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Was ich in der Schule gelernt habe

Ella Scholz startet in ein neues Leben. Am Rolland-Gymnasium hat die Abiturientin eine beeindruckende Rede gehalten.

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© privat

In der Schule habe ich unter anderem eines gelernt: dass Menschen es regelmäßig fertigbringen, Stück für Stück die Welt zu zerstören.

In Geschichte kam eine Epoche nach der anderen dran, in denen korrupte Herrscher allen das Leben zur Hölle gemacht haben oder Revoluzzer Regierungen stürzten, nur um entweder zu sterben oder festzustellen, dass es nun noch schlimmer aussah als vorher.

In Gemeinschaftskunde wurde von Kriegen erzählt, von Völkermorden, dem Klimawandel, Politikern, die in Bürokratie feststeckten und Bürgern, die frustriert schreiend Steine auf die Polizei warfen und glaubten, so das System verbessern zu können. Deutsch, Kunst und Musik lehrten mich, dass große Köpfe und einzigartige Talente oft an dem eigenen Geist oder der Welt im Allgemeinen zugrunde gingen.

Und nach zwölf Jahren schien irgendwie wenig Hoffnung für die Zukunft übrigzubleiben. Wir waren doch alle nur Kinder, egal, wie gut wir über die Probleme der Welt diskutieren konnten.

Zum Schluss beendete die Schulklingel jedes Mal unsere Lösungsansätze für den Krieg in der Welt und unsere kleinen Geschichten; man packte seine Sachen zusammen und ging nach Hause, froh darüber, dass die Welt nach dem Klingeln nicht mehr ganz so kompliziert aussah.

Für mich blieben die Gedanken trotzdem. Doch jedes Mal, wenn mich eine gewisse Angst angesichts der Welt von morgen überkam, reichte ein Gedanke, um sie zu vertreiben. Ich dachte an die Schule. Aber nicht an den Unterricht, nicht an die Klausuren oder Bücher.

Ich dachte an uns.

An diesen einzigartigen Haufen wild zusammengewürfelter Menschen. Wie ich einige seit zwölf, acht oder auch erst seit zwei Jahren kannte. Es war nicht in jedem Augenblick wichtig, wie gut ich mit ihnen befreundet war, aber mir war klar, dass ich über jeden Einzelnen genug wusste, um mit ihm ein Gespräch zu beginnen.

Unterm Strich steht insgesamt ein Jahrgang, der so klug wie unkonventionell ist. Der Prioritäten setzt, aber dann mit einem ungebremsten Enthusiasmus an die Dinge herangeht, die uns wichtig sind.

Wir sind der Jahrgang, der eine Menge Komplimente der Schülerschaft bekommen hat, für einen Abi-Gag, den wir an einem einzigen Tag geplant haben. Das sind wir – ein bisschen verpeilt und chaotisch, aber unaufhaltsam, wenn es darum geht, in Teamarbeit unsere kreative Energie auszuleben.

In all den Jahren ist so viel mehr entstanden als nur ein paar Zeugnisse. Es sind Filme, Lieder und Bücher entstanden. Musikvideos und Theaterstücke. Es sind Streiche und Reden entstanden. Freundschaften und Paare. Fotoshootings und bemerkenswerte Feiern. Es sind Hunderte von den Geschichten entstanden, die wir eines Tages voller Stolz unseren Kindern erzählen werden. Erst wenn sie alt genug sind, versteht sich.

Mir ist klar, dass die Schulzeit nicht für alle der Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens war. Schule kann genauso grausam wie freundlich sein, genauso stressig wie spannend.

Und während einige sich wünschen, dass diese Zeit nie zu Ende geht, warten andere nur auf die Gelegenheit, endlich in ein neues Leben zu entkommen. Doch es ist trotzdem wert, die Erinnerungen und vor allem die Energie zu behalten. Entgegen der Meinung populärwissenschaftlicher Studien hat die Schule unseren Tatendrang und unsere Kreativität nicht erstickt. Und unsere Lehrer fanden ab und zu einen Weg durch unsere vollgestopften Köpfe in unser Herz.

Wenn zwanzig Schüler gebannt und fasziniert ihrem Lehrer lauschen, der seit einer Viertelstunde mit Leidenschaft über Nilpferdkacke redet. Wenn uns einmal nicht von einer CD oder einem Buchtext, sondern dem Menschen vor der Tafel vom Krieg erzählt wurde. Wenn uns in vollem Ernst eröffnet wurde, dass wir für fähig gehalten werden, diese Welt zu verbessern. Dann hatte es ein Lehrer nicht nur geschafft, dass wir uns den Stoff dieser Stunde definitiv merkten, aber vor allem, dass wir endlich begriffen, warum wir lernten.

Und am Ende von zwölf Jahren Schulzeit beruhigt es mich ungemein, dass einige Erwachsene, die die Zukunft gestalten werden, gelernt haben, mit Kopf und Herz zu denken. Vielleicht werden sie Lehrer, die den Unterschied zwischen guten Schülern und guten Noten kennen. Oder Politiker, die wissen, dass man beim lockeren Diskutieren besser auf einem Bierkasten als auf einer Atomwaffe sitzen sollte.

Oder Autohersteller, die wie leidenschaftliche Physiker und nicht wie Banker denken. Und vielleicht werden sie auch eines Tages mal verdammt gute Eltern.

Und was dann?

Vielleicht besteht die Zukunft in 50 Jahren dann nicht aus einer in Smog gehüllten Welt im Atomkrieg. Vielleicht besteht sie aus einem Klassentreffen. Aus einer Truppe von Siebzigjährigen, die sich treffen, um einander noch einmal all die alten Geschichten zu erzählen. Denn in einem Alter, in dem einem vor allem Erinnerungen bleiben, werden wir ziemlich glücklich sein, in unserer Jugend so viel erlebt zu haben.

Unsere Geschichte hört heute nicht auf, sie hört nicht mit der Schulzeit oder dem Auseinandergehen unserer Freunde auf. Sie geht weiter. Jeder von uns schreibt die Fortsetzung dieser legendären Zeit, und so wie ich euch alle kenne – wird auch die verdammt episch.