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Was macht das Schaf im Schlafzimmer?

Außergewöhnlichen Besuch hatten Pflegepatienten in Liegau. „Kanzi“ war zu Gast.

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© privat

Von Thomas Drendel

Liegau. Der Anblick war schon kurios: Erst steigen Anni Melzer und Daniel Hammer aus dem Auto. Dann springt ein Schaf aus dem Kofferraum und wackelt hinter ihnen her, geradewegs in die Seniorenwohngruppe in Liegau-Augustusbad. Hier betreut der Pflegedienst AIR Kranken- und Intensivpflege Menschen mit teils schweren Behinderungen.

In den Gängen kannte die Verwunderung keine Grenzen. Was macht das Schaf auf dem Flur? Als der Wollknäuel auch noch in die Patientenzimmer abbog, liefen Pflegekräfte und Bewohner zusammen. „Das war natürlich vorher mit der Leitung des Pflegedienstes abgesprochen. Sie war von der Idee, Bewohner mit dem zahmen Tier zusammenzubringen, begeistert“, sagt Daniel Hammer vom Verein Wunder Land aus Wachau. Der Besuch bei den Bewohnern war dann auch ein voller Erfolg. „Schaf ,Kanzi‘ fraß Graspellets aus den Händen der Bewohner und ließ sich dabei nur allzu gerne das Fell kraulen“, sagt der Wachauer. Das zutrauliche Tier, seine Nähe und die Berührungen: all das bereitete den Betroffenen sichtlich Freude. „Die ungewöhnliche Begegnung zauberte ihnen ein Lächeln ins Gesicht. Ein Senior erzählte, dass er früher selbst Landwirt war und Schafe besaß. Die Menschen blühten bei dem Zusammentreffen auf“, sagt Daniel Hammer. Auch für ihn und die Mitarbeiter des Pflegedienstes AIR waren diese Begegnungen ergreifend, sagt er. „Es war wunderbar zu sehen, wie sie sich darüber gefreut haben. Vor allem bei Menschen, die aufgrund ihrer schweren Behinderung sonst kaum eine Regung zeigen.“ Auch das Team von AIR sieht sich durch den Erfolg bestätigt: „Da früher viele selbst Schafe auf dem Hof hatten, ist eine Begegnung mit diesen Tieren nach so vielen Jahren sehr emotional. Sie bietet eine Abwechslung, an die sich unsere Bewohner noch lange erinnern“, sagt Jutta Henker, eine Mitarbeiterin der AIR. Wegen der guten Resonanz wollen die beiden Mitglieder von Wunder Land jetzt jeden Monat einmal mit Schaf Kanzi in der Wohngruppe in Liegau-Augustusbad vorbeischauen.

Publikumsliebling bei Festen

Dass das Schaf so zutraulich ist, hat mit seiner Geschichte zu tun. Bei der Geburt am Osterwochenende im vergangenen Jahr war das Muttertier verstorben. Der Besitzer stand vor der Frage: Wohin mit Kanzi und drei weiteren Lämmern? Der Verein Wunder Land hält in seinen Ställen schon mehrere Schafe, da konnten die Vier auch noch unterkommen. „Das war aber aufwendiger als gedacht“, erinnert sich Daniel Hammer. Alle zwei Stunden musste den Kleinen die Flasche gegeben werden. Auch nachts. Dieser tägliche und enge Umgang mit Menschen hat sie besonders zahm werden lassen. „Wir konnten ihnen sogar einige Kunststückchen beibringen. So laufen sie auf Kommando im Slalom oder springen bereitwillig über kleine Hindernisse. Welches Schaf kann das schon?“, sagt er. Wegen ihrer Zutraulichkeit wurden sie schnell zu Publikumslieblingen bei Vereinsfesten. Anders als die Vier sind die Schafe von Wunder Land nicht nur zum Streicheln da, sie werden auch gemolken. Mehrere Liter Milch fallen jede Woche an. Für den Eigenbedarf stellen Daniel Hammer und Anni Melzer daraus Schafskäse her. Erhitzen, Enzym dazugeben, stehen lassen, durch ein Sieb geben und dann ab in den Kühlschrank. Nach zwölf Stunden ist der Frischkäse fertig. Auch die Wolle wird genutzt. Die Schafschur und das Verspinnen zeigt der Verein unter anderem beim Schaf-Woll-Lenz, einem Frühlingsfest in Wachau. Das Interesse an dem alten Handwerk ist enorm. „Jeder wollte sehen, wie das funktioniert.“ Ganz besonders dicht umlagert sind aber meist „Kanzi“ und ihre Geschwister.