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Waschbär auf Kaninchenjagd

Ein Fall aus Merzdorf zeigt: Auch vor Haustieren machen die Räuber aus dem Wald nicht Halt.

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© Sebastian Schultz

Von Stefan Lehmann

Riesa. Es sind die Schreie seiner Kaninchen, die Matthias Gottschalk vergangene Woche um den Schlaf bringen. „Ich war bestimmt sechsmal draußen und habe geschaut, was los ist“, sagt der Merzdorfer. Erst am nächsten Morgen sieht er, wer seinen Tieren so viel Angst gemacht hat. Die verwaschenen Tapsen sind eindeutig: Ein Waschbär hat sich am Gatter zum Kaninchenstall zu schaffen gemacht.

Noch deutlicher sind die Spuren an einer Styroporplatte, die er auf den Kleintierkäfig gelegt hat, in dem zwei Zwergkaninchen leben: An zwei Seiten klaffen Löcher, die das Tier mit den Krallen hineingekratzt hat. Dass Waschbären in der Nähe aktiv sind, habe er gewusst, sagt Gottschalk. Schließlich sei der Park nicht weit. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass der Waschbär auch an den Kaninchenstall geht.“ Zumal der Nachbar einen Hund habe. „Der schlägt normalerweise schon an, wenn der Igel am Zaun langspaziert.“

Hunderte Tiere im Stadtgebiet

Die Geschichte hätte aus Sicht des Kaninchenhalters schlimmer ausgehen können, sagt Gerhard Herrmann. Der Tierpark-Chef ist als Jäger für das Jagdgebiet Riesa-West und damit auch für Merzdorf zuständig. „Ich vermute, dass sich der Waschbär auf dem Grundstück erst mal nur umgeschaut hat.“ Hätte es das Tier darauf angelegt, hätte es mit den Vorderpfoten das dünne Gitter des Stalls öffnen können – und sich dann eins der Jungtiere gegriffen. Der Waschbär sei in der Hinsicht geschickter als beispielsweise der Fuchs.

Die Waschbärpopulation in der Stadt sei in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, erklärt Gerhard Herrmann. „Der Waschbär war schon immer da, auch zu DDR-Zeiten.“ Aber mittlerweile sei seine Anwesenheit nicht mehr zu übersehen. Genaue Zahlen gebe es nicht, aber bei einer Fläche von rund 50 Quadratkilometern könnten schon 500 bis 1 000 Tiere zusammenkommen. Das Nahrungsangebot sei gut, und auf den alten Bäumen nahe der Flüsse sowie in Gebäuderuinen fänden die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Tiere tagsüber perfekten Unterschlupf.

Auch Torsten Peters von der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises spricht von einer flächendeckenden Ausbreitung der Tiere über ganz Mitteleuropa. Für heimische Arten sei das ein Problem: „Der Waschbär besitzt Fähigkeiten wie keine andere mitteleuropäische Art: er springt, klettert und schwimmt.“ Damit komme der Allesfresser auch an Nahrungsquellen, die andere Raubtiere nicht erreichen. „Leider sind damit auch Auswirkungen verbunden, die vom Menschen als schädlich und vom Biologen als nicht gewollt angesehen werden.“ Dazu gehöre vor allem das Plündern von Vogelnestern, aber auch das Abfangen von Kröten an Straßendurchlässen und das Fressen lesereifer Trauben auf den Weinbergen.

Waschbärjunge im Nerzgehege

Auch im Tierpark Riesa hatte es sich eine Waschbärmutter schon bequem gemacht – und ihre vier Jungen im Nerzgehege großziehen wollen. „Sie wusste eben, dass es dort genug Futter gibt“, vermutet Gerhard Herrmann. Das Tierparkpersonal habe die Jungtiere dann mit der Flasche großgezogen und an andere Tierparks abgegeben.

Herrmann geht davon aus, dass der Waschbär Matthias Gottschalks Garten in Merzdorf wieder besuchen wird. Bejagen kann er ihn derzeit trotzdem nicht. Zwar gebe es keine Schonzeiten für die Raubtiere. „Sie haben aktuell allerdings Jungtiere“, erklärt Herrmann. Ein Muttertier zu töten, wäre ein Verstoß gegen Tierschutzgesetze – schließlich würden die Jungen dann qualvoll verhungern. Wer dem zuwiderhandelt, dem droht im schlimmsten Fall eine Haftstrafe von fünf Jahren. „Das verkennen immer viele“, sagt Herrmann. Sich mit dem Gewehr auf die Lauer zu legen, das gehe ohnehin nicht ohne Weiteres, weil es sich um bewohntes Gebiet handelt. Meist würden Fallen gestellt. Die dürfen die betroffenen Bürger auch selbst stellen, sagt Thomas Vogelsang von der Unteren Jagdbehörde. „In der Regel werden danach die Jäger gerufen. Diese können dann gemäß der Regeln aus den Jagdgesetzen verfahren.“ Im gesamten Landkreis seien im vergangenen Jahr 1706 Tiere zur Strecke gebracht worden. „Das stellt eine Steigerung zum Vorjahr um 25 Prozent dar“, so Vogelsang.

Einen großen Effekt durch die Jagd erhofft sich aber offenbar niemand. Zwar sei es aus biologischer Sicht wünschenswert, den Waschbären aus der heimischen Natur zu entnehmen, so Torsten Peters von der Unteren Naturschutzbehörde. Realistisch sei das aber nicht, weil leere Reviere von außen sofort wieder neu besetzt würden. Das sieht auch Gerhard Herrmann so. Besser sei es, den Tieren die Nahrungsgrundlage zu entziehen. „Der Mensch ist in vielfacher Hinsicht selbst schuld“, kritisiert der Tierparkchef. „Komposthaufen sollten eingefasst sein und am besten einen Deckel bekommen – insbesondere, wenn dort auch Fleisch entsorgt wird.“ Und wer Haustiere hat, der sollte über Nacht keine Futterreste draußen stehenlassen.

Kaninchenhalter Matthias Gottschalk will sich nun auf den Waschbär einstellen. Ein neuer, stabilerer Stall soll her. Und die Zwergkaninchen, die holt er jetzt nachts nach drinnen. Sicher ist sicher.