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Was Joachim Gauck wirklich gesagt hat

Kaum aufgestellt, prasselt auf den Bundespräsidenten-Kandidaten massive Kritik wegen früherer Wortmeldungen ein – eine Einordnung..

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Von Peter Heimann, Berlin

Mehr als zwei Drittel der Deutschen finden es gut und richtig, dass Joachim Gauck ihr nächster Bundespräsident werden soll. Im Umkehrschluss heißt das natürlich auch, eine nicht unerhebliche Minderheit findet die Entscheidung zumindest nicht ganz so gut. So weit, so normal. Nun aber melden sich Kritiker mit mehr oder minder qualifizierter Kritik.

Im Internet verbreitet sich die Skepsis rasend schnell, und mit ihr eine ganzer Wust tatsächlicher oder angeblicher früherer Gauck-Äußerungen. Mit jeder Runde im Netz, beklagt etwa Netz-Experte Sascha Lobo, könnten „Verkürzungen, Verdichtungen, Vereinfachungen dazukommen, bis aus der Andeutung der Spur einer Möglichkeit im Zitatzitatzitat ein ehernes Faktum geworden ist“. Schaut man sich die Schlagworte im Zusammenhang an, bleibt manchmal wenig übrig von den aggressiven Vorwürfen – egal, wie man zu Gaucks Überzeugungen stehen mag. Lobo: „Eventuelle substanzielle Kritik aber wird entwertet, wenn sie neben Quatsch-Kritik steht.“ Die SZ versucht einzuordnen, was Gauck wirklich gesagt hat:

Joachim Gauck über die Occupy-Bewegung

Vorigen Oktober, als Menschen weltweit gegen die Macht der entfesselten Finanzmärkte demonstrierten, nannte Joachim Gauck die antikapitalistische Occupy-Bewegung „unsäglich albern“. Der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, sei eine romantische Vorstellung, zitiert ihn der Zeit-Verlag von seiner Veranstaltung in Hamburg. Es sei ein Irrtum, zu glauben, dass alles schön sei, wenn man das Kapital besiege. Die Bürgerproteste gegen die Banken und das Finanzsystem würden sich seiner Ansicht nach nicht zu einer dauerhaften Bewegung entwickeln: „Das wird schnell verebben“, erklärte Gauck.

Die Vehemenz, mit der Gauck hier die Occupy-Bewegung kritisierte, überraschte. Unterschlagen wird dann oft der Gedankengang Gaucks. Er betrachtete die Kapitalismus-Kritik der Occupy-Bewegung vor dem Hintergrund des verstaatlichten Bankenwesens der DDR: „Ich habe in einem Land gelebt, in dem die Banken besetzt waren.“ Und fragte, ob es nicht zweifelhaft sei zu glauben, dass Einlagen sicherer wären, wenn die Politiker in der Finanzwirtschaft das Sagen hätten.

Joachim Gauck über Bürgerproteste

Negativ äußerte sich Gauck auf einer „Zeit“-Veranstaltung zu den Protesten um Stuttgart21. Besonders warnte er vor einer Protestkultur, „die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst bezeichnete er als „abscheulich“. Monate zuvor hatte der Kandidat die Proteste noch als gutes Zeichen für die Demokratie gewertet: „Egal, wie man die Proteste über Stuttgart21 inhaltlich bewertet, muss man sich darüber freuen, dass sich Bürger von ihren Sofas erheben und an der demokratischen Willensbildung teilnehmen.“

Joachim Gauck über Sarrazin und dessen Thesen

In einem Interview bescheinigte Gauck dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, mit seinem umstrittenen Bestseller über das sich angeblich selbst abschaffende Deutschland „Mut bewiesen“ zu haben. Gauck: „Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“ Die politische Klasse könne aus dem Erfolg von Sarrazins Buch lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“. Mag sein, dass die Formulierungen nicht die glücklichsten waren, eine platte Zustimmung zu Sarrazin sind sie nicht. Gauck distanzierte sich an anderen Stellen deutlich. Sarrazin müsse „genauer differenzieren“ und dürfe „nicht alles mit einem einzigen biologischen Schlüssel erklären wollen“, sagte Gauck in einem anderen Zeitungsgespräch.

Joachim Gauck über „törichte“ Montagsdemos

Joachim Gauck habe die Proteste gegen Hartz IV im Jahr 2004 als „töricht und geschichtsvergessen“ bezeichnet, klagen Kritiker. Tatsächlich aber hat er sich in diesem Zusammenhang gegen den Gebrauch des Begriffes Montagsdemonstration gewandt: Es sei „töricht und geschichtsvergessen, wenn der Protest gegen Sozialreformen unter dem Titel Montagsdemonstration stattfindet“, sagte Gauck damals einer Berliner Zeitung. Bei den Demonstrationen 1989 sei es um den fundamentalen Widerstand gegen das DDR-Regime gegangen. Die Proteste gegen Hartz IV aber fänden innerhalb eines demokratischen Systems statt. Er verstehe, dass viele Ostdeutsche Arbeitslosigkeit und einschneidende Reformen als existenzielle Bedrohung empfänden.

Joachim Gauck über den Sozialstaat

Die Linke, aber auch Wohlfahrtsverbände klagen über Gaucks vermeintliches Lob für die Beschneidung des Sozialstaates. „Manche seiner Äußerungen über die Schwachen in unserer Gesellschaft empören mich geradezu“, meint der Theologe Friedrich Schorlemmer. Als Belege werden häufig Zitate aus einem Interview von 2010 angeführt. Darin kritisiert Gauck den Traum der Deutschen vom „Vater Staat“: „Wir stellen uns nicht gern die Frage, ob Solidarität und Fürsorglichkeit nicht auch dazu beitragen, uns erschlaffen zu lassen.“ Gauck lobt in dem Interview Ex-Bundeskanzler Schröder für dessen Hartz-IV-Reform: „Als Schröder die Frage aufwarf, wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann, da ist er ein Risiko eingegangen. (...) Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder.“ Allerdings geht es Gauck hier weniger um HartzIV, vielmehr kritisiert er den Politikstil als zu kurzfristig: Die Politik solle lernen, deutlich über den nächsten Wahltermin hinaus zu denken.

Joachim Gauck über den Afghanistan-Einsatz

Gauck hat 2010 seine Haltung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr konkretisiert und die Linke scharf angegriffen. „Ich finde den Einsatz nicht gut, aber erträglich und gerechtfertigt“, sagte Gauck der „Saarbrücker Zeitung“. Es sei schon „sehr merkwürdig, dass eine politische Richtung, die jahrzehntelang den bewaffneten Befreiungskampf in Afrika und anderswo bejubelt hat, nun einen Radikalpazifismus pflegt“, meinte Gauck mit Blick auf die Linken. „Das ist ein taktischer, aber kein ethischer Pazifismus.“ Damals hatten prominente Linke erklärt, dass Gauck auch deshalb nicht für ihre Partei wählbar sei, weil er den Krieg in Afghanistan unterstütze.