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Was ist Heimat?

Der Deutschlandfunk kommt nach Pirna, um über einen schwierigen Begriff zu sprechen. Das scheint dringend geboten.

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© Karl-Ludwig Oberthür

Von Franz Werfel

Freital/Pirna. Es ist offensichtlich nicht ganz einfach, in Deutschland von „Heimat“ zu sprechen. Mit einem Blick in die deutsche Vergangenheit wird deutlich, dass das vor allem an einem einst übersteigerten Nationalgefühl liegt. Dieses war der Nährboden für Ausgrenzung, Hass und die Vorstellung, dass die Deutschen anderen Nationen (und Völkern) überlegen waren – und deshalb das Recht hätten, ihren Lebensraum nach Osten hin auszuweiten. Seither stehen die meisten Deutschen dem Wort Heimat zumindest skeptisch gegenüber.

Über den Heimatbegriff diskutierten in Pirna Karin Berndt, Werner Patzelt, Bastian Brandau, René Misterek, Roland Löffler und Friedemann Bause mit dem Dlf-Moderator Jürgen Wiebicke (v.l.).
Über den Heimatbegriff diskutierten in Pirna Karin Berndt, Werner Patzelt, Bastian Brandau, René Misterek, Roland Löffler und Friedemann Bause mit dem Dlf-Moderator Jürgen Wiebicke (v.l.). © Daniel Schäfer

Welche Sprengkraft der Begriff Heimat noch heute hat, sieht man an der Renaissance, die er gerade erfährt. Einst plakatierte die NPD großflächig nur dieses eine Wort, um damit bei Wahlen zu punkten. In jüngerer Zeit entdeckten mehrere politische Parteien das Wort für sich neu – und versuchten so, die Deutungshoheit darüber zu bekommen. Voran ging die AfD, noch im Bundestagswahlkampf zogen einzelne CDU-Politiker, darunter Klaus Brähmig, nach. Zum Tag der Deutschen Einheit sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (ruhende SPD-Mitgliedschaft): „Ich bin überzeugt, wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern.“ Katrin Göring-Eckardt von den Grünen nutzte den Begriff positiv. Und kürzlich empfahl Sigmar Gabriel (SPD) seiner Partei, offen über das Wort Heimat zu diskutieren.

Dem Begriff wollte der Deutschlandfunk nachspüren. Er hatte dazu in die Pirnaer Stadtbibliothek eingeladen – in den Landkreis, in dem die AfD ihr deutschlandweit bestes Wahlergebnis erreichte. Das Gespräch entwickelte sich zu einem klugen, unaufgeregten Nachdenken über ein schwieriges Wort. Die SZ stellt die wichtigsten Gedanken der Diskussion zusammen.

Werner Patzelt, Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden
„Heimat hat man einfach, das muss man nicht erklären, das ist wie die Luft, die man atmet“, sagte der Politologe Werner Patzelt. Was Heimat ist oder sein soll, darüber werde man sich erst bewusst, wenn sich etwas verändert. Die Debatte zeige, dass sich in den geistigen, kulturellen und sozialen Lebenswelten der Menschen etwas verändert habe. „Man hat etwas verloren, oder meint das zumindest, und redet darüber“, so Patzelt.

Viele Sachsen seien unzufrieden. Das seien andere Menschen – gerade in den neuen Bundesländern – auch. Diese würden es aber nicht so zeigen wie die Sachsen. Die früheren DDR-Bürger hätten eine entscheidende Erfahrung gemacht: Ihre Heimat sei vergangen, ohne dass sie dafür selbst hätten umziehen müssen. „Dann wurden sie, in kulturellen Institutionen und in den Ministerien, von Westdeutschen überlaufen. Und manche Westdeutschen sagen heute: Ihr habt keine Willkommenskultur, seid Rassisten, seid Dunkel-Deutschland.“ Das, so Patzelt, habe Diskussionen über das Land ausgelöst, worunter viele Sachsen leiden würden.

Roland Löffler, Direktor der Landeszentrale für politische Bildung
Heimat, so der neue Direktor der sächsischen Landeszentrale, sei der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen könnten. „Wer nicht über Europa oder den Nationalismus reden will, geht zurück aufs Lokale“, so Löffler.

„Ich finde es gut, dass wir über Heimat reden, denn das Wort gehört allen, nicht nur bestimmten politischen Gruppen.“ Er wies darauf hin, dass moderne Gesellschaften immer Konfliktgesellschaften seien. „Viele Begriffe wie etwa Moral, Religion oder Kapital sind provokant.“

Bastian Brandau, Korrespondent für Sachsen beim Deutschlandfunk
Dem gebürtigen Niedersachsen fiel eines besonders auf, als er anfing im Freistaat als Reporter zu arbeiten: „Politische Bildung hat in Sachsen ganz wenig stattgefunden. Sie wurde geschwächt oder man hat sie nicht gewollt.“ Sächsische Eltern seien oft unglücklich darüber, dass ihre Kinder im Westen „arbeiten müssen“. Brandau bemerkte, dass der Begriff Heimat gern überhöht wird. „Der neue Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer, betont ständig, wie sehr er seine Heimat liebt. Das wäre anderswo sicher problematisch.“

Friedemann Brause, Referent bei der Pirnaer Aktion Zivilcourage
Das Bedürfnis, über Heimat reden zu wollen, betreffe vor allem Erwachsene, sagte Brause. Bei seiner Arbeit mit Jugendlichen in Sebnitz habe er festgestellt: „Viele sagen, sie fühlen sich hier, in ihrer Heimat, wohl. Sie wissen aber nicht, ob sie hier wohnen bleiben können.“ Schon für das Studium müsse man zwangsläufig umziehen. In Jugendkonferenzen unter dem Titel „Deine Heimat – deine Ideen“ überlegen Jugendliche, wie sie ihre Heimat gestalten können. Viele Themen, die hochemotional seien, ließen sich rational viel besser diskutieren. Begriffe wie „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ seien nicht hilfreich.

Karin Berndt, Bürgermeisterin von Seifhennersdorf im Landkreis Görlitz
Karin Berndt (parteilos) hat sich in den vergangenen Jahren als kämpferische und streitbare Bürgermeisterin ihres Ortes einen Namen gemacht. Von einst 10 000 Einwohnern hat Seifhennersdorf heute nach knapp 4 000. „Ich habe viele Jahre politische Erfahrung. Seit etwa zehn Jahren gibt es in Sachsen eine Arroganz der Macht, die viel Schaden anrichtet“, sagte sie. Aktuell gebe es in der Landespolitik große Verwerfungen und Umwälzungen. Als jemand zu ihr sagte, die Jugend ziehe weg vom Land und die Alten sterben, habe das in ihr Trotz hervorgerufen. „Wir müssen den Bürgern das anbieten, was sie zum Leben brauchen, damit sie sich in der Heimat wohlfühlen.“

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