil Sand härter ist als Schnee“, erklärt er.

Doch nicht nur Geschwindigkeiten geben May den besonderen Kick, er bietet auch Langlauftouren an. Auf den schmalen Brettern ist das selbst für Anfänger ein Vergnügen, weil man kaum einsinkt und zurückrutscht. Eine Idee ist auch, ein internationales Langlaufrennen in der Namib zu organisieren. Henrik ist einer mit Visionen, der täglich seinen Traum lebt. Von der Freiheit am breitesten Sandstrand der Welt.