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Warum sich jeder vierte Sachse nach einem starken Mann sehnt

Wie sieht Sachsen im Jahr 2020 aus? Vor welchen Herausforderungen steht die neue Landesregierung? Welche politischen Weichen müssen schon heute gestellt werden? Zu diesen Fragen veröffentlicht die SZ eine neue Reihe mit kontroversen Essays und Analysen. Heute: Professor Wolfgang Donsbach. Der Leiter des Instituts für Kommunikationswissenschaften an der TU Dresden analysiert die Ursachen und Wirkungen fremdenfeindlicher Einstellungen und erklärt, was man dagegen tun kann.

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Von Wolfgang Donsbach

Gibt es überhaupt ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit, oder wird das Thema von interessierter Seite künstlich aufgebauscht? Die Antwort ist leider eindeutig. Sowohl was die Einstellungen als auch das Verhalten angeht, steht Sachsen mit an der Spitze der Problemländer in Deutschland.

Zunächst zu den Einstellungen. Der faschistoiden Aussage „Wir sollten eine Führerpersönlichkeit haben, die Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“ stimmt jeder vierte Sachse zumindest teilweise zu. Der eindeutig rassistischen Aussage „Wir sollten darauf achten, dass wir das Deutsche rein erhalten und Völkervermischung verhindern“ kann jeder fünfte Sachse etwas abgewinnen. Den harten Kern bilden dabei die zehn Prozent Befragten, die dieser rassistischen Aussage „voll und ganz zustimmen“.

Erwartungsgemäß hat bei beiden Aussagen die Bildung einen Einfluss darauf, was die Menschen denken. Nicht jedoch die Parteipräferenz. Bei CDU, SPD, Linken und FDP gibt es jeweils gleiche Anteile von Menschen, die eine faschistoide oder rassistische Haltung haben. Lediglich die NPD-Wähler, die erwartungsgemäß die größte Zustimmung zu diesen Aussagen aufweisen, und die Wähler von Bündnis 90/Die Grünen, die sie am stärksten ablehnen, tanzen hier aus der Reihe. Rechtsextreme Einstellungen sind mit Ausnahme der NPD in Sachsen also nicht zuerst ein Problem der extremen Parteien.

In einer Repräsentativumfrage des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden unter erwachsenen Dresdnern im März 2009, welche Nachbarn dem Befragten „unangenehm wären“, nannte jeder Vierte die Türken. 18 Prozent erwähnten die Osteuropäer und zehn Prozent die Afrikaner. Ein Drittel der Dresdner hat Sympathien für die Idee, Ausländer wieder nach Hause zu schicken, wenn Arbeitsplätze knapp werden, ein Viertel fühlt sich angesichts „der vielen Ausländer“ „wie ein Fremder im eigenen Land“. Nebenbei: Dresden hat von allen deutschen Großstädten die wenigsten Ausländer.

Schlägt sich die Einstellung im Verhalten nieder?

Das demoskopische Muster dieser Einstellungen geht Hand in Hand mit in Sachsen gehäuft auftretenden rassistisch motivierten Straftaten. Laut Verfassungsschutzbericht gab es in Sachsen im Jahre 2008 nach Sachsen-Anhalt – bezogen auf die Einwohnerzahl – die meisten Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Die Anzahl rechtsextremistischer Straftaten stieg gegenüber dem Vorjahr deutlich um 13 Prozent, die Anzahl der Gewaltdelikte noch deutlicher um 40Prozent, meldete der sächsischer Verfassungsschutz. Dies sind jeweils mehr Straftaten, als von der linken Szene verantwortet werden.

Das Problem einer Fremden- und Ausländerfeindlichkeit in Sachsen ist also real. Es hat eine ethische und eine pragmatische Komponente. Ethisch entspricht Fremdenfeindlichkeit nicht den Werten, die unserer Demokratie zugrunde liegen. Praktisch prägen diese Zahlen und noch mehr konkrete Straftaten wie die Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini oder der Überfall auf ein türkisches Restaurant das Bild Sachsens außen sehr viel mehr als alle staatlichen Initiativen für ein „weltoffenes Sachsen“. Der Nachrichtenwert solcher Ereignisse für die Auslandsmedien wird in Sachsen unterschätzt.

Ist das Problem der Fremdenfeindlichkeit neu?

Es gibt einige Anzeichen, dass das überdurchschnittliche Auftreten von Fremden- und Ausländerfeindlichkeit zumindest teilweise ein Erbe der DDR-Zeit ist, denn Unterschiede bestanden bereits direkt nach der Wiedervereinigung. In einer Umfrage unter Schülern 1990 sagten im Osten 42 Prozent „Mich stören die vielen Ausländer bei uns“. Im Westen waren es zur gleichen Zeit 26 Prozent. Die angebliche Privilegierung der wenigen Ausländer (die DDR hatte einen Ausländeranteil von nur 1,2 Prozent) kann dabei kaum die Ursache der negativen Einstellungen sein, denn die mit Abstand meisten Ausländer wurden für eher niedrige Tätigkeiten ins Land geholt und blieben meistens ohne nennenswerte soziale Kontakte zu DDR-Bürgern.

Die Bezeichnung der Vietnamesen als „Fidschis“ und der Afrika-ner als „Brikettis“ spricht ebenfalls für eine eher geringe Bereitschaft der deutschen Bevölkerung, sie zu akzeptieren und zu integrieren. Selbst eine Skinhead-Bewegung gab es ab den 70er-Jahren in der DDR. Zudem war der SED-Staat alles andere als eine „offene Gesellschaft“, weder hinsichtlich seiner Grenzen noch hinsichtlich der Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Ideen, Kulturen und Lebensweisen. Dies wirkt bis heute in die ostdeutsche Gesellschaft und damit auch nach Sachsen hinein.

Gibt es das Problem nur im Osten Deutschlands?

Durch fanatische Islamisten sterben weltweit vielfach mehr unschuldige Menschen als durch rassistisch motivierte Straftaten bei uns. Fremdenfeindlichkeit und Hass auf andere Gruppen gibt es also in allen Kulturen. Aber das verringert nicht das Problem für Sachsen. Fremdenfeindlichkeit ist der hier angemessene Begriff, weil negative Einstellungen gegenüber Ausländern nur eine von mehreren Ausprägungen des gleichen Phänomens ist. Der „Fremde“ kann für den Dynamo-Fan der Anhänger eines anderen Fußballvereins sein, für den Sachsen der Nicht-Sachse, für den „Ossi“ der „Wessi“, für den Deutschen der Nicht-Deutsche, für den Mitteleuropäer der Araber. Und alles gilt auch umgekehrt. Je größer die äußerlichen oder immateriellen Unterschiede zwischen Gruppen sind, desto größer ist die Gefahr der Ausgrenzung der jeweils anderen. Es kann bei allen Diskussionen also nicht um ein einseitiges Brandmarken Sachsens oder „des Ostens“ gehen, sondern darum, wie stark auffällige Einstellungen und Verhaltensweisen in einer Region ausgeprägt sind und was man dagegen tun kann.

Ausprägungen und Ursachen von Fremdenfeindlichkeit sind von der Sozialwissenschaft gut erforscht. Natürlich spielen bei der Herausbildung solcher Einstellungen Bildung und persönlicher Horizont eines Menschen sowie die Vermittlung von Werten wie Toleranz in der Kindheit eine Rolle. Man weiß aber auch, dass die Fremdenfeindlichkeit immer dort am größten ist, wo es wenige „Fremde“ gibt oder wo die Menschen durch eigene Immobilität wenige Kontakte zu ihnen haben.

Mit Umfragen kann man zeigen, dass die vermehrten Reisen und die wirtschaftlichen Beziehungen in der alten Bundesrepublik und die damit verstärkten Kontakte mit Ausländern auch zu positiveren Einstellungen bei den Deutschen führten. Dies erklärt, warum ausgerechnet in Bundesländern mit den wenigsten Ausländern die meisten Menschen der Ansicht sind, es gebe „zu viele Ausländer“ (Sozialreport der Volkssolidarität). Gerade Sachsen ist im Phänotypus seiner Menschen ein relativ homogenes Land, in dem „der Fremde“ viel eher auf-fällt als in Berlin oder Frankfurt am Main. Das führt dann beispielsweise dazu, dass die Dresdner Bevölkerung den Ausländeranteil in ihrer Stadt mit dem Faktor 3 überschätzt (zwölf statt vier Prozent).

Die hinter diesem Phänomen liegende psychologische Erklärung ist das Kontrollbedürfnis der Menschen. Wir wollen unsere Umwelt verstehen, um darin zurechtzukommen, und wir können sie am besten verstehen, wenn uns Abläufe und Akteure möglichst vertraut sind. Alles Abweichende verunsichert, und Verunsicherung kann zu Aversion und Aggression führen.

Wo kann man mit einer Lösung ansetzen?

Fremdenfeindlichkeit ist ein komplexes Phänomen, das bei dem Täter einer rassistisch motivierten Straftat beginnt und bei Bürgern endet, die nicht einmal selbst fremdenfeindliche Einstellungen haben, aber nichts tun gegen diejenigen, die sie haben. Diese Skala vom Täter über den Mitläufer und den stillschweigenden Unterstützer bis hin zum erwähnten Gleichgültigen muss man vor Augen haben, wenn man erfolgreich Fremdenfeindlichkeit bekämpfen will. Denn für alle bedarf es anderer Rezepte und Ansprachen. Wie man gewaltbereite junge Menschen umsozialisieren kann, wissen andere besser. Der Verein „Netzwerk Sachsen gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“ geht den steinigen Weg, direkt mit den Problemgruppen zu arbeiten.

Denkt man an die Teile der Bevölkerung, die selbst nicht gewaltbereit sind, aber problematische Einstellungen haben und/oder gleichgültig sind, dann besteht der simpelste Ansatzpunkt darin, mehr Ausländer nach Sachsen und insbesondere in die Großstädte zu holen, um damit das Stadtbild nachhaltig zu beeinflussen. Dafür können die Tourismusorganisationen, die Hochschulen und die Wirtschaftsförderung etwas tun – und sie tun es ja bereits. Auch Aufklärungs-Kampagnen mit „Hinguckern“ auf Plakatwänden und Zeitungsanzeigen können die vorherrschenden Vorstellungen von dem, was normal und damit gut ist, aufbrechen. Das gilt übrigens auch für andere Bereiche, in denen einige sächsische Städte eher rückwärtsgewandt und modernitätsfeindlich sind – wie zum Beispiel die Kunst und die Architektur.

In den Schulen muss noch mehr Wert auf die Vermittlung rechtsstaatlicher und zivilgesellschaftlicher Einstellungen gelegt werden. Nur Anti-Rechts zu predigen, greift zu kurz, weil das Problem tiefer liegt. Es geht um das Verständnis von einer offenen Gesellschaft, in der das Individuum ein aktiver und selbstverantwortlicher Teil ist. Wer sich einbringt und viel mit anderen redet, akzeptiert auch eher den anderen. Vereine wie die „Aktion Zivilcourage“ in Pirna oder „Bürger.Courage“ in Dresden gehen diesen Weg.