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Was macht ein erfülltes Leben aus?

Wir sind leer, sagt der Soziologe Hartmut Rosa – und lobt in Pirna Jugendliche, die auf die schiefe Bahn gerieten.

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© Daniel Förster

Katharina Klemm

Pirna. Eine Gänsehaut bekommen, zu Tränen gerührt sein – beides sind körperliche Reaktionen, hervorgerufen durch innere Empfindungen. Der Soziologe Hartmut Rosa nennt sie Resonanzerfahrungen. Der Jenaer Wissenschaftler sprach in Pirna über seine Resonanztheorie, in der er beschreibt, warum wir in einer bestimmten Weise auf andere Menschen reagieren – und welche Reaktionen uns guttun.

Der Verein Uniwerk und die Sozialarbeiter des Diakonie-Projektes „UZ“, das straffällig gewordene Jugendliche betreut, hatten Rosa zum Abschluss ihrer ebenfalls Resonanz betitelten Ausstellung eingeladen. Seit dem 21. September war im Uniwerk Kunst straffälliger Jugendlicher zu sehen. Die jungen Menschen hatten diese während des sozialen Trainingskurses des Jugendprojektes „UZ“ angefertigt.

Ziel des Kurses ist es, für und gemeinsam mit den 14- bis 20-Jährigen Lösungen für ihre teils sehr schwierigen Lebenslagen zu finden. Dabei finden sich die Lösungen oft schon im Alltag der Jugendlichen, müssen aber weiterentwickelt und auf mehr Lebensbereiche ausgeweitet werden. Kunst ist dabei ein Mittel für die Jugendlichen, sich auszudrücken, ganz ohne Worte. Die Ausstellung gab einen direkten Einblick in die Lebenswelt der jungen Menschen.

Etwa eine Stunde sprach Hartmut Rosa über Resonanz und was sie für unser Leben bedeutet. Dabei gebraucht er das Wort nicht im physikalischen Sinne. Vielmehr münzt er die Bedeutung geisteswissenschaftlich um. Während in der Physik Körper durch äußere Einwirkung in Schwingung versetzt werden, erleben Menschen durch bestimmte Resonanzerfahrungen, sprich Erlebnisse, eine Reaktion oder Veränderung im Inneren.

Das bedeutet, ein gelungenes, resonanzreiches Leben hängt davon ab, wie wir Bezug auf die Welt sowie die Dinge und Lebewesen darin nehmen. Durch all diese Bezugnahme entstehen Resonanzerfahrungen, die uns erfüllte Momente ermöglichen und unser Leben lebenswert machen, so Rosas Theorie. Oder um es kurz mit den Worten des Wissenschaftlers zu sagen: „Leben entsteht dort, wo wir Resonanzerfahrungen machen.“

Erfahrungen machen den Mensch reicher

Doch was genau ist eigentlich so eine Resonanzerfahrung? Indem wir mehr und mehr versuchen, die Welt für uns erreichbarer und damit erlebbar zu machen, zum Beispiel durch Reisen, Informationen oder Technologie, wird die Resonanz nicht stärker, vielmehr verstummt sie, sagt Rosa. Indem die Welt immer erreichbar sei, entferne sie sich nur noch weiter von uns bzw. wir uns von ihr. Der Versuch, die Welt und damit unser Leben zu kontrollieren, verdingliche die Menschen und Beziehungen, die für unser Leben wichtig sind.

Um die Welt wieder zu erfahren und erfüllt zu leben, nicht nur zu sein, benötigt der Mensch laut Rosa Resonanzerfahrungen. In diesen Momenten oder Erlebnissen ist es nicht das erklärte Ziel, die Welt erreichbar zu machen, sondern wir hoffen, auf eine bestimmte Art und Weise angesprochen zu werden. Resonanzerfahrungen machen wir beispielsweise in zwischenmenschlichen Momenten, wenn wir verliebt sind oder angeregt diskutieren, bei einem Museumsbesuch, einem Waldspaziergang, einem Sonnenuntergang oder auch beim Beten.

Trump, ein Resonanzkünstler?

Rosa zufolge müssen sich für eine zwischenmenschliche Resonanzerfahrung die Personen vertrauen. Im Falle der Jugendlichen, die am Programm des „UZ“ teilnehmen, ist die Familie oftmals zerrüttet, gewalttätig, oder die Eltern kümmern sich schlicht nicht um ihre Kinder. Jegliches Vertrauen der Kinder in ihre Familie ist damit zerstört. Sie haben oft den Eindruck, niemanden zu erreichen, nicht wahrgenommen zu werden.

Der „UZ“-Kurs der Pirnaer Sozialarbeiter Uwe Bierwolf und Christoph Hampel bietet dafür Raum. „In den verschiedenen Bereichen unseres Kurses, zum Beispiel der Fahrradwerkstatt, geht es darum, dass die Jugendlichen selber etwas machen“, erzählt Hampel. „Natürlich ist es manchmal schwierig, wenn es langsamer geht als wir es gewohnt sind, aber am Ende ist wichtig, dass sie selbst etwas geschafft haben und stolz darauf sind.“ Und genau in solchen Momenten können die jungen Menschen eine Resonanzerfahrung machen.

Abend bleibt in Erinnerung

Nachdem Hartmut Rosa seine Theorie dargelegt hatte, nahm er sich viel Zeit für die anschließende Diskussion. Dass der Vortrag bei den Zuschauern Anklang gefunden hatte, zeigte sich an der regen Beteiligung. Es wurden gut durchdachte und teils tiefgründige Fragen gestellt und Gedanken geteilt. Einer der Hörer erzählte, er habe gehört, wie Donald Trump in den Medien als Resonanzkünstler bezeichnet wurde. Er fragte, ob sich damit sein Erfolg erklären lasse. Rosas Antwort war klar: „Trump ist sicher kein Resonanzkünstler.“ Denn für Trump gibt es nur seine eigene Meinung und den Gleichklang. Resonanz setze aber die Möglichkeit für Widerspruch voraus, so Rosa. So sei es allgemein bei populistischen Bewegungen. Sie zielten nicht darauf ab, Resonanz, sondern Echoräume, also eine große Menge von Menschen mit einheitlicher Meinung zu erzeugen.

Nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für Hartmut Rosa war dies ein Abend, der in Erinnerung bleiben wird. „Unser Gespräch hat mich ganz schön ins Schwitzen gebracht und zum Nachdenken angeregt“, sagt er zum Abschluss. Das klingt ganz nach einer Resonanzerfahrung.