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Was aus den Stasi-Akten werden soll

Eine Expertenkommission will sie ins Bundesarchiv überführen. Das Ende der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde rückt näher.

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Von Peter Heimann, Berlin

Die Stasi-Unterlagen-Behörde ist weltweit die erste Institution, die einen nur gering eingeschränkten Zugang zu Geheimdienst-Akten ermöglichte. Die Öffnung der MfS-Archive war nicht unumstritten. Es war vor allem ein Erfolg ostdeutscher Bürgerrechtler, das Prinzip der befristeten Geheimhaltung staatlicher Akten zu durchbrechen. Eingerichtet dafür wurde eine eigene, große Behörde.

Seit ihrem Bestehen wurden über drei Millionen Anträge auf Akteneinsicht gestellt. Erster Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde war der DDR-Oppositionelle und heutige Bundespräsident Joachim Gauck, weshalb sich bald auch die Bezeichnung Gauck-Behörde einbürgerte. Auf Gauck folgte im Oktober 2000 die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler. 2011 übernahm der Journalist und SED-Gegner Roland Jahn die Leitung der Bundesbehörde, die heute rund 1 600 Mitarbeiter an insgesamt 14 Standorten beschäftigt.

Inzwischen, ein Vierteljahrhundert nach der historischen Entscheidung, neigt sich deren Existenz langsam ihrem Ende zu. Die Stasi-Unterlagen-Behörde wird nach Ansicht einer Expertenkommission künftig nicht mehr gebraucht und soll bis 2021 abgeschafft werden. Das hat eine 14-köpfige Expertenkommission am Dienstag vorgeschlagen, die der Bundestag im Juli 2014 eingesetzt hatte. Die SZ analysiert deren Empfehlungen:

Bleiben die Stasi-Akten auch in Zukunft wie heute zugänglich?

Hintergrund: Die Stasi-Unterlagen-Behörde

111 Kilometer Aktenmaterial, 41 Millionen Karteikarten und 1,7 Millionen Fotos - in ihren Archiven bewahrt die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) die Hinterlassenschaften des DDR-Spitzelapparates auf.

Ihr Ziel ist es, die Öffentlichkeit über Methoden und Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aufzuklären und zur gesellschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur beizutragen.

DDR-Bürgerrechtler hatten nach dem Mauerfall einen Teil der Akten gerettet. Viele Unterlagen wurden aber auch von Stasi-Mitarbeitern vernichtet. Seit Bestehen der Behörde wurden bis Ende 2012 mehr als 2,9 Millionen Anträge auf Akteneinsicht gestellt.

Erster Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde nach der deutschen Einheit war der DDR-Oppositionelle und heutige Bundespräsident Joachim Gauck, weshalb sich bald auch die Bezeichnung Gauck-Behörde einbürgerte.

Auf Gauck folgte im Oktober 2000 die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler. 2011 übernahm der Journalist und SED-Gegner Roland Jahn die Leitung der Bundesbehörde, die heute rund 1.600 Mitarbeiter an insgesamt 14 Standorten beschäftigt. (dpa)

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Ja. „Die Akten sollen weiter zugänglich sein, und zwar in der bisherigen Weise“, sagte der Kommissionsvorsitzende Wolfgang Böhmer, Ex-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Zwar sollen die Stasi-Akten in das Bundesarchiv überführt werden. Aber auch dann sollen die Einsicht in Dokumente und die Erteilung von Auskünften gemäß dem Stasiunterlagengesetz gelten. Das Stasi-Unterlagen-Archiv soll vollständig mit eigenem Namen unter dem Dach des Bundesarchivs weitergeführt werden.

Werden die Akten wegtransportiert und die Archivare entlassen?

Nein. Die Stasi-Unterlagen sollen nach den Empfehlungen der Kommission an ihrem bisherigen Standort in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg bleiben, die Mitarbeiter sollen vom Bundesarchiv übernommen werden und ihre bisherigen Aufgaben möglichst behalten.

Nimmt das Interesse an den Akten nicht zwangsläufig mit der Zeit ab?

Ja. Das Interesse an den Stasiunterlagen nimmt zwar seit Jahren ab, ist aber nach wie vor groß: Noch immer stellen jeden Monat mehr als 5 000 Menschen einen Antrag auf Akteneinsicht. Zum Vergleich: Das gesamte Bundesarchiv beantwortet mehr als 75 000 Anfragen pro Jahr. Allerdings geht ein Drittel der Antragsteller leer aus, weil sie die Stasi nicht erfasst hat. 93 Prozent der Anfragen werden auf dem Schriftweg erledigt. Nur noch sieben Prozent nehmen persönlich Akteneinsicht. Die Überprüfungen für den öffentlichen Dienst laufen praktisch aus.

Was hat das für Konsequenzen für die Außenstellen?

Für die 12 Außenstellen hält die Kommission eine administrative Zusammenlegung für sinnvoll ohne einzelne Schließungen vorzuschlagen. Dabei sollte aber in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen jeweils mindestens eine Außenstelle erhalten bleiben. Kommissionsvize Richard Schröder erinnerte daran, dass beispielsweise in der Schweriner Außenstelle 2014 nur 62 Personen Einsicht in die Akten genommen haben – bei 50 Mitarbeitern.

Wie sieht es in Dresden, Chemnitz und Leipzig aus?

Ähnlich In Dresden gab es 2014 exakt 4 495 Anträge. 176 wurden zurückgezogen, 1 497 waren beim MfS nicht erfasst. Bei 750 gab es nur eine Karteikarte oder Ähnliches, 1 909 Anfragen wurden schriftlich per Kopien erledigt. 163 Antragsteller nahmen persönlich Einsicht – etwa drei pro Woche. In Leipzig waren es genauso viele, in Chemnitz 217 Personen. Hinzu kamen noch andere Aufgaben wie Veranstaltungen oder Schülerprojekte.

Was wird aus dem bisherigen Behördenleiter?

Aus dem bisherigen Bundesbeauftragten für die Akten soll ein „Bundesbeauftragter für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen“ werden. Der Vertrag des derzeitigen Amtsinhabers Roland Jahn lief bereits im März aus. Jahn führt die Geschäfte derzeit kommissarisch, weil man die Kommissionsergebnisse abwarten wollte. Der neue Beauftragte, der dann nicht mehr die Verantwortung für die Akten hätte, solle vor allem „ein Ombudsmann der Opfer“ sein, so Schröder. Das Amt sei vergleichbar mit dem des Wehrbeauftragten. Jahn hat sich auch bisher als Anwalt der Stasi-Opfer verstanden.