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Was wird aus meinem Blut, Herr Doktor?

Der Blutspendedienst vom Roten Kreuz setzt zum Jahresendspurt an. Sind die Beutel voll, geht die Arbeit erst richtig los.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Jörg Stock

Klingenberg. Ich sitze auf der Pritsche und lasse die Beine baumeln. Nur keine Eile beim Aufstehen, sagt Schwester Ines. Forschend betrachtet sie mich. „Alles in Ordnung?“ Ich weiß nicht. Bin ich blass? Blass war ich vorhin schon, sagt sie. „Bestimmt wegen der Aufregung.“ Kann sein. Laut meinem uralten Unfallhilfepass habe ich grade zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren wieder Blut gespendet. Die Ärztin hat extra noch mal gehorcht, was Herz und Lunge machen. Alles war gut. Ob heute schon jemand zusammengeklappt ist, frage ich die Schwester. Lachen. „Sie wären der Erste!“

Reporter Jörg Stock lässt sich im Klingenberger Schulkeller von Schwester Ines Blut abzapfen.
Reporter Jörg Stock lässt sich im Klingenberger Schulkeller von Schwester Ines Blut abzapfen. © Frank Baldauf
Am nächsten Morgen wird die Spende im Dresdner Institut per Zentrifuge in ihre Bestandteile zerlegt.
Am nächsten Morgen wird die Spende im Dresdner Institut per Zentrifuge in ihre Bestandteile zerlegt. © Karl-Ludwig Oberthür
Im Auslieferungslager warten die fertigen Präparate nach Blutgruppen farbig sortiert auf ihren Einsatz.
Im Auslieferungslager warten die fertigen Präparate nach Blutgruppen farbig sortiert auf ihren Einsatz. © Karl-Ludwig Oberthür

Es ist kalt an diesem Novemberabend am Tharandter Wald. Regen streift übers Land. Ein Wetter, das eher zum Lümmeln aufs Kuschelsofa lockt, als zum Aderlass in den tristen Klingenberger Schulkeller. Heiko Horn bevorzugt den Keller. Der Mann aus dem nahen Pretzschendorf ist Gebietsreferent beim DRK-Blutspendedienst Nord-Ost und hat diesen Termin mitorganisiert. Er lobt das „schöne Spenderwetter“ mit der vielen frischen Luft. „Vom Feinsten!“ Und weil es schon zeitig dunkel wird, wartet daheim auch kein lauschiger Feierabend im Garten beim Bierchen. „Da kann man ruhig zur Blutspende gehen.“

Der Blutspendedienst des Roten Kreuzes deckt etwa drei Viertel des deutschen Blutkonservenbedarfs. In der Weißeritzregion und der Sächsischen Schweiz werden jährlich rund 15 000 Blutspenden eingeworben. Meine ist nun auch dabei. In einer Kühlbox wird der Lebenssaft noch heute Nacht ins Rennen geschickt. Es ist ein Rennen gegen die Uhr. In 24 Stunden muss das Endprodukt fertig sein.

Ein neuer Tag, 9 Uhr, im Institut für Transfusionsmedizin des DRK Dresden. Im weißen Kittel steht Doktor Matthias Johnsen, Regionalleiter für Produktion, in der Anlieferungsschleuse. Das Neonlicht fällt ins Leere. Aber nur, weil ein Kollege hier um 5.30 Uhr „Frühsport“ gemacht hat, sagt Johnsen. Zu dieser Stunde lassen die Gitterwagen mit den blauen Bluttransportkisten nur einen schmalen Gang frei. Das Institut ist ein zentraler Herstellungsort für Blutpräparate. Bis zu anderthalbtausend Blutspenden aus Sachsen, Berlin und Brandenburg werden hier jeden Tag verarbeitet.

Der brutale Schleudergang

Der „Frühsport“ umfasst vor allem das Sortieren der Blutspenden nach dem First-in-first-out-Prinzip: Das älteste Blut wird zuerst verwendet. Auf sogenannte Uhrzeitwagen gestapelt, rollen die Kisten nach nebenan in die Produktion. Der weite Raum erinnert wirklich an eine Werkhalle. Lichtüberflutete Arbeitstische, Maschinengesumm. Es riecht nach Kunststoff und Desinfektionslösung. Piepsende Zeitmesser wachen über die Prozesse. Hier gelten die strengen Regeln der Pharma-Industrie, sagt Doktor Johnsen. „Jeder Arbeitsschritt ist ganz genau vorgeschrieben.“

Den ersten Schritt macht der Pharmazeutische Mitarbeiter Thorsten Swienty gleich hinter der Lieferschleusentür. Wie ein Kassierer im Baumarkt erfasst er mit der Scannerpistole Strichcodes. Die Codes auf den Blutbeuteln sind der Ausweis, mit dem der Weg des Blutes bis zum Spender zurückverfolgt werden kann. Stellt man Infektionen fest, zum Beispiel mit Hepatitis oder HIV, muss der Betroffene das erfahren, damit er andere nicht ansteckt.

Das Gefäß mit dem Spenderblut ist Teil eines Systems mehrerer, mit Schläuchen verbundener Beutel. Sie nehmen später die verschiedenen Konzentrate auf. Ärzte setzen längst kein „Vollblut“ mehr ein, sondern nur jene Blutbestandteile, die ihr Patient braucht. Thorsten Swienty bereitet den Trennprozess vor. In Sekunden hat er den Wirrwarr aus Beuteln und Schläuchen zum handlichen Päckchen geordnet und in einen Kunststoffbehälter gesteckt, „gebechert“, wie man hier sagt. Jedes Teil des Beutelsystems muss am richtigen Platz liegen, damit es beim folgenden Arbeitsgang keine Schäden gibt. Denn dieser, sagt Doktor Johnsen, ist von „brutaler Gewalt“.

Der gewalttätige Apparat heißt Zentrifuge, ein Würfel etwa so groß wie eine Industriewaschmaschine. Da hinein werden die Blutspendenbecher gesteckt, so wie die Patronen in eine Revolvertrommel. Deckel zu, und schon schießt das Gerät los. Der Inhalt rotiert mit viertausendfacher Erdbeschleunigung. Die Becher mit dem Blut werden dabei in die Waagerechte gehoben. An den Haltebolzen der Becherkammern, so rechnet Matthias Johnsen gern vor, wirken Kräfte von etwa zwanzig Tonnen. Er wundert sich immer wieder, sagt er, wie die Blutkörperchen die Tortur überstehen.

Blutplättchen für Krebspatienten

Rund zwanzig Minuten dauert der Schleudergang. Das Ergebnis verblüfft. Rot ist der Lebenssaft nur noch im unteren Drittel des Beutels. Dort haben sich die dichtesten Teile, die roten Blutkörperchen, Erythrozyten genannt, gesammelt. Darüber steht milchig gelb das zellfreie Plasma. Die Fliehkräfte haben es aus der roten Zellmasse herausgedrückt, wie aus einem Schwamm. An der Grenze der beiden Zonen schimmert ein dünner, grauweißer Schleier, ein Gemisch aus weißen Blutkörperchen und Blutplättchen, das man den Buffy Coat nennt.

Die endgültige Trennung der Blutprodukte besorgt nun der Separator. Der Beutel wird eingespannt, ein Stempel presst das Behältnis zusammen, rote Blutkörperchen und Plasma fließen durch extra Ausgänge in ihren jeweiligen Behälter. Zurück bleibt der Buffy Coat. In Handarbeit wird die Substanz aus den Beuteln massiert. „Wir streicheln unsere Thrombozyten“, sagt Doktor Johnsen grinsend. So werde die maximale Ausbeute erreicht. „Das sind wir unseren Spendern schuldig.“

Das ist also aus meinem Blut geworden: Rund 270 Milliliter rotes Erythrozytenkonzentrat, der Klassiker zum Sauerstofftransport, lagerfähig 42 Tage. Außerdem etwa 300 Milliliter Plasma, das Transportmittel der Blutbahnen. Eingefroren kann man es zwei Jahre aufheben. Um die 250 Milliliter für ein Thrombozytenserum zu gewinnen, braucht man außer meiner Blutspende noch drei weitere. Blutplättchen sind wichtig für Blutgerinnung und Heilungsprozesse. Krebskranke in der Chemotherapie benötigen solche Konzentrate täglich. Haltbar sind sie aber nur fünf Tage. Und das ist einer der Gründe, wieso die Blutfabrik auch morgen wieder 5.30 Uhr anläuft.